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Auslese: “Wie die Außerirdischen”

Veröffentlicht am 13 Januar 2012 um 11:45

Der Kern der Krise will vermieden werden. So sieht laut Europas Presse die Bilanz einer Woche Vorgipfel zwischen Deutschland, Frankreich und Italien in der Euro-Krise aus. “Wie Außerirdische”, staunt Respekt in Prag. Traumtänzer, moniert România liberă in Bukarest.

Hallo Krise! Die Saison 2012 der Euro-Saga startete diese Woche mit zwei Vorbereitungstreffen für den EU-Gipfel Ende Januar. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy war Gast im Kanzleramt, dann Italiens Regierungschef Mario Monti, und Europas Euro ist zurück in den Zeitungen.

Verdächtig nach 2011 klingt aber die Pressebilanz der Woche: Der Euro ist nicht mehr gerettet als im Dezember, und die Politik ("sie sträuben sich, sie zögern, stellen Bedingungen, spielen auf Zeit") tanzt um den Kern des Problems herum: An Griechenlands Fast-Pleite und dem noch nicht funktionstüchtigen Rettungsmechanismus vorbei geht es...

“Sanft in den Abgrund”, findet das Pariser Wirtschaftsblatt Les Echos.

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Keiner der Notfälle, die Thema mehrerer 'historischer Gipfel' waren, wurden gelöst. [...] Nicolas Sarkozy und Angela Merkel verströmten in Berlin ein Gefühl der Machtlosigkeit, während wir vier Vorzeichen der Katastrophe zählen. Das erste ist das unmittelbare Bevorstehen einer Pleite Griechenlands. Das zweite ist das Misstrauen gegenüber allen Ländern der Euro-Zone, mit Ausnahme Deutschlands. Das dritte ist der Interbankenverkehr, der größtenteils auf Eis liegt, da die Geldhäuser sich gegenseitig nicht mehr vertrauen. Das vierte ist der Rückzug auf Kurzfristiges: für Staaten und Unternehmen verkürzt sich die Darlehensdauer.

Und da schreckten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy davor zurück, “den Kern des Problems” anzugehen, bedauert in Warschau Rzeczpospolita.

Die beiden Politiker wissen noch nicht, woher das Geld – falls notwendig – für eine Rettung Spaniens oder Italiens herkommen sollte. Genauso wenig haben sie einen Notfallplan für Griechenland (falls die Verhandlungen mit den Gläubigern scheitern sollten). Sie zögern, die Banken zu rekapitalisieren und gleichzeitig weichen sie allen Fragen aus, wie eigentlich die durch den Euro ruinierten Länder gerettet werden sollen. Ihre Strategie ist eine Strategie der Niederlage.

Die Finanztransaktionssteuer ist so ein Vorschlag: Mit ihr haben Merkozy alias Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in Berlin viel Zeit verbracht, aber voll daneben gehauen, schreibt in Prag Respekt: Zu schnell, wirklichkeitsfern und obendrauf eine Themaverfehlung. Die Wirklichkeit in Euroland erfordere ein Konzept für mehr Wachstum. Ideen wie eine schnell durchgedrückte Tobin-Steuer lassen Wirtschaftsjournalist Jan Macháček Unglaubliches befürchten: “Die Außerirdischen landen in Berlin”.

Je öfter sich das europäische Spitzenduo trifft, desto mehr erwächst der Eindruck, dass sie mit Ideen aufwarten, die überhaupt nichts mit der Schuldenkrise zu tun haben. Dafür gibt es nur zwei Erklärungen: Entweder sie reden in Wirklichkeit über ganz andere Dinge (von denen die Öffentlichkeit nichts wissen soll), oder das Führungsduo ist in die Hände von Außerirdischen gefallen. Das Auto hat platte Reifen, der Motor ist hin, und die Chefs sind dabei, die Scheibenwischer zu reparieren.

Auch in Bukarest meint man, Merkozy gipfele an den wahren Problemen vorbei und bringe die Londoner City mit dem Traumgebilde Tobin-Steuer unnötig in Bredouille, so România liberă.

Die Tobin-Steuer ist ein Umverteilungsinstrument geworden. Darum sehen so viele, von Viktor Orban und Merkozy bis zur Occupy-Bewegung darin ein Mittel für soziale Gerechtigkeit. Sie beschuldigen jetzt die Weltfinanz aller Übel und tun als seien sie ganz verzaubert von dieser Steuer. Das deutsch-französische Paar arbeitet unter der gefährlichen Annahme, dass Zwangsmaßnahmen bei den Märkten etwas bringen. Die Unterschiede zwischen europäischen Volkswirtschaften ändern sie damit nicht. Keine Finanztransaktionssteuer der Welt könnte das. Gegen die Realität lässt sich nicht kämpfen.

Kurz – so sieht es Cartoonist Bertrams im Groene Amsterdammer: Die Uhr tickt, Merkozys Kampf geht weiter. Entschlossen. Im Kreis.

In Zusammenarbeit mit Spiegel Online.

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