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50 Kerzen, aber weder Feuer noch Flamme

Obwohl das deutsch-französische Paar mitten in der Krise steckt, feiern Paris und Berlin den Jahrestag des Elysée-Vertrags, der ihre Freundschaft begründete. Während den Franzosen angesichts der wirtschaftlichen Erfolge Deutschlands die Gesichtszüge entgleiten, lassen es sich die Deutschen nicht nehmen, ihre Nachbarn auf ihre Schwächen aufmerksam zu machen. Und dennoch muss man auch in Zukunft Hand in Hand gehen.

Veröffentlicht am 21 Januar 2013 um 16:23

Die Wünsche zum neuen Jahr erreichten uns recht spät. Zudem hatte sie nicht etwa der Staatspräsident verfasst, sondern Angela Merkel. Das Ganze glich einer Erscheinung. Die Kanzlerin hatte so etwas Kaiserliches an sich. Erfolgreich legte Angela Merkel auch diese Prüfung ab. Erinnert man sich an das Gesagte, scheinen vor allem die pessimistischen Prognosen der Kanzlerin prägend, darunter: „Die Krise ist noch längst nicht überwunden.“

Allerdings entspricht das nicht dem Bild, das sich unseren Augen bot: Wir bekamen eine Kanzlerin zu sehen, die neun Monate vor den Bundestagswahlen über ein friedliches Deutschland herrscht. Sie strahlte, war ganz in grauem Satin gekleidet und musterte von ihrem Kanzleramt aus den Reichstag – den Inbegriff der parlamentarischen Demokratie Deutschlands. Stets traf sie den richtigen Ton und lächelte sanft.

Hin und wieder wirft der ein oder andere der Physikerin und Pfarrerstochter aus Ostdeutschland vor, Naturwissenschaften den Geisteswissenschaften vorzuziehen, und zu einer Zeit, in der sich alles um Europa dreht, kein ausgesprochen gut entwickeltes historisches Bewusstsein zu haben.

Schwere Schritte in den Fußstapfen der Geschichte

Um in die Fußstapfen der Gründerväter der Bundesrepublik zu treten, arbeitet Angela Merkel wirklich hart. In ihrer Ansprache reflektierte sie demnach die vergangenen fünfzig Jahre, zitierte Walter Bruch, den deutschen Erfinder des PAL-Farbfernsehens, der mit unserem Nationalstolz Secam wetteiferte, erinnerte an Kennedy, der vor der Berliner Mauer ausrief: „Ich bin ein Berliner“, und würdigte Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, welche die deutsch-französische Aussöhnung besiegelten.

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Bevor sich Angela Merkel für eine dritte Amtszeit zur Wiederwahl aufstellen lässt, will sie sich ihrer großen Vorgänger würdig erweisen. Im November 2012, kurz vor der Verleihung des Friedensnobelpreises an die Europäische Union, hatte der „normale Präsident“ François Hollande bei einem gemeinsamen Treffen naserümpfend erklärt, dass dieser Preis den Helden von gestern – Schuman, Monnet und Adenauer – gebührt.

Daraufhin konterte Angela Merkel: „Wir müssen doch aber auch Helden sein.“ Dabei war gerade ihr es zu Beginn der Eurokrise nicht wirklich gelungen, die Situation in den Griff zu bekommen, und war sie es doch, dir eine Insolvenz der Mitgliedstaaten der Währungsunion ablehnte.

Ein wirklich guter Held muss leiden. Und Angela Merkel forderte stets Schweiß und Tränen. In ihren Wünschen zum neuen Jahr sprach sie nicht von den Anstrengungen der Griechen und all der anderen eurokrisengebeutelten Menschen Südeuropas. Und bevor sie ihren Landsleuten „Gottes Segen“ wünschte, zitierte sie den Ausspruch des griechischen Philosophen Demokrit (460-370 v. u. Z.): „Mut steht am Anfang des Handelns, Glück am Ende“.

Glücklich und zerrissen

Dabei sind die Deutschen, wenn man sich ihre Kanzlerin so anhört, dem Glück doch eigentlich sehr nahe. Während die Bundeskanzlerin für eine vereinte Nation steht, ist Frankreich tief zerrissen: Nach Sarkzoy spalten es nun die Verfechter der 75-Prozent, die Steuerflüchtlinge, die Befürworter der Homo-Ehe und ihre katholischen Gegner.

Am 31. Dezember erzählte Angela Merkel eine Geschichte. Sie erklärte, wie ein Kind aus Heidelberg von seinem Fußballteam überzeugt wurde, die Schule nicht abzubrechen. In Deutschland ist der Erfolg des Einzelnen auch einer der Gemeinschaft. Und was für ein Erfolg! Seit der Wiedervereinigung gab es noch nie so wenig Arbeitslose.

Seit Angela Merkels im Amt ist, wurde die Arbeitslosigkeit halbiert und im ganzen Land allein 2012 416.000 Jobs geschaffen. Nie zuvor waren so viele Deutsche berufstätig.

Am gleichen Abend versuchte François Hollande seine Landsleute davon zu überzeugen, dass die Arbeitslosenzahlen Ende des Jahres endlich zurückgingen, nachdem sie neunzehn Monate lang angestiegen waren.

Das Glück Angela Merkels muss man sich aber erst einmal verdienen. Und um es zu behalten, muss man beharrlich weitermachen und nur nicht aufgeben. In diesem Sinne ergriff Finanzminister Wolfgang Schäuble gleich am Dreikönigstag die Gelegenheit, um pünktlich zum politischen Neujahr Deutschlands neue Wirtschaftsmaßnahmen zu präsentieren.

Ein harter Partner, den François Hollande da vor sich hat, zumal er so sehr gehofft hatte, sich nicht allzu lange mit Angela Merkel einigen zu müssen. Doch ist Merkel beliebter als je zuvor: Sieben von zehn Deutschen lieben sie. Demzufolge sollte François Hollande besser so tun, als würde auch er die Kanzlerin lieben.

Eine „großartig heuchlerische Zeremonie“

Für den 21. und 22. Januar bereiten die Außenminister Frankreichs und Deutschlands eine großartig heuchlerische Zeremonie vor, um den fünfzigsten Jahrestag des Elysée-Vertrags zu feiern. Die Bürger bekommen den üblichen Glanz und Gloria geboten: Deutsch-französischer Ministerrat, Ansprachen Angela Merkels und François Hollandes im Reichstag. Den Höhepunkt der Feierlichkeiten bildet ein Konzert in der Berliner Philharmonie. Und das war’s.

Während die Berichterstattung der Medien die Lust an der deutsch-französischen Partnerschaft schüren wird, haben die beiden Führungsspitzen keine einzige bedeutende politische Initiative in petto. Ganz im Gegenteil: Auf beiden Seiten des Rheins schluckt man seinen Ärger hinunter und reißt sich zusammen.

Während die Deutschen diese Franzosen missachten, die wirtschaftlich einfach nicht die Kurve kriegen, stellen die Franzosen lauthals das deutsche Machtstreben an den Pranger.

Den Deutschen wirft man vor, Peugeot töten zu wollen, und Frankreichs Überlegenheit in der Raumfahrtindustrie und der Meteorologie infrage zu stellen. Angela Merkel hat etwas Kaiserliches, Deutschland etwas Imperialistisches und Frankreich bewegt sich immer mehr auf dem besorgniserregenden Pfad der Deutschfeindlichkeit.

Aus deutscher Sicht

Streiten und bessere Fortschritte machen

„Streiten macht Freunde“: Die echte Stärke der Beziehung zwischen Berlin und Paris entspringt gerade ihren ständigen Kontroversen, findet die Welt am Sonntag.

Sicher, Franzosen und Deutsche sind völlig gegensätzlich, so stellt die Sonntagsausgabe der Welt fest. Erstere sehen ihre „Paarbeziehung“ wie die zwischen der barbusigen, freiheitsdurstigen Schönheit Marianne und dem gestiefelten, schnurrbärtigen Machtvirtuosen Bismarck, zweitere bevorzugen die technische Metapher des „deutsch-französischen Motors“. Doch letztendlich ist das ein Vorzug:

Aber Einigkeit allein ist kein Garant dafür, dass Deutschland voran kommt. [...] Adenauer und de Gaulle stritten sich ständig über das Verhältnis zu Amerika und über Europas Eigenständigkeit; Kohl und Mitterrand über die Wiedervereinigung und den Euro. Es gab Spannungen und den Funken; am Ende stand ein Kompromiss, der Europa voranbrachte.

In diesem Sinne, so betont die WamS, wurde vom Elysee-Vertrag auch angestrebt, dass möglichst viele Bürger die Sprache des anderen Landes lernen und ständigen Kontakt auf allen Ebenen pflegen.

Daraus ist ein dichtes Netz geworden, einmalig in Europa. Ein Netz, in dem niemand seine Identität preisgeben musste. Das erklärt auch, warum Deutschland und Frankreich bis heute die Führungsrolle in Europa zufällt. Sie sind kein exklusives Zweierbündnis. Vielmehr tragen sie geradezu exemplarisch die großen Konflikte der Union aus - und binden so die anderen ein, auch im Europa der 27 Staaten.

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