Das Zauberwort lautet “Geld drucken”

Der Weg aus der Eurokrise ist eigentlich ganz einfach: Wenn nichts mehr geht, dann soll die Europäische Zentralbank den Staaten zu Hilfe kommen. Aber diese von vielen Wirtschaftsexperten empfohlene Lösung stößt bei der Bank auf Widerstand. Ein rein ideologischer Starrsinn.

Veröffentlicht am 14 November 2011 um 14:20

Zahlreichen Wirtschaftsexperten zufolge würde ein Satz reichen, um Eurokrise einzudämmen. Ein kleiner Satz, den die Europäische Zentralbank nur auszusprechen bräuchte. Sie müsste nur laut und deutlich sagen, dass sie als letzen Ausweg die Rolle des Kreditgebers für die am höchsten verschuldeten Mitgliedsländer der Währungsunion übernehmen würde. Dem Euro ginge es damit besser, die Märkte könnten in Schach gehalten werden, und – welche Freude – es wäre völlig egal, was die Rating-Agenturen erzählen.

Außerdem könnte man die Daumenschraube der Sparpolitik ein wenig lockern. Das würde das Wachstum fördern, was wiederum den Abbau der Schulden erleichtert. Auch wenn es nicht umsonst sein wird, könnte man so aus dem traurigen Teufelkreis ausbrechen, in dem sich die Eurozone befindet. Denn im Augenblick glaubt man sich beim Bowling, wo die große schwarze Kugel einen Kegel nach dem anderen umstößt: erst Athen, dann Dublin, Lissabon, Madrid, Rom – und vielleicht bald Paris...

Geldressourcen ohne Limit

Die Institution, die unter anderem Geld druckt, hat per Definition unbegrenzte Ressourcen. Wenn die EZB zusichert, Retter in der Not zu sein, würde das Spekulanten abschrecken. Die Märkte könnten sich stabilisieren und würden keine wahnsinnigen Zinssätze fordern, um Anleihen der am höchsten verschuldeten Länder zu kaufen. Die Krisenländer ihrerseits könnten die Zunahme der Schuldenkosten bremsen. Sie entkämen so der endlosen Spirale, deren Ausmaße wir sehr gut kennen. Ein hoch verschuldeter Staat kann sich zunächst nicht mehr über den Markt finanzieren, indem er Staatsanleihen ausgibt, denn er müsste horrende Zinssätze zahlen. Er muss betteln gehen. Er holt sich also Hilfe bei ausländischen Kreditgebern. Diese aber fordern als Gegenleistung drakonische Sparmaßnahmen, die das ohnehin schon geschwächte Land völlig auslaugen.

Sollte die Zentralbank allerdings zusichern, Staatsanleihen eines verschuldeten Landes zu kaufen, sieht die Sache ganz anders aus. Die Aufkäufe durch die Bank würden die Zinssätze auf ein vernünftiges Niveau sinken lassen, falls dafür nicht schon das einfache Versprechen ausreicht. Genau das geschieht bereits außerhalb der Eurozone, beispielsweise in den USA, in Großbritannien oder Japan. Im Großen und Ganzen stehen diese drei Länder auch nicht besser da als der Durchschnitt der europäischen Währungsunion. Aber jedem ist klar, dass die amerikanische, englische oder japanische Zentralbank keine Sekunde zögern würde.

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Aber warum handelt die EZB nicht genauso? Weil sie an die Doktrin der Gewaltenteilung gebunden ist. Die Bank kümmert sich um das Geld, die Regierung um den Haushalt – die Bank garantiert die Währungsstabilität (Verhinderung einer Inflation), die Regierung kümmert sich um ihre Schulden. Oder anders ausgedrückt: es gehört nicht zu den Aufgaben der Bank, dem Staatshaushalt unter die Arme zu greifen. "Das ist pure Ideologie, meint Jean-Paul Fitoussi, Forschungsleiter am [Pariser Wirtschaftsforschungsinstitut] OFCE.

“Indem man sich einen Kreditgeber selbst verbietet, bleiben einem im Falle finanzieller Schwierigkeiten nur noch zwei Möglichkeiten: entweder der Staatsbankrott oder eine an Sparmassnahmen geknüpfte Hilfe, die den Konkurs allerdings auch nicht verhindern könnte”, so Fitoussi.Seine Meinung wird von zahlreichen amerikanischen Experten geteilt. Ob der Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman, Jeffrey Sachs oder Kenneth Rogoff – sie alle sagen das gleiche: “Wenn die EZB die europäischen Schulden übernehmen würde, wäre die Krise in den Griff zu bekommen” (Paul Krugman, New York Times, 23. Oktober).

Keine Furcht vor Inflation

Und die Risiken? Natürlich die Inflation. Für die Verfechter der Gewaltenteilung kommt der direkte Kauf der Schulden eines Staates durch seine Zentralbank einem Einschalten der Notenpresse gleich. Die Angst vor einer Inflation, vor ständiger Geldabwertung, die Erinnerung an die Tragödie der zwanziger Jahre, die zum Aufstieg Hitlers beitrug: all das ist noch immer in den Köpfen der Deutschen fest verankert. Deshalb haben sie die solide Deutsche Mark nur unter der Bedingung aufgegeben, dass sich die EZB lediglich einer Sache widmet: dem Kampf gegen die Inflation.

Den Anhängern der Doktrin zufolge müsse auch die Kreditwürdigkeit der Bank erhalten bleiben. Ihre Bilanz dürfe nicht durch zweifelhafte Forderungen belastet werden. Allerdings kauft die EZB unter der Hand und auf dem Zweitmarkt Teilschulden der schwächsten Euroländer... Und nicht zuletzt sei zu befürchten, dass die laxe Haushaltsführung noch gefördert wird, wenn man im Vorfeld die Schulden unverantwortlich handelnder Regierungen garantiert. Jean-Paul Fitoussi und Paul Krugman glauben nicht an eine drastische Inflation im europäischen Wirtschaftsraum. Um zu verhindern, dass eine Lockerung der Währungsdoktrin der EZB zur Verschuldung einlädt, muss sie von einer strikten Haushaltdisziplin begleitet werden. Lockerung der Doktrin gegen Haushaltsdisziplin – das ist der Deal.

Paul Krugmans Fazit lautet: “Aus den Kriegsruinen haben die Europäer Gesellschaften auferstehen lassen, die - ohne perfekt zu sein – [...] zweifelsohne zu den am besten entwickelten der Menschheitsgeschichte gehören. Sie sind heute gefährdet, nur weil die europäische Elite […] den Kontinent an ein Währungssystem fesselt, das vor Starrheit trotz, [...] bis es zur tödlichen Falle wird.”

Aus dem Französischen von Martina Ziegert

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