Spice, eine "Kräutermischung" mit unsicheren Nebenwirkungen. (Bild: Schorle)

Es rauscht im Kräutergarten

Ob als Räucher- oder als Gewürzmischung: Spice wird bei den Kiffern immer beliebter. Das Produkt mit synthetischen Cannabinoiden als Wirkstoffe alarmiert die europäischen Gesundheitsbehörden. Doch ist es nur schwer nachzuweisen und somit auch schwer zu verbieten, schreibt Libération.

Veröffentlicht am 1 Oktober 2009 um 11:24
Spice, eine "Kräutermischung" mit unsicheren Nebenwirkungen. (Bild: Schorle)

Vorsicht! Synthese-Hasch! In dem Cannabis-Ersatz, der seit mehr als fünf Jahren unter der Bezeichnung 'Spice' ganz legal im Internet angeboten wird, wurden pharmakologisch noch stärkere Substanzen nachgewiesen als THC, der Hauptwirkstoff der Hanfpflanze. Das Phänomen der Mode-Drogen trifft nun also auch die Kiffer-Szene. Ein neues Katz-und-Maus-Spiel zwischen einer handvoll Labors und den Behörden hat begonnen, wobei die Maus einen ordentlichen Vorsprung zu besitzen scheint.

Seit Anfang des Jahres setzen immer mehr europäische Länder neue Substanzen unter der Bezeichnung 'Drogen' auf die Verbotslisten, manche davon mit quasi esoterischen Namen: JWH-018, CP 47497, HU-210. Und die Liste ist sicherlich noch lange nicht vollständig. Deutschland und Österreich reagierten im Januar als Erste mit einem Verbot, gefolgt von Frankreich im Februar, Polen und Luxemburg im Mai, sowie Schweden am 15. September. Weitere Verbote gab es auch in anderen nicht europäischen Ländern.

Im Mittelpunkt des Gefechts steht eine Kräutermischung die — legal — in 3-Gramm-Tütchen mit der Aufschrift "Not for Human Consumption" verkauft wird. Offiziell handelt es sich um eine Räuchermischung. Inoffiziell wird es geraucht. Spice gehört zu dem Dutzend Hasch-Ersatz-Produkten, die im Internet oder in einigen Headshops frei zum Verkauf angeboten werden. Diese Produkte versprechen zwar "legal highs" (den legalen Rausch), sind in der Regel aber ohne echte Wirkung. Spice ist die Ausnahme.

Legaler Rausch mit Wirkung

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2006 werden Drogenexperten stutzig, als sie auf Kiffer-Foren im Internet Lobeshymnen auf das neue Produkt lesen. Spice gab es zwar schon ab 2004, doch der Durchbruch kam erst zwei Jahre später. Preis: 20 bis 30 Euro das 3-Gramm-Tütchen. Den ersten Konsumenten zufolge, sind die Wirkungen ähnlich wie beim Cannabis, halten aber länger an (bis zu 6 Stunden). Dazu ist das Produkt noch leicht erhältlich. Die damaligen Analysen weisen aber keine verbotenen Substanzen nach.

Das ändert sich im Dezember letzten Jahres. Auf Anfrage der Kripo Frankfurt untersucht der deutsche Arzneimittelhersteller THC Pharm das Produkt und weist dabei den synthetischen cannabinoidmimetischen Wirkstoff JWH-018 nach. Spice ist also mehr als nur eine harmlose Kräutermischung: die Hersteller haben mindestens eine psychoaktive Substanz beigemengt. Daraufhin warnt die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) vor dem Produkt.

Seither haben verschiedene Forschungsteams weitere cannabinoide Wirkstoffe nachgewiesen wie beispielsweise den Wirkstoff CP 47497 (CP wie Charles Pfizer, jenem Pharmaunternehmen, das die Substanz in den 70er Jahren entwickelte). In diesem Sommer kam ein deutsches Team der Universität Braunschweig einer neuen Variante auf die Schliche. Forscher fragen sich in einem Artikel der Zeitschrift Forensic Science International, ob die Jagd auf synthetische Cannabinoide jemals enden werde, denn es gebe so viele davon (mehrere Hundert). Und solange eine Substanz nicht genau identifiziert ist, kann sie auch nicht verboten werden. Der "legale Rausch" hat allem Anschein nach noch schöne Tage vor sich.

Böse Überraschungen bei zufälliger Überdosis

Die meisten dieser Substanzen wurden entwickelt, um unser System der Cannabinoid-Rezeptoren zu erforschen, da der menschliche Körper körpereigene Cannabinoide produziert. Später wurde die Entwicklung aber aufgegeben, da es keine konkreten therapeutischen Anwendungen gab (mit ein paar Ausnahmen, wie beispielsweise beim Cannabigerol, das sich als blutdrucksenkend und entzündungshemmend erwiesen hat).

Seit Ende Februar ist Spice in Frankreich verboten. Drei der darin enthaltenen cannabinoiden Wirkstoffe wurden auf die Liste illegaler Drogen gesetzt. In Deutschland waren zwar ein paar Überdosis-Fälle zu verzeichnen, dennoch sollten diese Substanzen bei vernünftiger Anwendung nicht gefährlicher sein als THC. Manche Analysen haben aber gezeigt, dass der Gehalt an aktiven Wirkstoffen je nach Tütchen um das zehnfache schwanken kann, was für böse Überraschungen sorgen könnte. "Da einige Wirkstoffe schon bei sehr geringen Dosierungen aktiv sind, ist das Risiko einer zufälligen Überdosierung hoch. Schwere psychische Schäden sind nicht auszuschließen", so steht es in einem europäischen Bericht, der an die nationalen Beobachtungsstellen für Drogen weitergeleitet wurde. Ein weiterer Punkt: Ein Psychiater-Team aus Dresden berichtet im Deutschen Ärzteblatt von einem Abhängigkeits- und Entzugssyndrom bei einem 20-jährigen Patienten, der acht Monate lang große Mengen (3 Gramm pro Tag) von Spice "Gold" (einer der Spice-Sorten) konsumiert hatte.

Die meisten Websites, die das Produkt anboten, haben den Verkauf eingestellt. Aber neue Mischungen mit neuem Namen [sence, gorilla, solar flare, Yucatan fire, smoke, chillX, Earth impact, Moon rocks, galaxy gold, genie, blue lotus, aroma, scope, etc.], so zusammengestellt, dass sie nicht dem Arzneimittelgesetz unterliegen, sind sicherlich bereits in Vorbereitung.

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