Das Ende der föderalen Idee

Dem EU-Gipfel zur Eurokrise am 23. Oktober soll auf Antrag Deutschlands und Frankreichs ein weiterer am 26. Oktober folgen. Doch die Vorgehensweise von Berlin und Paris in der Eurokrise zeigt: Trotz aller Meinungsverschiedenheiten hat sich die bilaterale Methode gegenüber der föderalistischen Idee durchgesetzt, meint Le Figaro.

Veröffentlicht am 21 Oktober 2011 um 13:39

Ein Verdienst hat die Eurokrise: Mit ihr kam die europäische Integration wieder auf die Tagesordnung. So wie es vor der Krise völlig außer Frage stand, erneut die Büchse der Pandora neuer Verträge zu öffnen, genauso werden heute institutionelle Reformen verlangt. Die Frage ist, auf welches Europa man sich einigen will und welche Maßnahmen durchgesetzt werden können.

Paris und Berlin sind das neue Zentrum Europas

Da die Eurozone in Gefahr ist, erscheint eine größere Integration der Währungsunion als klare Priorität. Eine Sache, die mit dem Aufbau einer echten Wirtschaftsregierung und einer koordinierten Haushalts- und Finanzpolitik innerhalb der Eurozone bereits ins Rollen gekommen ist. In schwierigen Zeiten fühlt jeder deren Notwendigkeit. Frankreich und Deutschland haben das Ruder übernommen und wollen mit gutem Beispiel vorangehen. Der fünfzigste Jahrestag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags wird ein Meilenstein für die deutsch-französische Integration sein.

Trotz aller zwischenmenschlichen Schwierigkeiten haben sich Angela Merkel und Nicolas Sarkozy im Laufe der Zeit als der harte Kern bei der Bewältigung der Eurokrise hervorgetan. Dass die beiden größten Volkswirtschaften eine bedeutende Rolle übernehmen würden, lag auf der Hand. Die Präferenz für eine zwischenstaatliche Methode, die bereits zu Zeiten, als die EU-Kommission noch Motor der Integration war, der gemeinschaftlichen Methode den Rang abgelaufen hatte, hat sich einmal mehr bewährt.

Berlin und Paris wurden zum Zentrum Europas. Brüssel ist nichts weiter mehr als Intendanz. Die "föderale" Idee entspricht nicht mehr der Wirklichkeit.

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Eine Entwicklung, welche die kleineren Länder nur widerwillig akzeptieren werden, wie der niederländische Vorschlag zeigt, man solle einen neuen Posten für einen EU-Kommissar schaffen, der die Haushalte der strauchelnden Länder kontrolliert, welche Hilfen aus dem Europäischen Stabilitätsfonds beantragen.

Unter der Federführung von Paris und Berlin geht die Konsolidierung der Währungsunion einher mit einem stärkeren Gewicht der einzelnen Staaten, wie die Kür des Herman Van Rompuy zum "Mister Eurozone" beweist.

"Ein Europa der zwei Geschwindigkeiten"

Man wird auf die — vor allem von Deutschland — geforderte "demokratische Kontrolle" über die Entscheidungen innerhalb der Eurozone eingehen müssen. An Ideen fehlt es nicht. Dazu braucht es kein neues Parlament, aber man könnte, wie es beispielsweise Guillaume Klossa vom Think Tank Europa Nova tut, eine neue Instanz in Erwägung ziehen, die sich aus nationalen Abgeordneten, Europaparlamentariern und Mitgliedern dieser oder jener Kommission zusammensetzt.

Es ist auch interessant festzustellen, wie gleichgültig die Briten, die nicht der Eurozone angehören, den Anstrengungen der siebzehn Euroländer zu mehr Integration gegenüberstehen. Die immer euroskeptischere Regierung David Camerons scheint sich keinen Deut darüber zu sorgen, von den wirtschaftlichen Entscheidungen auf dem Kontinent ausgeschlossen zu werden.

Andere hingegen zeigen sich besorgt über ein entstehendes "Europa der zwei Geschwindigkeiten". Schweden beispielsweise, das auch nicht der Eurozone angehört. In einem Gastkommentar in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung warnen Anders Borg und Carl Bildt, respektive Ministerpräsident und Außenminister, vor "dem Entstehen einer neuen Kluft in Europa". Mit einem Hauch von Tücke sagen sie voraus, dass ein Europa der "zwei Geschwindigkeiten" gerade den Ländern der Peripherie — zumindest im Bereich Wachstum — zugute kommen würde, denn deren Volkswirtschaften seien liberaler und wettbewerbsorientierter...

Übersetzung aus dem Französischen von Jörg Stickan

Hinter den Kulissen

EU-Gipfel : Rien ne va plus

Für Der Freitagspielen Angela Merkel und Nicolas Sarkozy bei der Euro-Rettung "europäisches Roulette", wie das Blatt titelt. Und der Süddeutschen Zeitungzufolge herrscht Chaos zwischen den beiden Hauptakteuren des Euro-Krisengipfels am kommenden 23. Oktober. Die Tageszeitung aus München berichtet, dass die beiden europäischen Spitzenpolitiker "seit Beginn der Krise so irrational handeln, dass offen steht, ob der Befreiungsschlag gelingen wird."

So gäbe es denn zwei Versionen über das Treffen von Merkel und Sarkozy am 19. Oktober in Frankfurt. Der Élysée-Palast dementiert Streitigkeiten über die EZB und versichert, dass der französische Präsident "die Geburt seiner Tochter nur deshalb verpasst hat, weil er mit Merkel eine Verhandlungslinie abgestimmt habe, um andere Länder von der [deutschen] Teilkasko-Idee zu überzeugen. [...] Im diplomatischen Berlin lächelt man über die französische Sicht. Teilnehmer des Treffens sprechen von einem denkwürdigen Abend. Merkel und Sarkozy hätten offen gestritten, die Nachricht von der Geburt seiner Tochter hätte Merkel nicht einmal veranlasst, Sarkozy zu umarmen. Später seien beide ohne ein Wort auseinandergegangen."

Doch die schlechte Stimmung beschränkt sich nicht nur auf die deutsch-französischen Beziehungen, hält die Süddeutsche Zeitung fest: "Die Europäische Kommission lässt es sich nicht nehmen, beinahe jeden Tag neue Gesetzesvorschläge zu verkünden, die helfen sollen, die vermeintlichen Feinde der Euro-Länder [...] endlich an die Kandare zu nehmen [...]Hunderte Seiten von Papier warten darauf, gelesen und verstanden zu werden."

Der Bericht der Troika [EZB, EU-Kommission, IWF] hätte eigentlich am 18. Oktober verschickt werden sollen. Anhand der Expertenmeinung sollen die EU-Finanzminister entscheiden, ob Griechenland, die nächste Tranche aus dem ersten Hilfspaket bekommt. Erst am Donnerstag trudelt der Bericht dann ein und "es fehlt die alles entscheidende Passage. Auf Seite 29 des 100 Seiten umfassenden Pamphlets ist der Kasten leer, in dem die Inspektoren beschreiben sollen, ob Athen seine Schulden noch bezahlen kann. Die Europäische Kommission schweigt dazu. Hinter verschlossenen Türen räumt sie ein, dass sich die Troika uneins ist."

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