Reportage Migration und Asyl

„In Griechenland gelten Migranten als Schwerverbrecher“

In Griechenland, dem Tor zur Europäischen Union, finden reihenweise Prozesse gegen Migrant*innen statt, die meist im Schnellverfahren abgewickelt werden. Sie sind ein Beleg für die zunehmende Kriminalisierung der Migration, kritisieren Organisationen.

Veröffentlicht am 7 Juli 2022 um 09:55

Alles begann in der Nacht vom 18. auf den 19. Juni mit einer Warnung an das Zentrum „Alarm Phone“, einer Organisation, die flüchtenden Menschen hilft, die versuchen, das Mittelmeer zu durchqueren. Um ein Uhr nachts twitterte die NGO: „Sinkendes Schiff in der Ägäis nahe Mykonos“. und weiter: „Wir stehen in Kontakt mit einer Gruppe von 80 Personen, die sich im Südwesten der Insel Mykonos in großer Not befindet. Wir haben die griechische Küstenwache alarmiert und sie teilt uns mit, dass sie eine Suche eingeleitet hat.

Ein paar Stunden später twitterte der griechische Minister für Migration, Notis Mitarakis, seinerseits: „8 Migranten werden vermisst und 104 wurden in den Kykladen an Bord eines Segelschiffs gerettet, das von der türkischen Küste nach Europa unterwegs war. Die Türkei könnte einen besseren Job machen, wenn sie mit Europa und Griechenland zusammenarbeitete, um Menschenleben zu schützen und Schmugglernetzwerke auszurotten.“ 

Am Tag nach der Rettung erläuterte eine Quelle im griechischen Marineministerium gegenüber Voxeurop: „Eine Untersuchung, welche Rolle die Flüchtenden an Bord gespielt haben, ist im Gange. Sechs von ihnen werden in Kürze angeklagt.“ Ihr Verbrechen? „Sie werden verdächtigt, das Steuerruder gehalten zu haben. Sie haben also bei der Steuerung des Bootes geholfen“, so die Quelle weiter. „Sie sind wahrscheinlich Schlepper.“ – das Urteil ist also quasi schon gesprochen, noch bevor der Prozess überhaupt begonnen hat. Dieser Vorfall ist nur einer in einer langen Liste von Gerichtsverfahren gegen Geflüchtete.

Es sind immer die gleichen Schnellverfahren. „Sobald die griechische Küstenwache ein Boot mit Geflüchteten abfängt, sucht sie die Person, die das Steuerruder gehalten hat“, erklärt der Rechtsanwalt Alexandros Georgoulis. Zum Beweis führt er Fälle von durch ihn betreuten Migranten an, vor allem auf den Inseln Chios, Samos und Lesbos, die nur wenige Kilometer von der türkischen Küste entfernt liegen. Die Geschichten ähneln sich: In ihnen geht es um geflüchtete Menschen, die verurteilt wurden, weil sie versucht haben, Leben zu retten.

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Ein Beispiel ist Mohammad Hanad Abdi, der 1993 in Somalia geboren ist. Er erzählt seine Geschichte aus dem Gefängnis der Insel Chios. Nach einer Zwangsheirat, einem Anschlag der Al-Shabab-Miliz (einer islamistischen Terrorgruppe) und nachdem er von seiner Familie verstoßen worden war, musste er aus seinem Heimatland fliehen. „Ich habe mich also zur Flucht entschlossen und wollte nach Griechenland gehen. Zunächst nahm ich einen Flug in die Türkei“, ber…

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