Analyse Rechtsextreme und Technologie

PayPal-Gründer Peter Thiel und die Macht der Tech-Monopole

2020 hat die EU-Kommission den Digital Services Act und den Digital Markets Act angekündigt, durch die Tech-Monopole wie Google und Facebook kontrolliert werden sollen. Doch die Monopole haben mächtige Fürsprecher wie PayPal-Gründer und Trump-Wähler Peter Thiel.

Veröffentlicht am 16 November 2022 um 10:47

Ideologische Umbrüche sind wie Verschiebungen der Kontinentalplatten. Sie geschehen zunächst unbemerkt im Untergrund, doch ihre Beben erschüttern die Welt. Ein solches Beben ausgelöst hat Peter Thiel mit seinem 2014 veröffentlichten Buch From Zero to One. Entstanden ist der schmale Band aus einem Kurs, den Thiel 2012 an seiner Alma Mater gab, der kalifornischen Universität Stanford. Das Cover sieht aus wie ein Ratgeber für Start-up-Gründungen. Tatsächlich aber sollte das Buch mit seiner radikalen Denkweise einen unheimlichen Einfluss auf das Silicon Valley ausüben.

Die Hauptaussage des Buches lautet, dass freier Wettbewerb Profite mindert. Daher sollten Firmengründer*innen so oft wie möglich nach Monopolen streben. „Wettbewerb ist etwas für Verlierer“, fasste Thiel später seine Philosophie zusammen. Der Erfolg scheint ihm Recht zu geben. Als Mitgründer des Bezahldienstes PayPal verwandelte die Börse ihn mit 34 Jahren zum Milliardär.

Sein Geld steckte er früh in Anteile von Facebook, Airbnb, LinkedIn und anderen erfolgreichen Firmen. Thiels Image als cleverer, raubeiniger Investor wurde besonders von seiner Palantir-Gründung, einem skandalumwitterten Hersteller von Überwachungssoftware für Polizei und Geheimdienste auf der ganzen Welt, gestärkt.

Thiels Geschäftssinn machte ihn zum Vorbild für eine ganze Start-up-Generation. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg sagte, Thiel habe „massiven Einfluss auf [sein] Denken“ gehabt. Damit ist er nicht allein. Der in Deutschland geborene PayPal-Gründer ist in den USA bei Technologie-Konferenzen ebenso gern als Redner gesehen wie bei konservativen Think Tanks. Videos seiner Auftritte werden auf YouTube millionenfach geklickt. Laut seinem Biografen Max Chafkin ist „Thielismus der dominante Ethos im Silicon Valley“. Thiel schafft dabei den seltenen Spagat, zugleich Guru für die Start-up-Szene und ein Idol der Trump-Wählerschaft zu werden.

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Die Ideen, die Thiel in From Zero to One formulierte, wirken als intellektuelle Rückendeckung für die Ambitionen der großen Technologiefirmen, ihre Konkurrenz zu kaufen, zu kopieren oder zu vernichten. Inzwischen gibt es Bestrebungen der Politik in Europa und den USA, die großen Technologiekonzerne zu beschränken oder gar zu zerschlagen. Wer ihrer Macht Grenzen setzen will, muss sich mit der Gedankenwelt des Silicon Valley auseinandersetzen, die Thiel mit seinen Ideen entscheidend geprägt hat.

Wie man die Konkurrenz besiegt

Sein Erfolg als Investor und seine Auftritte auf dem politischen Parkett machen Thiel zum Vordenker einer Branche, in der sich die Marktmacht auf einige wenige große Firmen konzentriert. 

Besonders deutlich wirkt sein Einfluss auf Facebook. 2004 kaufte er für 500.000 Dollar zehn Prozent des erst wenige Monate alten Start-ups und wurde ein Vertrauter des damals 20-jährigen Gründers Mark Zuckerberg. Dieser sagte ein paar Jahre später, Thiel habe ihm ein ökonomisches Modell beigebracht, von dem er glaube, “dass es das Richtige für das Treffen von Entscheidungen ist“: Der Netzwerkeffekt, also ein Produkt, das immer nützlicher wird, je mehr Leute es verwenden und der Facebook für viele Menschen unverzichtbar machte. Doch könne er sich gegen Facebook wenden, wenn ein Konkurrent, der neue Funktionen biete, rasch wachse, fürchtete Zuckerberg laut internen E-Mails, die eine Anhörung im US-Kongress zutage förderte.

Um diese Gefahr zu bannen, kaufte Facebook 2012 den damals noch winzigen Mitbewerber Instagram für die unerhörte Summe von einer Milliarde US-Dollar. „Das Gute an Start-ups ist, dass man sie oft einfach kaufen kann“, erklärte Zuckerberg einem Mitarbeiter. Einen Konkurrenten zu neutralisieren, sei eine Form „Zeit zu gewinnen“. Bereits 2008, als Facebook gerade den Markt eroberte, sagte sein Gründer hinter verschlossenen Türen, es sei besser, Konkurrenten zu kaufen als sich mit ihnen zu messen.


„Das Wichtigste ist, dass ich Freiheit und Demokratie nicht mehr für vereinbar halte.“ - Peter Thiel


Auf die Frage einer Kongressabgeordneten bei einer Anhörung 2021, wie viele Mitbewerber Facebook über die Jahre gekauft habe, um sie aus dem Markt zu drängen, sagte Zuckerberg bloß: „Ich weiß es nicht.“ Laut einem Bericht des US-Abgeordnetenhauses hat Facebook über die Jahre mehr als hundert Firmen aufgekauft, darunter zahlreiche Konkurrenten mit vielversprechender Technologie. Die wenigsten Übernahmen wurden von den Wettbewerbsbehörden beanstandet. Thiel sitzt bis heute im Aufsichtsrat von Facebook.

Thiel und die „Wettbewerbsideologie”

Nach der gängigen Lehrmeinung der Ökonomie wirkt Wettbewerb zwischen verschiedenen Anbietern als ordnende Kraft für den Markt, um ein faires Angebot und Innovation zu garantieren. Mit dieser Sichtweise bricht Thiel radikal, indem er Monopole als Fortschrittsmotoren feiert. Wettbewerb ist für Thiel kein notwendiges Merkmal einer funktionierenden Wirtschaft, sondern gefährlich. In einer Art Paraphrase auf antikapitalistische Kritik an der Marktwirtschaft kritisiert er, Wettbewerb sei „eine Ideologie, […] die unsere Gesellschaft pervertiert und unser Denken zerstört“.

Zwar spart der PayPal-Gründer mit schlüssigen Erklärungen über die gesamtwirtschaftliche Wirkung von Monopolen, aber er rechtfertigt in From Zero to One ausdrücklich die „kreativen Monopole“ innovativer Firmen. Diese unterscheidet er von „illegalen Tyrannen oder Lieblingen der Regierung“, die keine Monopolrenten verdient hätten.

Thiel findet lobende Worte für die Ausflüchte und Unwahrheiten, mit denen die großen Technologiekonzerne ihre Dominanz rechtfertigen. „Monopolisten lügen, um sich zu schützen“, schreibt Thiel. Er bemerkt, dass Google sich etwa als „bloß eine Tech-Firma wie jede andere“ präsentiere, um „aller Arten ungewollter Aufmerksamkeit“ zu entfliehen. Dem Auge der Behörden zu entgehen, sei demnach nicht mehr als eine Notlüge für Konzerne, um ihr gutes Werk verrichten zu können. „Da [Google] sich keine Sorgen um den Wettbewerb machen muss, hat [das Unternehmen] mehr Spielraum, sich um seine Angestellten, seine Produkte und seine Wirkung auf die Welt zu kümmern.“

Firmengründern rät Thiel, durch innovative Technologie ein Monopol aufzubauen, das ihrem Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal verschafft und ihnen erlaubt, andere zu dominieren. Da passt es ins Bild, dass Facebook-Gründer Zuckerberg in den frühen Tagen der Firma Meetings mit dem Schlachtruf „Domination!“ beendete und seiner früheren Redenschreiberin Kate Loss einmal verriet, dass für ihn „Firmen über Staaten“ stünden.

In einigen Äußerungen klingen Thiels Ideen wie ein Echo auf den konservativen Juristen Robert Bork, der in den 1970er-Jahren in den USA einen Paradigmenwechsel im Wettbewerbsrecht einleitete. Bork argumentierte, dass manche wettbewerbsfeindliche Praktiken von Firmen keine negativen Auswirkungen auf Konsumenten hätten und daher nicht verboten werden sollten.

Borks Doktrin, die von den US-Republikanern und ihren Kandidaten im Supreme Court enthusiastisch aufgenommen wurde, schwächte für Jahrzehnte die Durchsetzungskraft der Kartellbehörden. Thiel schlug in eine ähnliche Kerbe, als er 2012 bei einer Debatte mit seiner Nemesis, dem damaligen Google-Chef Eric Schmidt, behauptete, es wäre „recht legal“, wenn eine innovative Firma wie Google ein „Weltklasse-Monopol“ für Suchmaschinen habe – solange sie ihre Marktmacht nicht missbrauche.

Kampfansage an die Gatekeeper

In den USA hat Präsident Joe Biden durch die Ernennung der 32-jährigen Wettbewerbsrechtlerin Lina Khan an die Spitze der Kartellbehörde Federal Trade Commission eine Zeitenwende eingeleitet. In ihrem Werk „Amazon’s Antitrust Paradox“ formuliert sie eine Sichtweise von Monopolen, die der von Thiel diametral entgegensteht und mit der Bork-Doktrin bricht.

Es sei schlicht unmöglich, den möglichen Schaden für den freien Wettbewerb durch große Technologiefirmen zu verstehen, „wenn wir Wettbewerb vor allem an Preisen und dem Angebot messen“, schreibt Khan. Die Verschmelzung unterschiedlicher Dienste in eine einzige Plattform erlaube Firmen wie Google, Amazon und Facebook, eine für ihre Konkurrenz lebensnotwendige Infrastruktur zu kontrollieren. Dies helfe den Konzernen, „Informationen über Unternehmen, die ihre Dienste verwenden, zu nutzen, um sie als Konkurrenten zu untergraben“.

Angesichts von Khans Position darf es kaum überraschen, dass Amazon und Facebook versucht haben, die Ernennung Khans zur obersten Marktwächterin zu verhindern. Inzwischen bahnt sich jedoch auch in der Europäischen Union Ärger für die Plattformkonzerne an, wo der geplante Digital Markets Act wettbewerbsfeindliche Praktiken unterbinden und die Marktmacht von „Gatekeepern“ beschränken soll.

Der Digital Markets Act (DMA) soll die Geschwindigkeit regulieren, mit der Tech-Firmen einen Markt übernehmen können. “Wir brauchen Alternativen und Wahlmöglichkeiten in der digitalen Branche und dürfen uns nicht von wenigen großen Akteuren abhängig machen, egal wer sie sind”, so Margrethe Vestager, eine der Autor*innen des Digital Market Act, via Twitter: „Das ist das Ziel des DMA.”

Solche Schritte erzeugen Widerstand. Angesichts des steigenden politischen Drucks in den USA und der EU haben die Tech-Konzerne ein weites Netzwerk an Lobby-Gruppen und Thinktanks aufgebaut, die ihre Vorstellung von der digitalen Welt verteidigen. Direkte Ausgaben für Lobbying der großen Fünf – Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft – in Brüssel und Washington sind inzwischen auf dutzende Millionen Euro im Jahr geklettert. Um seinen Einfluss auszubauen, finanziert allein Google mehr als 200 Verbände, Thinktanks und NGOs.

Als Teil seiner Lobby-Bemühungen bat Google auch seine „Verbündeten aus der Wissenschaft“, die neuen Gesetzesvorschläge aus Brüssel infrage zu stellen, heißt es in einem geleakten Strategiepapier des Konzerns. Ziel des Spiels ist für die Technologiekonzerne, die eigene Monopolstellung zu vernebeln.

Peter Thiels undurchschaubarer Libertarismus

Während die Technologiebranche unter Druck gerät, mischt Thiel in der Politik mit. Als einer von wenigen Größen im Silicon Valley, das mehrheitlich die Demokratische Partei unterstützt, ist Thiel ein entschiedener Anhänger von Ex-Präsident Donald Trump. Für Aufsehen sorgte seine Rede auf dem Parteitag der Republikaner 2016, auch spendete Thiel Millionen für die Wahlkampagnen republikanischer Kandidaten und für verschiedene konservative Anliegen.

Ähnlich wie andere Gründer*innen in der Technologiebranche bekennt sich Thiel zum Libertarismus, einer politischen Philosophie, die persönliche Freiheit über staatlichen Einfluss stellt. Doch nach eigener Darstellung brach Thiel bereits als junger Mann mit einer libertären Schlüsseldoktrin: dem Glauben an den freien Markt. „Je höher der eigene IQ, desto pessimistischer wurde man in Sachen Politik des freien Marktes“, schreibt Thiel in seinem 2009 erschienenen Essay „Die Bildung eines Libertären“.

Zwar bekenne er sich weiter zu libertären Grundüberzeugungen wie dem Widerstand gegen „enteignungsgleiche Besteuerung [und] totalitäre Kollektive“, schreibt Thiel. Doch die globale Finanzkrise und die Rückkehr des keynesianisch inspirierten Staatsinterventionismus habe „jegliche Hoffnung von politisch gesinnten Libertären zerstört“.

Der Kapitalismus sei schlicht „nicht so populär bei den Massen“. Im Nachgang der Krise seien keine politischen Kräfteverhältnisse denkbar, die den freien Markt nicht beschränken wollten. Thiel schreibt, er empfinde es daher als notwendig, neue Schlüsse über seine libertären politischen Ziele zu ziehen. „Das Wichtigste ist, dass ich Freiheit und Demokratie nicht mehr für vereinbar halte.“

Ob Thiel seine abschätzige These über die Demokratie zwölf Jahre später wiederholen würde, ist unklar. Sie hält ihn jedenfalls nicht davon ab, sein Geld in politische Kampagnen zu stecken. Zwar hat sich Thiel inzwischen von Trump distanziert, doch  steckt er weiterhin hohe Summen in republikanische Wahlkämpfe.

Vor einigen Monaten spendete der Investor je zehn Millionen Dollar an die Wahlkampagnen zweier früherer Protegés, die nun als Republikaner für den US-Senat kandidieren. Einer davon ist Blake Masters, dessen Notizen aus Thiels Seminar in Stanford die Basis für From Zero to One bildeten. Thiel machte seinen Studenten und Ko-Autor später zum Präsidenten seiner philanthropischen Stiftung, der Thiel Foundation, und hat in ihm einen Politiker nach seinem Vorbild geprägt. Masters hat bei den diesjährigen Senatswahlen im US-Bundesstaat Arizona für die Republikaner kandidiert, verlor die Wahl aber gegen den Demokraten Mark Kelly.

In jüngeren Äußerungen schweigt Thiel zu Monopolen, stattdessen schlägt er nationalistische Töne an. In seiner Parteitagsrede von 2016 lieferte er mit der Behauptung, „unsere Nuklearbasen laufen auf Disketten und unsere neuesten Kampfflugzeuge können nicht im Regen fliegen“ – eine Rechtfertigung für den Ruf nach höheren Militärausgaben. Seine Lieblingszielscheibe Google attackierte Thiel für deren „offenkundig verräterische“ Weigerung, einen umstrittenen Großauftrag des Pentagons anzunehmen.

Obwohl er durch seine öffentlichen Auftritte berühmt-berüchtigt wurde, lenken seine markigen Sprüche zuweilen davon ab, wie einflussreich Thiels Ideen in Silicon Valley und inzwischen auch in Washington sind. Sein wachsender Einfluss in konservativen Kreisen und seine finanzielle Unterstützung für republikanische Kandidaten lassen Beobachter schon vom „Aufstieg der Thielisten“ in der US-Politik sprechen.

Noch muss sich zeigen, ob diese neue Kohorte von Kandidaten die gesamte Bandbreite von Thiels eigenwilligen Positionen übernimmt, seine Vorliebe für Monopole und seinen anti-demokratischen Libertarianismus ebenso wie seinen kriegerischen Nationalismus. Aber angesichts der ideologischen Desorientierung der amerikanischen Rechten ist es durchaus wahrscheinlich, dass Thiels Echo in den Reihen der Republikaner in der Zukunft nur noch lauter wird.

👉 Das Original ist bei Netzpolitik erschienen

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