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Reporter ohne Grenzen prangert die „Erosion des europäischen Modells“ an

Am 25. April hat Reporter ohne Grenzen (ROG) seine weltweite Rangliste der Pressefreiheit für 2018 veröffentlicht. Die Situation in Europa verschlechtert sich.

Veröffentlicht am 29 April 2018 um 20:50

Am 25. April hat Reporter ohne Grenzen (ROG) seine weltweite Rangliste der Pressefreiheit für 2018 veröffentlicht. Auch Europa ist nicht immun gegenüber dem globalen Trend der „verstärkt hasserfüllten Gefühle gegenüber Journalisten“, welche die in Paris ansässige Nichtregierungsorganisationen an den Pranger stellt.

ROG spricht von einer wahrhaftigen „Erosion des europäischen Modells“. So haben sich die „verbalen Gewaltübergriffe der politischen Spitzen gegenüber der Presse auch auf dem europäischen Kontinent vervielfacht, obwohl die Pressefreiheit hier eigentlich am besten gewährleistet ist. Nun ist Europa der geografische Raum, in dem die Pressefreiheit weltweit zwar am wenigsten gefährdet ist, in diesem Jahr verzeichnet der Kontinent allerdings die größte Verschlechterung des regionalen Index.

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Unter den fünf größten Einbrüchen der Rangliste 2018 befinden sich vier europäische Länder: Malta (65. Platz der Rangliste der Pressefreiheit, -18 Plätze gegenüber 2017), die Tschechische Republik (34., -11.), Serbien (76., -10.) und die Slowakei (27., -10.). In der Tschechischen Republik zeigte sich Präsident Miloš Zeman im vergangenen Oktober auf einer Pressekonferenz mit einer gefälschten Kalaschnikow, welche die Aufschrift trug: „Für Journalisten“. In der Slowakei bezeichnete Robert Fico, der bis März 2018 das Amt des Premierministers innehatte, Journalisten als „schmutzige anti-slowakische Prostituierte“ oder „einfache Idioten-Hyänen“. Nach dem Tod von Daphne Caruana Galizia bei der Explosion ihres Autos in Malta wurde der Journalist Ján Kuciak im Februar in diesem mitteleuropäischen Land ermordet.

Auch Ungarn (73., -2.) entkommt diesem Trend nicht: Hier hat Premierminister Viktor Orbán den amerikanischen Milliardär George Soros zum Staatsfeind erklärt. Diesem wirft er vor, „unabhängige Medien zu unterstützen, deren Ziel es sei, Ungarn in den Augen der internationalen Öffentlichkeit zu „diskreditieren“, heißt es im Bericht. Zunehmend angespannt geht es ebenfalls in Serbien (76., -10.) zu, insbesondere seit „der Wahl des ehemaligen Premierministers Aleksandar Vučić zum Präsidenten“, zumal „dieser die regierungsnahen Medien nutzt, um Journalisten einzuschüchtern.

„Diese ekelerregende Atmosphäre ist nicht auf die Länder Mitteleuropas beschränkt", schreibt ROG weiter, und fügt hinzu: „Auch andere politische Führer verwenden diese Rhetorik, die Journalisten gegenüber nicht nur feindlich gesinnt, sondern für sie auch gefährlich ist“. Beispielsweise in Österreich, wo die extremen Rechten der FPÖ dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen ÖRF regelmäßig vorwerfen, Lügen zu verbreiten. Oder aber in Spanien, wo die Spannungen um das Referendum zur Unabhängigkeit Kataloniens „für Journalisten ein nicht auszuhaltendes Klima“ geschaffen haben. Selbst die nordischen Länder, die immer noch an der Spitze der Rangliste der bestabschneidenden Schüler stehen, haben im Kontext des politischen Drucks und der Ermordung der schwedischen Journalistin Kim Wall in Dänemark (9., -5.) eine Verschlechterung der Bedingungen der Ausübung des Journalismus erlitten.

Zusätzlich zu den Drohungen und Beleidigungen durch politische Führer gibt es Interventionen von Regierenden, und Übergriffe krimineller Organisationen, die in ganz Europa aktiv sind, und insbesondere investigative Journalisten im Visier haben. Neben den aufsehenerregenden Fällen von Daphne Caruana Galizia und Ján Kuciak häufen sich körperliche Angriffe gegenüber Journalisten und Morddrohungen von Mafiagruppen sowohl in Bulgarien (Platz 111, -2, das EU-Land mit dem niedrigsten Platz), als auch in Italien (Platz 46, +6), Montenegro (Platz 103, +3) und Polen (Platz 58, -4).

Diese Verschlechterung der Situation der Pressefreiheit wird auch deutlich, wenn man die Analyse auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschränkt, von denen 16 von 28 Ländern zwischen 2016 und 2018 einen Rückgang ihres Punktestands einstecken mussten:

„In mehreren europäischen Ländern haben wir eine Zunahme von verbalen Angriffen, gegenüber Journalisten erlebt, und zwar auch auf höchster politischer Ebene. Einige waren sogar kurz davor, zu Gewalttaten anzustiften. Dennoch hat kein einziger EU-Beamter diese Angriffe verurteilt. Dies schürt den Hass gegenüber Medien und Journalisten“, erklärt Julie Majerczak, welche die Interessen von ROG bei der EU vertritt, gegenüber EDJNet.

„Dennoch könnte die EU viel gegen die Verschlechterung der Pressefreiheit in Europa tun, indem sie zunächst gegen gerichtliche Schikanen, d.h. Klagen von Politikern gegen Journalisten, insbesondere investigativen Journalisten und freiberuflichen Journalisten, vorgeht, zumal diese nur ein einziges Ziel verfolgen: Ihre Ermittlungen zu behindern und sie wirtschaftlich zu schlagen“.

„Die EU sollte sich auch mit der Anwendung strafrechtlicher Sanktionen in Verleumdungsfällen befassen“, fügt sie hinzu. „Letzten Endes sollte sie sich konsequent gegenüber der Achtung der Pressefreiheit durch die Staaten verhalten: So unterliegen die Kandidatenländer in der Tat einer äußerst strengen Kontrolle, während Verstöße nach ihrem Beitritt nicht mehr berücksichtigt werden. Ebenso könnte die EU die Gewährung von Finanzhilfen von der Achtung der Rechtsstaatlichkeit abhängig machen, deren grundlegendes Element die Pressefreiheit ist.“

Im Bereich der kürzlich von der Europäischen Kommission angekündigten Maßnahmen, die sich positiv auf die Pressefreiheit auswirken dürften, sind folgende zu nennen: Der Richtlinienentwurf zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblowers), sowie der Europäische Verhaltenskodex für Desinformationen. Majerczak ist der Ansicht, dass der Erste ein „Schritt nach vorn“ ist, obwohl er dennoch eine „große Schwachstelle“ besitzt, weil „das Verfahren, in dem sich ein Hinweisgeber an ein Medium wendet, stark reguliert ist, und es ihm nicht erlaubt, sich direkt an Journalisten zu wenden“. Bezüglich der zweiten Maßnahme, die am 26. April veröffentlicht wurde, so dürfte die ROG ihre Position in den nächsten Tagen bekannt geben.

Methodik

Experten

Die Methodik zur Ermittlung der Rangliste basiert auf einer Reihe von Antworten von Experten auf einen Fragebogen, der jedes Jahr von ROG angeboten wird. Die behandelten Themen drehen sich um den Pluralismus, die Medienunabhängigkeit, das Umfeld und die Selbstzensur, sowie den Rechtsrahmen, die Transparenz und die Qualität der Infrastrukturen zur Unterstützung der Informationsproduktion. „Zusätzlich zu dieser qualitativen Analyse gibt es eine quantitative Erhebung der Gewalttaten gegen Journalisten für den betrachteten Zeitraum“, präzisiert die Organisation.

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