Auf dem Tesco-Parkplatz in Mosonmagyaróvár, Ungarn. Photo de Miso – Alle Rechte vorbehalten

Preiskrieg

Immer mehr Slowaken fahren zum Einkaufen ins Nachbarland, denn Grundnahrungsmittel sind dort wesentlich billiger. Wie erklärt sich dieser neue Wirtschaftstourismus? Der Euro spielt eine Rolle, ist aber nicht der einzige Schuldige, meint die tschechische Tageszeitung.

Veröffentlicht am 20 Mai 2009 um 15:24
Auf dem Tesco-Parkplatz in Mosonmagyaróvár, Ungarn. Photo de Miso – Alle Rechte vorbehalten

Seit vielen Jahren lebt der ungarische Kurort Mosonmagyaróvár vor allem von den österreichischen Touristen, die aus dem nahen Wien kommen und hier die Thermalbäder und auch die günstigen Zahnärzte nutzen. Doch seit ein paar Monaten gibt es noch einen weiteren Anreiz, nämlich den Großmarkt Tesco am Stadtrand.

Und eine neue Kundschaft ist hinzugekommen. Es ist Freitagnachmittag, der Parkplatz vor dem Tesco-Markt ist bis auf den letzten Platz besetzt, die Autos tragen Nummernschilder aus dem kaum 20 km entfernten Bratislava. Überall wird slowakisch gesprochen. Innen im Geschäft schlendern die Familien durch die Gänge. Sie begutachten die Preisschilder, rechnen fieberhaft Forint in Euro um und packen ihre Einkaufswagen bis obenhin mit Waren voll. Fast alle Produkte, vom Fernseher über Schuhe, Waschmittel und Kaffee bis hin zu Butter, Käse oder Wein, sind hier nämlich rund 20 Prozent billiger als in der Slowakei. Die ungarischen Kassiererinnen nicken freundlich: "Natürlich können Sie auch in Euro zahlen."

Dasselbe Bild ist entlang der ganzen slowakischen Grenze zu sehen, auf der ungarischen, der polnischen und manchmal auch der tschechischen Seite. Für viele ist die Sachlage ganz eindeutig: Während die Slowakei den Euro einführte und sich alle Landespreise praktisch gleich hielten, sind dieselben Produkte in den angrenzenden Ländern durch die Abwertung des polnischen Zloty, des ungarischen Forint und der tschechischen Krone nun viel billiger. Doch es könnte auch ganz anders sein.

Gewiss tragen die Öffnung der Grenzen sowie die Tatsache, dass die meisten Slowaken in Grenzgebieten leben, zu dieser riesigen Welle des Einkaufstourismus bei. Mehreren Meinungsumfragen zufolge freut sich der slowakische Verbraucher immer mehr über die Einführung des Euro, doch der slowakische Einzelhandel blickt trübe drein. Im ersten Quartal 2009 ist sein Gewinn um knapp sieben Prozent zurückgegangen.

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Anfangs sahen die Warenhäuser nur tatenlos der grenzüberschreitenden Kundenflucht zu. Doch da ihre Lage nun wirtschaftlich nicht mehr tragbar ist, beschlossen sie vor zwei Monaten, den Preiskrieg anzufachen. Sie senkten drastisch die Preise – in manchen Fällen bis zu zehn Prozent –, vor allem bei Grundnahrungsmitteln. Und sie werben in der Presse, indem sie ihre Preise denen der Konkurrenz aus dem Nachbarland gegenüberstellen.

Einer der Lösungsansätze, um den Einkaufstourismus einzudämmen, wäre eine Senkung der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittelprodukte (mit wenigen Ausnahmen beträgt die MwSt. in der Slowakei allgemein 19 Prozent), doch Ministerpräsident Fico will davon nichts hören. Sein Argument: Die bereits durch die Wirtschaftskrise belasteten Staatskassen könnten diesen zusätzlichen Einkommensverlust nicht verkraften (im ersten Jahresdrittel 2009 waren die Staatskassen um knapp 12 Prozent leerer als im selben Zeitraum des Vorjahres, die Einkünfte aus der Mehrwertsteuer sind um ein Drittel gesunken).

In den Medien fragt man sich, ob das Land heute angesichts der Wirtschaftslage nicht die Konsequenzen einer Überbewertung der slowakischen Krone bei der Euro-Einführung trägt (30,126 Sk/ 1 Euro). Darüber wird nun natürlich viel polemisiert. Der Vizegouverneur der slowakischen Landesbank, Martin Barto, hebt hervor, dass die Preisdifferenzen eher durch die unterschiedlichen Großmarktstrategien der einzelnen Länder zu erklären sind, denn die meisten der von Slowaken z.B. in Ungarn erworbenen Produkte seien dort ebenfalls importiert. Seiner Meinung nach wählen die slowakischen Kunden auch deshalb "mit den Füßen", weil es in der Slowakei an mittelgroßen Geschäften mangelt, die in ihrer Preisgestaltung meist flexibler sind. Überhaupt fehle es der gesamten slowakischen Wirtschaft, die fast ausschließlich auf riesigen Eisenindustrie- und Automobilfirmen beruht, an mittelständischen Unternehmen.

Es ist durchaus möglich, dass der Zusammenhang zwischen dem Euro und den günstigeren Preisen der Konsumgüter im Ausland nicht ganz so eng ist, wie es auf den ersten Blick scheint. Der Handel gleicht seine Preise an und berücksichtigt dabei nicht nur die Währungskraft, sondern auch die jeweils landeseigene Kaufkraft. Laut einer Untersuchung der GfK ist die Kaufkraft in der Slowakei um 20 Prozent gestiegen und somit beträchtlich höher als in Ungarn oder Polen (sie liegt gleich hinter der Kaufkraft in Tschechien).

Doch wie erklärt es sich dann, dass die Preise in Österreich oft identisch und manchmal sogar niedriger sind, obwohl die Landeswährung dort ebenfalls der Euro ist und die Kaufkraft im Vergleich zur Slowakei das Dreifache beträgt? Die Tatsache, dass die Österreicher ganz einfach durch ihr Kaufverhalten eine Senkung der Preise bewirken konnten, ist wahrscheinlich ein erster Ansatz zur Beantwortung dieser Frage. Einstweilen parken in Hainburg, einer österreichischen Kleinstadt in etwa 15 km Entfernung von der slowakischen Hauptstadt, die Autos aus Bratislava vor dem örtlichen Billa-Markt, ganz wie in Mosonmagyaróvár.

Anfang Mai kündigten die Großmärkte stolz an, dass die Kunden seit den Preissenkungen wieder die slowakischen Geschäfte aufsuchten. Wenn das stimmt, dann ist der Euro gewiss nicht der Hauptschuldige am Einkaufstourismus.

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