2012: Es kann nicht schlimmer werden

Das Jahr 2011 war für Europa so schlecht, dass 2012 eigentlich nur besser werden kann. Doch nachdem die Union eine beispiellose Krise überlebt hat, wird sie jetzt durch die dadurch hervorgerufenen sozialen Spannungen bedroht, meint Jacek Pawlicki, Editorialist bei der Gazeta Wyborcza.

Veröffentlicht am 3 Januar 2012 um 16:18

Das vergangene Jahr endete mit der größten Krise in der ganzen Geschichte der EU und mit der bewussten Isolierung eines ihrer Mitglieder, Großbritannien, das sich jeglicher Änderung der EU-Verträge hinsichtlich einer Verschärfung der Haushaltdisziplin widersetzte.

Im November 2011 sprachen die politischen Verantwortungsträger und die Experten zum ersten Mal offen davon, eines der Mitglieder der Eurozone könne womöglich austreten: Griechenland, dessen Rettung nicht nur Milliarden von Euro verschlang, sondern auch fast die gesamte Energie der EU. Nicht zu vergessen die Streitigkeiten der Union mit Italien, die zum Glück mit einem Happy End ausgingen, nämlich dem Abgang von Silvio Berlusconi und dem Eintritt des Technikers Mario Monti ins Amt des Ministerpräsidenten.

Bei unseren Nachbarn im Süden stürzten die arabischen Revolutionen die Regimes de Diktatoren in Libyen, Ägypten oder Tunesien, ohne jedoch bis jetzt viel mehr Demokratie einzubringen. Obwohl die Europäische Union nicht wie befürchtet von einer Flüchtlingswelle überflutet wurde, bleibt das Immigrationsproblem konstant in einem Europa, das diesen entstehenden Demokratien nur sehr wenig zu bieten hat.

Ebenso bleibt auch hinsichtlich des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine noch alles zu tun. Dessen Unterzeichnung war ursprünglich für den EU-Ukraine-Gipfel von Kiew im vergangenen Dezember vorgesehen, wurde allerdings aufgrund der Verhaftung der ehemaligen Ministerpräsidentin Julija Timoschenko aufgeschoben. In Weißrussland besitzt die Union kaum Einfluss auf Präsident Alexander Lukaschenko, der seine politischen Gegner regelmäßig verurteilen lässt.

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Was diese beiden Länder betrifft, so hat die Union – ebenso wie Polen, dem eine Annäherung an die Nachbarn im Osten ganz besonders am Herzen liegt – deutlich versagt. Es fehlt Europa an Weitsicht, um aus der Sackgasse wieder herauszukommen, während Russland mit dem Wiederaufbau seines Imperiums beschäftigt ist und keine Zeit verliert.

Großes Schengen, kleine EU

Im Frühjahr werden wir vielleicht die Erweiterung des Schengen-Raums erleben. Kurz vor Weihnachten zogen die Niederlande ihr Veto gegen die Erweiterung der Freiverkehrszone auf Bulgarien und Rumänien zurück. Die beiden Länder werden also beitreten – doch nur unter der Bedingung, dass die beiden nächsten Berichte der Europäischen Kommission über den Zustand ihres Rechtssystems und über ihre innenpolitischen Reformen positiv ausfallen. Sofia und Bukarest, seit 2007 Mitglieder der EU, müssen ihre Bemühungen also noch verstärken.

Die Eurozone selbst hingegen blickt in ihrem Kielwasser auf die Entstehung einer engeren Fiskalunion, und obwohl die führenden Politiker steif und fest die Hypothese einer Aufsplitterung Europas bestreiten, kann noch alles passieren.

Die ersten Monate des neuen Jahrs werden wahrscheinlich damit zugebracht, Geld zur Befüllung des Europäischen Finanzstabilitätsfonds zu beschaffen und ein neues zwischenstaatliches Abkommen auszuhandeln. Zu der Arbeitsgruppe, die den Wortlaut des Fiskalpakts ausformulieren soll, gehören sowohl Vertreter Polens (das nicht am Euro teilnimmt, aber zum Pakt gehören will) als auch Großbritanniens (das das Abkommen boykottierte). Die Vorstellung all dieser Teilnehmer um denselben Tisch löst eher Optimismus aus.

Gute Nachrichten gibt es auch aus Kroatien, das am 22. Januar ein Referendum über seinen EU-Beitritt veranstaltet. Trotz der allgemeinen Beunruhigung über die wirtschaftliche Situation werden die Kroaten mehrheitlich für Europa stimmen und Kroatien wird im Juli 2012 das 28. Land der EU werden. Somit gewinnt die Union dann ein neues Mitglied aus dem Balkan (dessen geopolitisches schwarzes Loch sie nach wie vor bekümmert).

Wie viel werden wir einstecken?

Der Kampf um die Kohäsionsfonds wird sich in den Budgetverhandlungen abspielen, die nun nach der Aufwärmphase während des polnischen EU-Vorsitzes beginnen werden. Es ist nicht auszuschließen, dass die Beitragenden zum gemeinschaftlichen Budget, also Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Schweden, Finnland, die Niederlande und vielleicht noch andere Mitglieder, schon Anfang des Jahres eine belangvolle Reduzierung ihres Beitrags verlangen.

Worüber man sich freuen kann, ist, dass die Budgetverhandlungen in Händen der Dänen liegen werden, die seit Januar den EU-Vorsitz führen. Dies ist der siebte Vorsitz Dänemarks, zum letzten Mal führte es ihn im Jahr 2002 und brachte dabei die Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und zehn mittel- und osteuropäischen Ländern zum Abschluss. Es fehlt den Dänen weder an Aufrichtigkeit noch an Erfahrung. Zudem sind sie als Skandinavier dafür bekannt, politische Angelegenheiten sehr pragmatisch anzugehen.

Leider läuft der dänische Pragmatismus Gefahr, mit dem französischen Ansatz zu den Haushaltsverhandlungen zusammenstoßen. Zumal Nicolas Sarkozy im April und im Mai eine zweite Amtszeit als Staatspräsident anstreben und alles tun wird, um seine immer euroskeptischeren Landsleute davon zu überzeugen, dass er die französischen Interessen innerhalb der EU mit Leib und Seele verteidigt.

Was bleibt noch zu erwarten?

Wahrscheinlich noch viele Ereignisse, die heute unmöglich vorhersehbar sind, ebenso wie wir Ende 2010 nicht einmal im Traum daran gedacht hätten, dass im August 2011 Horden von britischen Bürgern mehrere Tage lang die Londoner Läden plündern würden.

Eben diese zunehmenden sozialen Spannungen und die Frustration der jungen Generation sind die größte Bedrohung für die innere Stabilität Europas. Zählt man dazu noch eine immer höher werdende Welle des politischen Populismus in Frankreich, wie auch in den Niederlanden, Finnland und Ungarn, dann erhält man eine explosive Mischung aus sozialem Frust und politischem Zynismus, die durch Europas Schwäche ebenfalls Treibstoff bekommen. (pl-m)

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