Nachrichten Vertrag von Lissabon
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr irischer Amtskollege Brian Cowen in Berlin, Dezember 2008. (AFP)

Irland sollte Ja sagen, für Deutschland

Wahrscheinlich wird Angela Merkel noch in diesem Monat wieder zur Kanzlerin gewählt werden. Anders als ihre Vorgänger zeigt sie ihre Begeisterung für die europäische Einigung, die für ehemals verarmte Nationen wie Irland so viel Gutes bringt, nicht immer und überall auf demonstrative Art. Für Thomas Molloy wird dies einer der wichtigsten Gründe dafür sein, dass die irischen Wähler dem Vertrag von Lissabon am 2. Oktober zustimmen werden. Der erlahmenden EU könnte man so wieder zu neuer Lebenskraft verhelfen.

Veröffentlicht am 23 September 2009 um 16:27
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr irischer Amtskollege Brian Cowen in Berlin, Dezember 2008. (AFP)

Die Deutschen werden in einigen Tagen wählen. Das wahrscheinliche Ergebnis – der Sieg von Kanzlerin Angela Merkel – zeigt, warum die irischen Wähler sich für den Vertrag von Lissabon aussprechen sollten, wenn sie fünf Tage später an die Urnen strömen.

Der Weg Angela Merkels als Kanzlerin ist für viele Menschen in verschiedenster Art beispielhaft. Sie ist die erste Ostdeutsche und die erste Frau, die in Deutschland dieses Amt ausübt. Noch wichtiger ist aber, dass sie die erste Kanzlerin ist, welche die schreckliche Geschichte Deutschlands nicht am eigenen Leib erlebt hat.

Ihre männlichen Vorgänger, beispielsweise Helmut Kohl und Helmut Schmidt, hatten den Krieg selbst erlebt. Genau dies schien ihnen den nötigen Ansporn zu verleihen, das Europa zu schaffen, welches wir heute kennen. Ihre eifrige Unterstützung der europäischen Einigung erfasste auch die ärmeren Länder, wie das unsrige, und ermöglichte uns, ein modernes Irland aufzubauen. Auch wenn sie sich der Vergangenheit Deutschlands bewusst sind, teilen Kanzlerin Merkel und ihre eventuellen Nachfolger nicht das so begeisterte Interesse an der EU, das noch ein Kanzler Kohl hatte.

Deutschland wird normal

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Kurz gesagt ist Deutschland dabei, in Windeseile ein ganz normales Land zu werden. Und normale Länder tun das, was auch wir schon immer getan haben: Sie kümmern sich im sich selbst. Wer daran zweifelt sollte sich einmal die deutschen Beziehungen zu Russland ansehen. Merkel hat ihren gigantischen Nachbarn zielsicher dazu gebracht, die Gasversorgung für Deutschland abzusichern. Noch vor zehn Jahren hätte Deutschland diesen Alleingang nur mit Unbehagen unternommen. Es hätte versucht, die Versorgung für ganz Europa abzusichern. Zudem hätte es sich ganz eindeutig gegen das russische Vorgehen in Angelegenheiten wie Georgien ausgesprochen.

Heutzutage verfolgt Deutschland zunehmend seine eigenen Interessen. Ebenso wie Frankreich und Großbritannien das auch machen. Es kommt nicht von ungefähr, dass wir das deutsche Wort Realpolitik in den internationalen Beziehungen verwenden, wenn wir politische Programme beschreiben, die nicht so sehr auf moralischen oder ideologischen Gesichtspunkten beruhen, sondern in der Praxis verankert sind.

Dass Deutschland wieder als ein normales Land gelten kann, ist jedoch ein Grund zum Feiern. Nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht ist Deutschland Europas Kraftwerk, sondern auch militärisch gesehen. Seine virtuelle Abwesenheit von der Welt der internationalen Beziehungen hinterließ ein politisches Vakuum, welches hin und wieder von wahnwitzigen Nachbarn gefüllt wurde. Doch so sehr man diese unausweichliche und unumkehrbare Entwicklung auch begrüßen sollte, für uns hier in Irland bedeutet sie eine Reihe von Herausforderungen. Wenn der einst Wohlstand verheißende Motor der europäischen Integration nun nur noch stottert, dann sind wir und auch andere kleinere Nationen dazu gezwungen, uns darauf einzustellen, dass das europäische Projekt den Bach runtergeht, und wir dabei zusehen müssen.

Merkel ist nicht gleich Kohl

Hier in Irland haben wir einige Auswirkungen der neuen deutschen Einstellung zur europäischen Einigung schon zu spüren bekommen. Noch in den neunziger Jahren hätte Kanzler Kohl, als schlauer und ein wenig aufgeblasener Klientel-Politiker (so wie man sie hierzulande oft antrifft), eine Art Landwirtschaftspaket auf die Beine gestellt, um skeptische Interessengruppen wie die Landwirte und Bauern zu locken und davon zu überzeugen, dass sie "Ja" stimmen. Kurz gesagt hätte er es geschafft, das Referendum zum Vertrag von Lissabon mithilfe von Geld und bedeutungslosen Verträgen und Abkommen zu erkaufen.

Dieses Mal hat es keine solcher finanziellen Anreize gegeben. Lediglich verlangte der Rest der EU mit eisiger Höflichkeit eine zweite Abstimmung. Die anderen Regierungen machten sich nicht einmal die Mühe, uns ein überzeugendes Feigenblatt zu liefern, als sie sich in die Kampagne stürzten. Und es besteht kein Zweifel daran, dass sie über unseren "unlogischen und wirklichkeitsfernen" Bedenken zu Fragen wie Abtreibung und Militärkonflikten erbittern und verzweifeln.

Stab geht an eine neue Generation von Deutschen

Das soll aber nicht bedeuten, dass Deutschland nichts unternommen hat, um uns zu helfen. In der Tat war es Kanzlerin Merkel, die dieses Jahr sagte, man würde Irland zu Hilfe eilen, wenn die Wirtschaft einstürzen würde. Das hauchte unserem Schicksal auf dem Wertpapiermarkt wieder Glück ein und reduzierte die Kosten für irische Kredite und Anleihen. Während sie für diese Garantie von unserem Land wertvolle kleine Danksagungen erhielt, war man weltweit vielmehr damit beschäftigt, Irland mit Island zu vergleichen und gegen unser weiteres Überleben Wetten abzuschließen.

Um John F. Kennedys Worte zu umschreiben: Die Fackel wurde an eine neue Generation von Deutschen weitergegeben, die nach dem Krieg geboren wurde und in einem florierenden Frieden aufgewachsen ist. Sie ist nicht mehr bereit, immer und immer wieder für die Sünden und Verbrechen ihrer Väter zu bezahlen.

Diese Wirklichkeit steht nunmehr im Mittelpunkt und bedeutet für Europa, dass es sich nicht mehr im Autopiloten-Modus befindet. Genau aus diesem Grund müssen wir hier in Irland umso mehr auf die europäische Integration aufpassen. Wenn die Deutschen ihre Begeisterung verlieren, müssen wir um so euphorischer werden, oder eben damit klarkommen, dass Europa zu einer Zeit straucheln und fallen wird, in der andere Supermächte im fernen Osten emporsteigen.

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