Nachrichten Vertrag von Lissabon
Junge Prager feiern 2009 und die tschechische Ratspräsidentschaft (AFP)

Warum Prag die kalte Schulter zeigt

Die Tschechische Republik hat wie Polen den Vertrag von Lissabon noch nicht ratifiziert, weil ihr Staatspräsident die Prozedur blockiert. Leider versteht man in Prag mangels einer wahren Diskussion schlechter als in Warschau, was Europa wirklich bedeutet, bedauert Hospodářské Noviny.

Veröffentlicht am 2 Oktober 2009 um 11:15
Junge Prager feiern 2009 und die tschechische Ratspräsidentschaft (AFP)

Über dem Belvedere-Palast inmitten von Warschau, in welchem der polnische Präsident illustre ausländische Gäste empfängt, weht nur eine polnische Fahne. So war es auch letzte Woche, als in dem Palast eine Konferenz stattfand. Zwei Tage lang haben hohe Beamte, Diplomaten und tschechische Journalisten ihre Erfahrung der Europäischen Ratspräsidentschaft mit ihren polnischen Amtskollegen ausgetauscht [die Tschechische Republik hielt im ersten Semester 2009 die wechselnde Ratspräsidentschaft der EU inne, Polen wird im zweiten Semester 2011 die Präsidentschaft führen].

Die polnischen und tschechischen Präsidenten [Lech Kaczyński und Václav Klaus] sind zumindest allem gegenüber sehr reserviert, was einen europäischen Stempel trägt. In gewisser Weise sind sie es, die in ihrem Land die Volksmeinung bezüglich der Europäischen Union lenken. Der tschechische Präsident ist in dieser Hinsicht weitaus aktiver als der polnische. Vielleicht ist dies der Grund, warum es den Tschechen zwanzig Jahre nach dem Fall des kommunistischen Regimes und fünf Jahre nach ihrem Eintritt in die Europäische Union so vorkommt, als wäre das Konzept 'Europäische Union' seines Inhaltes entleert.

Unverständliche Eurosprache

Da gibt es die technisch-bürokratische Ebene, welche die Beamten beider Staaten letzte Woche im Belvedere-Palast perfekt behandelt haben. Ihre Eurosprache war teilweise unverständlich, aber man stellte mit Genugtuung fest, dass sie wussten, wovon sie sprachen. Anscheinend ist es einfacher, die bürokratischen Dinge zu regeln, als sich um den Geldfluss aus den europäischen Fonds zu kümmern. Dies bereitet beiden Ländern Probleme (und übrigens nicht nur ihnen). In der Tat ist hier die Grenze zwischen Bürokratie und Politik nicht mehr klar gezogen, denn schließlich wird die harte Schlacht um die europäischen Gelder auf dem Feld der Politik ausgetragen. Auf politischer Ebene – und das ist die Kehrseite des Euro –, fehlt vor allem eine Grundsatzdiskussion, die sich in diesen Zeiten des bitteren Streites um den Vertrag von Lisabon als besonders nützlich erweisen könnte: Was verstehen wir heute genau unter "Europäischer Union"? Wie sieht ihre Zukunft aus und was sind wir bereit, für sie zu tun? Welchen Platz nimmt sie im Programm der politischen Parteien ein?

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Für zwei Drittel der Tschechen und Polen ist die Integration ihres Landes in die Europäische Union eine gute Sache. Diejenigen, die sich nicht als Europäer sehen, stellen in beiden Ländern nur ein Viertel der Bevölkerung dar. Wie kann sich also die Diskussion um die Europäische Union von einem Land zum anderen so drastisch unterscheiden? In Polen wird der Euroskeptizismus als marginal betrachtet, während er in der Tschechischen Republik die vorherrschende Meinung der Elite ist.

Die Erklärung hierfür scheint auf der Hand zu liegen und gilt auf gewisse Weise auch für die normalerweise nicht vorhandene tschechische Diskussion um den Vertrag von Lissabon: Die Zugehörigkeit Polens zur Europäischen Union wird von seiner Elite und seinen Bürgern als ein Kultursprung angesehen. Erstens ist Brüssel wie eine – fast – bodenlose Goldgrube, die es ermöglicht, Autobahnen und Bahngleise zu bauen. Zweitens ist es eine Ideenmatrix, ein Ort der Erarbeitung von Politiken und Entwicklungsstrategien aller Art. Es ist auch eine Übertragungsachse, über welche Polen Einfluss auf Europa ausüben kann. Diese Meinung wurde in Warschau noch verstärkt, nachdem Barack Obama verkündete, dass die USA das Projekt einer amerikanischen Station zur Raketenverteidigung in Polen aufgegeben haben.

'Falsches und gehaltloses Bild' der europafeindlichen Tschechen

Die allgemeine Auffassung in der Tschechischen Republik sieht den Eintritt in die Europäische Union als eine Rückkehr in den Kreis von Nationen, zu dem das Land früher dazugehörte – dem der höchstentwickelten Demokratien der Welt. Man spricht nicht von Kultursprung. Mit dieser Einstellung als Ausgangspunkt verteidigen die tschechischen Eurooptimisten den Vertrag von Lissabon nicht mit größtem Eifer und lassen den euroskeptischen Präsidenten die Öffentlichkeit dominieren. Hierdurch gewinnt man im Ausland ein 'falsches und gehaltloses' Bild der Brüssel gegenüber feindlich eingestellten Tschechen.

Natürlich darf man die Polen und ihren Nationalismus nicht idealisieren. Aber man kann sie um ihren Enthusiasmus und ihre Vehemenz beneiden, mit welchen sie ihre Interessen in Europa definieren und verteidigen und die Art, mit der es den polnischen Anhängern der Europäischen Union gelingt, auf alle Herausforderungen ihrer euroskeptischen Gegner zu antworten. Es fehlt tatsächlich eine Grundsatzdebatte über den Platz der Tschechischen Republik in Europa. Als hätte man diesen Platz vollständig den geschickten Technokraten und Beamten überlassen, die genau wissen, wie viele Autos man braucht, um eine Delegation von A nach B zu bringen, wie man ein Antragsformular zur Subvention von Biomassen-Energie ausfüllt und die die genaue Bedeutung des "Anhangs Nummer 1 der Weisung des Umweltministeriums Nummer 5/2008 in Kraft" kennen.

Dies sind die Gründe, warum der Vertrag von Lissabon in der Tschechischen Republik auf viele Schwierigkeiten stößt und sich zahlreichen Unklarheiten stellen muss.

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