Auslese: Schmeißt sie die Eurozone?

Veröffentlicht auf 11 März 2011 um 14:52

Es gipfelt unentwegt in Europa. In Brüssel wollen die Spitzenpolitiker der Eurozon einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise finden. Nur eine einzige Frau kann dabei anscheinend das Auseinanderfallen der EU verhindern, so tönte es diese Woche in der Presse. Doch ist Angela Merkel dieser Aufgabe gewachsen? In Frankreich zum Beispiel sehen einige Journalisten ernste Verschleißerscheinungen Angela Merkels im Amt.

„Aus französischer Sicht kann Angela Merkels Position nur Neid erregen“, schreibt die Pariser Zeitung Le Monde. „Das deutsche Wirtschaftswachstum ist ungetrübt, die CDU, der sie vorsitzt, ist beliebt wie nach dem Wahlsieg 2009, und die nächsten Bundestagswahlen stehen erst im Herbst 2013 an. Verglichen mit Nicolas Sarkozy kann die deutsche Kanzlerin nicht klagen. Aus Berliner Sicht sieht das aber ganz anders aus. Die politische Tagesordnung im März dürfte für die Kanzlerin eine der gefährlichsten ihrer Amtszeit werden. Im Gegensatz zu Sarkozy, der praktisch niemandem Rede und Antwort stehen muss, hat Merkel bei den beiden kommenden EU-Gipfeln zur Zukunft der Eurozone nur einen minimalen Spielraum.“ Die Kanzlerin befinde sich 2011 permanent im Wahlkampf. Aber „zu Merkels Unglück wird es kaum zu den Prioritäten ihrer EU-Partner gehören, die Stuttgarter Wähler nicht zu vergraulen.“

„Kann Sie Europa zusammenhalten?“ Mit dieser frage macht der Economist diese Woche auf. „Deutschlands Kanzlerin hält die Zukunft Europas in ihren Händen.“ Als größtes Gläubigerland habe Deutschland den Schlüssel zur Bewältigung der Schuldenkrise, und habe zudem als der wirtschaftliche Riese des Kontinents den größten Einfluss auf die Neuausrichtung der EU. Das Londoner Magazin fürchtet, dass die Union sich vom Wirtschaftsliberalismus entfernen könnte, was in letztere Konsequenz zur Teilung der EU in Eurozone und Nicht-Eurozone führen könnte. Ein Rückzug Großbritanniens wäre damit nicht mehr ausgeschlossen. „Frau Merkel scheint blindlings auf diese Gefahr hinzusteuern. Trotz aller ihrer gesunden Instinkte und politischen Kompetenzen scheint sie keine Perspektive für die EU zu haben. Und in ihren Bemühungen, ihren Landsleuten zu versichern, dass sie den verschwenderischen Randstaaten teutonische Disziplin aufnötigt, lässt sie es zu, dass der Eurozone beim Aufbau der EU-Wirtschaftspolitik eine immer größere Rolle zukommt.“

„Das Zentrum des EU-Entscheidungsprozesses zieht nach Deutschland“, finden auch die Kollegen der Warschauer Dziennik Gazeta Prawna. Angela Merkels Wettbewerbspakt könnte „der Beginn einer vollständigen Änderung der Europäischen Union sein. Ebenso wichtig wie der Pakt selbst, ist der Weg, auf dem er durchgepeitscht werden soll. Aber das erscheint den Kollegen von Dziennik schon ganz schlüssig: „In drei Jahren Wirtschaftskrise stellte sich heraus, dass die Europäische Kommission keine Ahnung hat, wie sie erst die Banken und dann die einzelnen Länder der Eurozone vor dem Bankrott retten soll. Alle Maßnahmen wurden in Berlin entwickelt. Zweitens hat Brüssel keine zusätzlichen Gelder, um die Union zu heilen. Auch hier ist Deutschland unverzichtbar. Schließlich ist Deutschland die einzige große europäische Wirtschaft mit starkem Wachstum. Niemand sonst konnte beweisen, das seine Reformen auch wirklich funktionieren.“

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Über diese deutsche Schlüsselstellung ist man in Irland wenig glücklich. Schließlich wollte Regierungschef Enda Kenny die irischen Strafzinsen für das europäische Rettungspaket herunterhandeln und findet sich in einem Katz-und-Maus-Spiel mit der Kanzlerin wieder. Diese koppelte gestern eine Zinssenkung für Dublin an eine Erhöhung der irischen Körperschaftssteuer. „Die deutsche Bundeskanzlerin, berüchtigt für Kurswechsel und Kehrtwenden in letzter Minute, überraschte gestern Abend die europäischen Politiker mit einem Angebot an Irland und Griechenland, das noch vor 48 Stunden unmöglich schien. Zum Unglück von Taoiseach Enda Kenny handelt es sich um ein Angebot, dass er wohl wird ablehnen müssen“, schreibt der Irish Independent. Denn zu groß sei die Gefahr, das Unternehmen, gerade aus den Vereinigten Staaten, dem ehemals keltischen Tiger den Rücken kehren, so das Blatt aus Dublin.

Wohin also führt uns diese deutsche Wirtschaftsstärke? Die schmeichelnden Nachrichten kommen aus Italien. Es geht um „Cool Germania“, oder „Wie Deutschland die Welt erobert“, so titelt die römische Tageszeitung La Repubblica, die auf das BBC-Ranking, das Deutschland als beliebtestes Land der Welt auswies, zurück kommt. Deutschlands wirtschaftliche Stärke verleihe dem Land endlich auch kulturelle Anziehungskraft. „Während und nach der Wirtschaftskrise hat Deutschland sich das positive Image eines blühenden, demokratischen, stabilen und weltoffenen Landes zugelegt“, weiß das Blatt zu berichten. Auch in Sachen Tourismus ist es mittlerweile auf Platz 2 in Europa hinter Spanien gerückt. Hauptattraktion? Die Hauptstadt. „Berlin ist der große Magnet, jung und kosmopolitisch, ein London in Mitteleuropa. Aber auch augenscheinlich kalte Städte, wie das Finanzzentrum Frankfurt erleben einen Zustrom von Touristen.

Noch ein Berlin-Fan: Paul Trynka begiebt sich im Independent auf Spurensuche David Bowies in die deutsche Hauptstadt. „Berlins einzigartige Atmosphäre, bohemian aber unprätentiös, abgenutzt aber glamourös, veränderte die Popmusik. Heute ist die Stadt, die einen von Englands größten Musikern inspirierte, damit beschäftigt sich neuzuerfinden.“ Fazit nach einem Rundgang von Schöneberg über das Brücke-Museum nach Mitte: „David Bowie hätte gemocht, wie die Leichtigkeit eines Ortes wie per Airbrush an einem anderen plötzlich auftaucht: Berlin bleibt doch Berlin.“

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