Filmszene aus Welcome, der Geschichte eines Kurden, der nach Großbritannien möchte (Mars Distribution)

Rom, ewige Stadt für Asylbewerber

Sie haben den Iran durchquert, die Türkei, das Mittelmeer und Griechenland. Nun stecken sie in Italien fest und warten auf die Bewilligung ihres Asylantrags. Cafebabel.com hat die afghanischen Flüchtlinge in Ostiense, im Süden Roms getroffen.

Veröffentlicht am 9 Oktober 2009 um 16:14
Filmszene aus Welcome, der Geschichte eines Kurden, der nach Großbritannien möchte (Mars Distribution)

Entlang der Via Ostiense [im Süden Roms] versuchen sie unter allen Umständen, unbemerkt zu bleiben. Für die afghanischen Flüchtlinge, die in der Hauptstadt gescheitert sind, ist es sehr schwierig, Rom zu verlassen. Unmöglich ist es, dort zu leben. Unmöglich auch, wieder zu verschwinden. "Ich bin hier, weil ich darauf warte, dass man meinen Asylantrag bewilligt", erzählt Samadali. Alle sagen das Gleiche. Den ganzen Tag verbringen sie am Ausgang der Metro. Haltestelle Piramide, Linie B in Richtung Laurentina. In Vierergruppen sitzen sie dort. Zwischen ihnen leere Bierflaschen der Marke Peroni und benutzte Taschentücher. Sie sprechen Paschtu (die Sprache der Paschtunen in Afghanistan) und nehmen sich vor den fremden Menschen um sie herum in Acht.

Einige von ihnen sind noch sehr jung, andere alt. Alle haben einen Asylantrag gestellt. "Ich würde gern woanders hingehen, aber ich sitze hier fest. Ich war gezwungen, in Griechenland Asyl zu beantragen, aber mir ging es schlecht und so bin ich abgehauen. Ich habe dort nicht gearbeitet. Hier arbeite ich hier und da. Ich helfe einem Freund. Ich kann nicht bleiben und ich kann auch nicht weggehen. Ich will nicht wieder nach Athen zurück. Und im Moment könnte ich auch auf gar keinen Fall nach Kabul zurückkehren, der Stadt, in der ich geboren bin."

Ich habe die Guerilla in Afghanistan verlassen

Die Geschichten sind immer gleich. In dem, was ein Einzelner erzählt, klingen die Erfahrungen von allen anderen mit: Den Iran mussten sie durchqueren, die Türkei, dann das Meer und anschließend Griechenland, um letztendlich in Italien anzukommen, wo sie auch wieder nur auf der Durchreise sind oder monatelang warten. Laut der Dublin-II-Verordnung muss der Asylantrag im dem EU-Mitgliedsstaat gestellt werden, in dem die Ausländer einreisen. Sehr oft ist es Griechenland, auch wenn es meist nur als Durchreiseland genutzt wird.

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"Ich wusste nicht einmal, ob ich in Italien bleiben kann, wo ich mich mit meinem Bruder treffen sollte", berichtet ein junger Zwanzigjähriger. "Ich habe nicht einmal daran gedacht, dort Asyl zu beantragen, obwohl sie in Griechenland meine Fingerabdrücke genommen haben. Und auch wenn ich nach Europa gekommen bin, um hier glücklich und beschützt zu leben – aus diesem Grund habe ich die Guerilla in Afghanistan verlassen –, so habe ich doch letztendlich immer das Gefühl, gefangen zu sein. Ich flüchtete ebenso aus Athen, wie ich vorher Ghazni verlassen hatte. Und nichts ist anders. Wo auch immer ich bin, ich bin ein Flüchtling und kein Mensch."

Kommen und Gehen im Lager von Ostiense

Ein wenig vom Bahnhof entfernt hat man Zelte in einem als Schlafstadt dienenden Lager aufgestellt. Ein Zelt am anderen. Zwischen ihnen hängen Kleidungsstücke zum Trocknen. Samadali erinnert das an die Bergkette von Safed Koh. "Riechen Sie einmal an diesem Stück Haut. Das habe ich aus meinem Land mitgebracht!" Ghazni [eine 200 Kilometer im Westen Kabuls liegende Stadt] ist bekannt für die Herstellung von verzierten Tierhäuten. In dieser Bergkette verstecken sich die Taliban.

Durch dieses ständige Kommen und Gehen in den Lagern ist es unmöglich, eine wirkliche Gemeinschaft aufzubauen, oder Solidarität. Alem kommt hin und wieder hierher zurück, um Freunde aus dem Lager zu besuchen. "Ich komme nicht, um eine bestimmte Person zu besuchen", erklärt er. "Es sind nicht viele, die hier bleiben. Im Allgemeinen sind es die Erwachsenen. Ich komme vor allem, um sicher zu sein, dass sie noch immer beschützt werden und es schaffen, zu überleben." Nach dem Tod seiner Eltern ist er mit fünfzehn Jahren in Italien angekommen. Nach der Peloponnes hat er zwei Nächte in Ostiense verbracht: "Danach haben sie mich in eine Gastfamilie geschickt. Nach einer langen und schweren Wartezeit (von zwei Jahren) hat man mir politisches Asyl gewährt. Ich hatte Angst", gibt er zu. Heute lernt Alem in einer Buchhaltungskanzlei in Rom. Seine so beispielhafte Geschichte ist eine der fünf Zeugenberichte, die einen Platz in dem Buch La città dei ragazzi [Die Stadt der Jugendlichen] des Schriftstellers Eraldo Affinatigefunden haben. "Ich würde auch gern schreiben. Meine Geschichte. Mein Buch veröffentlichen", fügt der Afghane mit einem Lächeln hinzu.

von Maria Cerino

Übersetzung von Julia Heinemann (Presseurop)

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