Nachrichten Smart Cities und 5G-Netze

Massive Datenweitergabe stellt die Privatsphäre und die individuellen Freiheiten in Frage

Die 5G-Netze, die in ganz Europa ausgebaut werden, können den Bürgern in den Städten ein nachhaltiges Leben, weniger Verkehr und mehr Sicherheit bieten. Allerdings könnte sich diese Technologie aber auch ein als ein Schlitterpfad in Richtung Massenüberwachung erweisen.

Veröffentlicht am 17 Oktober 2019 um 07:49

Nachhaltiges Wohnen, weniger Verkehr, schnellere Verbindung, mehr Sicherheit und andere attraktive Möglichkeiten: Diese Lösungen versprechen die Smart Cities in einem Anflug von Optimismus und einer Hetzjagd auf die weit verbreitete Einführung der 5G, die sie nutzen werden.

Doch obwohl diese Perspektiven oberflächlich betrachtet attraktiv erscheinen, kann die soziale und politische Bedrohung nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Zumal der umstrittenen Aspekt der Privatsphäre dieser Städte und ihrer Verstöße gegen die bürgerlichen Freiheiten weder geleugnet noch auf die leichte Schulter genommen werden.

Tatsächlich könnten digitale Lösungen einige Indikatoren für die Lebensqualitätum 10-30 Prozent verbessern, so McKinsey. Dazu gehören Bereiche wie die Umwelt, in denen die Treibhausgasemissionen um 10-15 Prozent, und die Kriminalität um bis zu 40 Prozent reduziert werden könnten.

Städte sind große Umweltbelastungen, verbrauchen78 Prozent der weltweiten Energie und produzieren mehr als 60 Prozent der Treibhausgase, so ein UN-Habitat-Bericht. Und das, obwohl sie weniger als zwei Prozent der Erdoberfläche ausmachen.

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Angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel der Weltbis 2030 voraussichtlich in städtischen Verdichtungsräumen leben werden, wird das Argument für eine stärkere technologische Integration zur Unterstützung der damit verbundenen Herausforderungen immer stärker.

Durch die Installation von Tausenden von Sensoren in einem Stadtgebiet, die sich mit einer gemeinsamen Cloud verbinden, die dann die Daten der Bevölkerung übersetzt, um Echtzeitlösungen für den täglichen Betrieb und das zukünftige Wachstum zu finden, klingen Smart Cities verlockend.

Da jedoch große Technologieunternehmen mit fragwürdigen Erfolgsbilanzen im Bereich des Datenschutzes an vorderster Front dieser Behausungen stehen, die jeden Zug der Bürger überwachen, speichern und anpassen, befinden sich Smart Cities an einer umstrittenen Grenze zwischen Komfort und Freiheit.

DerCambridge Analytica-Skandal, der Facebook und dieideologischen Verzerrungen von Google erschütterte, und der von ehemaligen Mitarbeitern öffentlich gemacht wurde, die als Informanten (Whistleblower) agierten, hat in Nordamerika eine heftige Debatte um die mögliche Notwendigkeit ausgelöst, die Technologie-Giganten zu entflechten, zumal sie die Privatsphäre, die Meinungsäußerung und die Demokratie beeinträchtigen.

Waterfront Toronto, eine intelligente Stadtentwicklung von Sidewalk Labs, einer Tochtergesellschaft der Google-Muttergesellschaft Alphabet, wurdeheftig kritisiert, was dazu führte, dass zahlreiche Vorstandsmitglieder das Projekt verließen. 

Roger McNamee, ein früher Google- und Facebook-Investor, sagte den Toronto-Vertretern, dass die Daten, die über die Nutzer in diesemQuayside-Projekt erhoben wurden, die Möglichkeit bieten, „die Demokratie durch algorithmische Entscheidungsfindung zu ersetzen“ und dies „eine dystopische Vision ist, die in einer demokratischen Gesellschaft keinen Platz hat“.

Während auf der anderen Seite des großen Teiches viel gesunde Skepsis herrscht, kommt das Aufkommen von 5G-geführten Smart Cities in Europa fast ausschließlich aus China: Durch den Mobilfunkriesen Huawei, der ähnlichen Kontroversen nicht fremd ist.

Die USA entwickeln 40 Smart Cities, d. h. weniger als vier Prozent der weltweiten Gesamtzahl, während China500 – d. h. fast die Hälfte der weltweiten Gesamtzahl – entwickelt. Das zeigt, wie weit Peking in diesem Rennen vorn liegt.

Bequemlichkeit auf Kosten der Freiheit: Kann Europa das richtige Gleichgewicht finden?

Im Juli gab Huawei's Senior Vizepräsidentin Catherine Chen bekannt, dass das Unternehmen 50 Handelsverträge für 5G erhalten hat,von denen 28 mit europäischen Unternehmen abgeschlossen wurden, die für die Errichtung von Smart Cities auf dem Kontinent von grundlegender Bedeutung sind.

Das westdeutsche Duisburg ist mit knapp 500.000 Einwohnern die jüngste Stadt, die dank einerPartnerschaft mit Huawei von einer traditionellen Industriestadt zu einer „serviceorientierten Smart City“ wird, was der Verwaltung, Hafenlogistik, Bildung, Infrastruktur und den Haushalten helfen wird.

Ähnliche Projekte sind in ganz Europa geplant, wobei Huawei das 5G-Netz dominiert. In Griechenland begann Huawei 2005 mit Investitionen und hält heute einen Anteil von 50 Prozent am Markt für Telekommunikationsgeräte. In der Zwischenzeit werden 15 große Städte in Spanien, darunter Madrid, Barcelona, Valencia und Sevilla, für ihren Umstieg auf "smart" Huawei-Basisstationen nutzen.

LautEuractiv haben 240 europäische Städte mit mehr als 100.000 Einwohnern einige Fortschritte auf dem Weg zu Smart Cities gemacht.

Gleichgesinnte wie die Slowakei und Ungarn haben ebenfalls erklärt, dass sie Huawei zu ihrem 5G-Anbieter machen wollen, nachdem sie ihre Sicherheits-Ängste abgelegt haben. Allerdings macht Serbien am deutlichsten klar, wie einschneidend die auf der 5G-Technologie beruhenden Smart Cities sind, zumal sie die Rolle ihres Gastlandes übernehmen, um unter dem Deckmantel des Versprechens von Sicherheit und Schutz hochgradige Überwachungssysteme einzurichten.

Ein ungelöster Fahrerflucht-Zwischenfall in Belgrad wurde zum Impulsgeber für die Implementierung des strengen serbischen Überwachungssystems in Zusammenarbeit mit Huawei. Der Täter des besagten Verbrechens wurde mithilfe einer Gesichtserkennungssoftware in China gefangen, was die ohnehin schonenge Beziehung der beiden Nationen zur Schaffung von "Sicheren Städten" verstärkte.

DieseVereinbarung führte zur Installation von 1.000 hochauflösenden Kameras, die Gesichts- und Kennzeichen-Erkennungssoftware an 800 Orten in ganz Belgrad verwenden. Und das obwohl das serbische Gesetz, das die Datenschutz-Folgenabschätzung regelt, noch nicht angewandt wurde.

Gerade deshalb gibt es solche Besorgnisse bezüglich der Smart Cities, denn die Unternehmen, welche die Daten liefern, stellen im Wesentlichen Themen wie den Datenschutz und die Privatsphäre über die Gesetze des Landes.

Die Beziehungen zwischen Huawei und der chinesischen Regierung können liberale Demokratien für Cyberangriffe, Spionage, digitalen Autoritarismus und Informationskriege über das 5G-Netz und die von ihnen betriebenen Smart Cities anfällig machen.

„Aufgrund der Entwicklung und der damit verbundenen Komplexität der Technologie ist es unumgänglich, öffentlich-private Partnerschaften einzugehen, um mit den neuesten Ideen und Systemen Schritt zu halten“, schreibt Clara Alves Rodrigues in ihrem Peer-Review-PapierDigital Gangsters - Are Big Tech Giants Challenging Democracy?

„Folglich agiert die Regierung eher wie ein Makler, der die Dienstleistungen des Privatsektors kauft und organisiert. Der Schutz der Menschenrechte liegt daher in den Händen der Designer der Smart Cities. So kann den Bürgern von Smart Cities das Recht auf Privatsphäre beispielsweise nur dann gewährt werden, wenn es in die Technologie integriert ist, auf der sie basieren, und die Privatsphäre durch Design erzeugt wird.“

Dabei handelt es sich jedoch nicht nur um eine hypothetische Prognose, sondern auch um einen Überblick darüber, was erreicht werden kann. Zumal dies in China bereits in der Praxis umgesetzt wird. Die Umerziehungslager in Xinjiang, Chinas westlichster Provinz, mit Polizeikontrollen, Gesichtserkennung, biometrischer Registrierung, GPS-Tagging, Video- und Kommunikationsüberwachung kennzeichnen einen vollwertigen Hightech-Überwachungsstaat, der rund 1,5 Millionen muslimische Uigureneinsperrt.

Das ist eine Ergänzung zuChinas Sozialkredit-System, welches das Verhalten seiner Bürger bewertet und den Zugang zu Verkehr und guten Arbeitsplätzen unter anderem auf diejenigen beschränkt, welche die Standards erfüllen.

Bis Ende 2018 wurden potenziellen Reisenden 5,5 Millionen Hochgeschwindigkeitsreisen und 17,5 Millionen Flüge verwehrt, weil sie auf einer schwarzen Liste standen. Allein im Juli 2019 untersagte China2,56 Millionen „diskreditierten Unternehmen“ den Kauf von Flugtickets und weiteren 90.000 den Kauf von Bahntickets.

Ein Kalter Krieg der Technologien zwischen den USA und China 

Dies ist nicht nur eine Bedrohung auf individueller Ebene, sondern schafft zwischen den beiden größten Supermächten auch einen potenziellen geopolitischen Unruheherd vor den Toren Europas.

Dasharte Durchgreifen der Trump-Regierung gegen Huawei ist Teil eines breit angelegten Handelskrieges zwischen den USA und China, der auch wegen angeblicher Spionage durch das Unternehmen und anderer nationaler Sicherheitsbedrohungen geführt wird. Während die USA aufgrund der Gefahr außergerichtlicher staatlicher Interventionen früher die Unterstützung ihrer europäischen Freunde hatten, haben sich das Vereinigte Königreich, Deutschland, Frankreich und die Niederlande inzwischenzurückgezogen.

Im September hat Polen Huawei jedocheinen Schlag versetzt, indem es ein Abkommen mit den USA zur Stärkung der Zusammenarbeit bezüglich der 5G-Technologie unterzeichnet hat. Und obwohl die chinesische Telco nicht direkt erwähnt wurde, wurde sie in der gemeinsamen Erklärung durch die Notwendigkeit einer „sorgfältigen und vollständigen Bewertung von 5G-Komponenten- und Softwareanbietern“ jedoch indirekt involviert.

US-Vizepräsident Mike Pence sagte, Polens Vereinbarung mit den USA zur 5G werde „ein wichtiges Beispiel für den Rest Europas sein“.

Das 5G-Rennen und die damit verbundenen Smart Cities gehen also weit über die Frage eines Netzbetreibers hinaus. Allerdings geht es anscheinend entweder direkt oder indirekt um die Ausrichtung einer Nation auf die USA oder China, zumal dies in naher Zukunft vom Business bis zum täglichen Leben alles umfassen wird.

Bis 2024 werden rund 40 Prozent der Weltbevölkerung und rund 22 Milliarden Geräte – von Autos über Kühlschränke und Mobiltelefone bis hin zu Ampeln – im 5G-Netz sein und damit unsere Lebensweisen völlig verändern.

Eine Bedrohung für die Demokratie

Der von Google durch seinealgorithmische Manipulation vor den US-Präsidentschaftswahlen 2016 nachgewiesene Demokratie-Verstoß hat die Warnzeichen für die Fähigkeiten und Absichten von Big Tech geliefert, insbesondere wenn deren Macht zu groß wird oder unangefochten bleibt.

Und so entstehen intelligente Städte, in denen gerade diese Unternehmen weit mehr als nur Suchmaschinen oder Netzbetreiber sind, sondern alle Aspekte der persönlichen Daten managen und als Verhaltens-Schiedsrichter fungieren: So entsteht ein Schlitterpfad, zumal diese Technologie-Riesen nicht nur Wählerstimmen beeinflussen, sondern die Menschheit nach ihrem gewünschten Bild formen können.

Das Problem sind nicht die technologischen Möglichkeiten, sondern wer diese Städte programmiert und zu welchem Zweck.

Der Wunsch, bestimmte drängende Fragen des städtischen Lebens zu lösen, ist gerechtfertigt. Und dafür sind diese intelligenten Städte, die mit 5G-Technologie arbeiten, hochattraktiv.

Springt man jedoch zu voreilig auf den 5G-Zug auf, drohen Themen wie Privatsphäre und Demokratie besondere Gefahren.

Cet article est publié en partenariat avec the European Data Journalism Network

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