Ist das der selbe Mann? Martin McGuinness in den Jahren 1985, 1997 und 2007

Die radikale Wende des Martin McGuinness

Nordirlands erster Minister, Martin McGuinness, hat seine Kandidatur für die irischen Präsidentschaftswahlen am 27. Oktober bekannt gegeben. The Independent erinnert an die zweifelhafte Karriere dieses Mannes, der vom IRA-Anführer zum Friedensstifter und Politiker wurde.

Veröffentlicht am 29 September 2011 um 14:47
Ist das der selbe Mann? Martin McGuinness in den Jahren 1985, 1997 und 2007

Martin McGuinness, der Kandidat der Sinn Fein für die irischen Präsidentschaftswahlen, hat einen langen, langen Weg zurückgelegt, seitdem er den Hardlinern der IRA zu versichern pflegte, dass die Organisation niemals die Waffen niederlegen und ihren “bewaffneten Kampf” aufgeben würde.

In den frühen Zeiten des Friedensprozesses war er dafür zuständig, die militanten Zweifler zu beruhigen, die vermuteten, Gerry Adams und andere republikanische “Tauben” gingen beim Neuentwurf der republikanischen Orthodoxie womöglich zu schnell vor – und auch zu weit.

“Unsere Haltung ist eindeutig und sie wird sich niemals, niemals, niemals ändern”, betonte er 1986 mit seiner typisch unverblümten Art bei einer Konferenz der Sinn Fein. “Der Krieg gegen die britische Herrschaft muss fortgesetzt werden, bis die Freiheit erreicht ist.”

Heute jedoch hat die IRA ihre Waffen aus dem Verkehr gezogen und die Bühne verlassen. McGuinness verfolgt das Ziel eines vereinten Irlands nur noch durch politische Mittel und erklärte gestern, dass er – sollte er zum Nachfolger von Mary McAleese gewählt werden – durchaus darauf vorbereitet sei, die Queen zu treffen.

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Die Regierungen in London, Dublin und Washington machen sich keine Illusionen über seine Karriere als führendes Mitglied der IRA, während welcher er wahrscheinlich Hunderte von Schießereien und Bombenanschlägen genehmigt hat. Die Unionisten wissen das auch, doch mit ihren Wahlstimmen haben sie die Partnerschaftsregierung gutgeheißen, die er zusammen mit ihren Abgeordneten leitet.

Vom Guerillaführer zum Präsidentschaftskandidaten

Sein Weg vom Guerillaführer zum Präsidentschaftskandidaten war lang und kurvenreich, viele Menschen starben dabei. Er trat der IRA in seiner Heimatstadt Londonderry bei, lange bevor die Fallschirmjäger dort am Blutigen Sonntag 1972 dreizehn Personen töteten. Sogar als junger Mann war er eine wichtige Persönlichkeit bei der IRA, er gehörte zu einer Gruppe, die später in jenem Jahr im Londoner Stadtteil Chelsea ein ultrageheimes Meeting mit einem Minister des Kabinetts abhielt.

Innerhalb weniger Jahre hatten sich die Sicherheitskräfte niedergelassen, um gegen das anzukämpfen, was die IRA den “langen Krieg” nannte. Dem lag der Vorschlag zugrunde, anhaltende Gewalt werde die Briten zum Umdenken zwingen, was wiederum zum Abzug aus Nordirland führen sollte. Letztendlich war es jedoch die IRA-Spitze, mit Adams und McGuinness, die umdachte und den Schluss zog, ein Abzug sei wohl nicht mehr zu erwarten. Nach und nach entwickelte sie die Alternatividee, die Republikaner sollten zur Politik übergehen.

Überraschend an diesem Prozess war unter anderem, dass sich McGuinness als ein ebenso überragender Politiker herausstellte wie er auch ein überragender IRA-Kommandant gewesen war. Er wurde zum wichtigsten Verhandlungsführer der Sinn Fein, Adams und er verbrachten zahlreiche Stunden im vertraulichen Gespräch mit Tony Blair. Danach nahm er ein Amt in der Verwaltung von Belfast an, und entsetzte die Unionisten, als er Erziehungsminister wurde. Doch obwohl er selbst als Teenager von der Schule abgegangen war, erwies er sich als bemerkenswert fähiger Administrator.

Ebenfalls überraschend war, dass er einen persönlichen Charme an den Tag legte, der viele frühere Gegner für ihn einnahm – der bekannteste davon ist der Geistliche Ian Paisley, der sich recht gut mit ihm anfreundete.

Für die Einheit Irlands, ohne Waffen

McGuinness erreichte einen wichtigen Meilenstein vor zwei Jahren, als er in einem spannungsreichen Moment gewalttätige republikanische Splittergruppen als “Verräter” anprangerte. Ein weiterer Meilenstein war, als er zusammen mit der Sinn Fein die Nationalisten dazu drängte, sich mit der Polizei zusammen zu tun. Sein Ziel der irischen Einheit verfolgt er nach wie vor, doch die Waffen sind verschwunden.

Manche republikanische Dissidenten sind darüber verärgert, doch zahlenmäßig sind sie denen, die den neuen Pragmatismus vertreten, weit unterlegen. Das sieht man an den zunehmenden Wahlstimmen für die Sinn Fein. Sie steht nicht mehr weit davor, die größte Partei in Nordirland zu werden, wo sie heute die vorherrschende nationalistische Macht ist.

Südlich der Grenze hat sie weniger zugelegt, wurde jedoch dieses Jahr zur viertgrößten Partei. Durch die Kandidatur von McGuinness wird sie sich noch weiter profilieren. Wenige sagen ihm einen Wahlsieg voraus, doch falls er ansehnlich abschneidet, wird das ein neuer Schritt auf seinem langen Weg zur politischen Macht sein.

Übersetzung aus dem Englischen von Julia Heinemann

Kontext

Aufregende Wahl

"Martin McGuinness I., der Präsident des Volks", titelt An Phoblacht, das offizielle Sprachrohr der irischen nationalistischen Partei Sinn Féin, optimistisch. Die Tatsache, dass sich der ehemalige IRA-Führer um dieses, wenn auch lediglich repräsentative Amt bewirbt, macht den Wahlkampf "für eine ganze Generation zu einem faszinierenden Wettstreit", meint der Belfaster Korrespondent von The Observer.

Allerdings "wird er die gesamten vier Wochen der Kampagne über mit seiner IRA-Vergangenheit und insbesondere seiner Behauptung konfrontiert werden, er habe der Provisionals (Provisional Irish Republican Army) bereits 1974 den Rücken gekehrt". Dies bestreitet u. a. der pensionierte Leiter der Garda Síochána (Nationalpolizei der Republik Irland), für den "McGuinness dem IRA-Armeerat bis zum Friedensprozess der 1990er Jahre angehörte."

Zu den wichtigsten der sieben Kandidaten gehören: Der beliebte ehemalige Minister Michael D. Higgins der Irish Labour Party, die ehemalige EU-Abgeordnete und Gewinnerin des Eurovision-Song-Contest von 1970, Dana, die auf die Stimmen der traditionellen Katholiken hofft, und Senator David Norris.

Eigentlich hatte sich der bekennende Homosexuelle und Joyce-Gelehrte im August aus dem Rennen zurückgezogen, als bekannt wurde, dass er die israelischen Behörden darum gebeten hatte, einen seiner Liebhaber zu begnadigen, nachdem man diesen für Geschlechtsverkehr mit Minderjährigen verurteilt hatte. Laut Meinungsumfragen ist er mit 21 Prozent dennoch der beliebteste Kandidat (18 Prozent der Befragten sind für Higgins und 16 Prozent für McGuinness).

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