Ideen Rumänien/Griechenland
Ostermesse in Sarichioi, im Osten Rumäniens.

Kirche am Tor zum Fegefeuer

Die krisengebeutelte Bevölkerung in Bukarest und Athen will nicht mehr die Privilegien der orthodoxen Kirche akzeptieren. Wenn sich nichts ändert, wird die Institution einen hohen kulturellen Preis zahlen müssen, warnt România liberă.

Veröffentlicht am 9 November 2011 um 14:26
Ostermesse in Sarichioi, im Osten Rumäniens.

Die Krise, die gegenwärtige über Europa hinwegfegt wird die herkömmliche Architektur der inner- und zwischenstaatlichen Beziehungen so lange verkomplizieren, bis schließlich eine ganz neue Grundlage geschaffen sein wird. Dies ist eine Frage der Zeit, aber wieviel Zeit dieser ganze Prozess in Anspruch nehmen wird und wie genau dann die Welt aussehen wird, das ist schwer vorherzusehen. Hinzu kommt die Handlungsunfähigkeit der westlichen Politikerriege in dieser schwierigen Phase, die nur kurzfristige Lösungen für das strukturelle Erdbeben parat hat, das indes nach unendlich viel komplexerem Vorgehen verlangt.

Die Wirklichkeit zeigt uns immer deutlicher, dass mit jedem verstreichenden Tag nicht nur die vorübergehende Handlungsfähigkeit und die Möglichkeit für die Mitgliedsstaaten, sich eine Restzahlungsfähigkeit zu bewahren, in Frage gestellt wird; auch die Philosophie bröckelt, auf der bislang das ökonomisch-soziale System nach dem Zweiten Weltkrieg gründet. Die klassischen Ideologien sind an ihre Grenzen gekommen und ihre Anpassung an die neuen Umstände ist ein immer komplizierterer Prozess geworden. Diese Krise setzt nicht nur die Regeln der Staatsverschuldung und die dazugehörige Zahlungsunfähigkeit, die sie erst ermöglicht hat außer Kraft, sondern bricht auch mit gängigen Tabus.

Reichtum der Kirche, lange ein Tabu

So zum Beispiel mit der orthodoxen Kirche in Rumänien und Griechenland aber auch mit der verächtlichen Einstellung, die die beiden Kirchen in der gegenwärtigen Situation an den Tag legen. Seit einigen Monaten nimmt die Unverschämtheit der hohen Amtsträger in Athen und Thessaloniki sogar noch weiter zu, nachdem ihre auf den Straßen umherirrenden Schäflein ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Ablehnung der Sparprogramme richteten, sondern es auch auf den unermesslichen Besitz der orthodoxen Kirche abgesehen hatten. In Zeiten des Wohlstands wurde dieses Thema in der Öffentlichkeit nicht angesprochen und auch kein Druck auf die Kirchenoberen ausgeübt; ganz im Gegenteil: Öffentliche Debatten darüber wurden nur von extremen wirtschaftlichen und sozialen Kreisen katalysiert und befeuert.

Wir müssen zugeben, dass es sich in Rumänien mit der orthodoxen Kirche nicht anders verhalten hat. In Griechenland waren die Reaktionen auf diese Kritik bei den mit der Lenkung der hellenischen Schäfchen betrauten Amtsträgern sehr drastisch: die Stimmen aus der Zivilgesellschaft wurden zynisch als Abtrünnige abgetan, die der Sünde des Protestes anheim gefallen waren. Und dies trifft wiederum auch auf unser Land zu.

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Je komplizierter die Situation wird – und in Griechenland wird es langsam wirklich ganz kompliziert – desto besser stehen die Chancen, dass die Proteste gegen die Verschleierung und den Autismus der Kirche und ihrer höchsten Vertreter sowie gegen die Distanz, die diese gewohnheitsmäßig gegenüber dem Rest der Gesellschaft pflegen, immer lauter werden.

Auf den ökonomischen folgt der kulturelle Schock

Wurde noch vor kurzem heftige Kritik an der finanziellen Macht der Institution Kirche geäußert, kann bald schon deren politischer und sozialer Einfluss ins Fadenkreuz des von der Krise aufgebrachten Volkswillens geraten. Die Geschichte hat gezeigt, dass die Kirche sich oftmals parallel zur Gesellschaft entwickelt hat, vielleicht auch weil sie sich überfordert fühlte von der ständigen Vermittlung zwischen zwei Welten, dem Transzendentalen und dem Immanenten.

Die Kirche wurde trotz ihres übermäßigen Einflusses aber angefangen von großen wissenschaftlichen (z.B. der Physik oder Astronomie) Erkenntnissen über die großen sozialen, kulturellen und politischen Umwälzungen immer wieder gezwungen letztendlich die Reformen zu akzeptieren. Sie hat das nie freiwillig getan und noch viel weniger aus Prinzip, auch wenn sie das mitunter Zeit gekostet hat, manchmal sehr viel Zeit. Wird sie aber auch heute nachgeben, wo es nötiger ist denn je?

Noch wird die Krise in Europa als eine rein wirtschaftliche Krise betrachtet. Noch! Dies ist aber nur eine vorbereitende Etappe auf dem Weg zu einem Kulturschock. Wer ihn nicht in der Luft spürt, liegt ganz schön daneben. Wer glaubt, er wisse, wie er aussieht, leidet an Halluzinationen.

Aus dem Rumänischen von Ramona Binder

Meinung

Kirche kennt keine Krise

“Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche (BOR) benimmt sich wie eher wie ein Großkonzern als denn der Heilige Vater. Sie schnappt sich alles, was sie in die Finger bekommen kann und überlässt die Wohltätigkeit den Nichtregierungsorganisationen”, schreibt Adevărul. Die Rumänen, ein “in diesen modernen Zeiten ungewöhnlich gläubiges Volk”, sind zu 90 Prozent orthodox. Die Bevölkerung leidet unter den Sparmaßnahmen, die dem Land vom IWF zur Gewährung eines Darlehens auferlegt wurden.

Und während die Rumänen den Gürtel enger schnallen müssen, konnte die BOR im Jahr 2010 nach Angaben der Steuerbehörden 10 Millionen Euro Gewinn einfahren — steuerfrei, versteht sich. Die Kirche habe unterdessen mit dem Bau der größten Kathedrale des Landes begonnen. “Sie wird 120 Millionen Euro kosten und der Bau 2015 vollendet sein”, berichtet România liberă und zählt nach, dass “seit 20 Jahren nicht weniger als 4000 Kirchen” landesweit gebaut wurden. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche bewiese “Sozial-Autismus”, schreibt Adevărul und meint, dass die Kirche, sollte sie sich nicht ändern “verfaulen werde: Der Fisch stinkt vom Kopfe her.”

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