8€ die Scheibe, 4€ der Kern, 5€ die Scheibe, 3€ die Pelle, 4€ die Hülse.

Besser einkaufen mit der Krise

Seit die Portugiesen dem strikten Regime von IWF, EU und EZB unterliegen, kaufen sie anders ein. Die Krise treibt zum Sparen an, aber macht auch kreativ.

Veröffentlicht am 6 Februar 2012 um 16:05
8€ die Scheibe, 4€ der Kern, 5€ die Scheibe, 3€ die Pelle, 4€ die Hülse.

“Es ist Quatsch, das Auto stehenzulassen und die U-Bahn zu nehmen. Und noch dazu teuer. Mit der angekündigten Erhöhung der Monatskarte kommt es preislich auf dasselbe heraus. Ich starte den Wagen so selten, dass ich schon eine leere Batterie hatte.” Die Kommunikationsberaterin Diana Ralha, 33, fasst das Leiden derjenigen zusammen, die wegen der Ebbe im Geldbeutel ihre Gewohnheiten ändern müssen.

Niemand hat es gern, wenn er länger zur Arbeit braucht, niemand entscheidet sich gern dafür, am Morgen, bevor er zur Arbeit geht, das Mittagessen zu kochen. Diese Entschlüsse werden aus Mangel an Alternativen getroffen. Wenn auch viele Portugiesen aus Not gezwungen sind, ihre täglichen Gewohnheiten zu ändern, so machen andere aus der Not eine Tugend und gewinnen dieser erzwungenen Änderung sogar positive Aspekte ab.

Wenn es um Einsparungen geht, dann stehen die Konsumgewohnheiten natürlich an erster Stelle. Oft können kleine Änderungen sogar zu großen Ersparnissen führen. Mariana Távora, eine 39-jährige Rechtsanwältin, beachtet nun zwei Dinge, wenn sie in den Supermarkt geht. Sie hat es aufgegeben, einmal pro Monat einkaufen zu gehen, weil, so erklärt sie, “dann immer etwas fehlte, ich zwischendurch wieder einkaufen ging und einfach alles kaufte, was mir gefiel. Jetzt habe ich begonnen, einmal pro Woche einkaufen zu gehen”, meint sie.

Schluss mit Bankkarten

Ferner beachtet sie die Tageszeit, zu der sie einkaufen geht. Zu Mittag ist es für sie zu riskant. “Ich vermeide die Essenszeit, weil ich dann Hunger habe und mehr Lebensmittel und Süßigkeiten kaufe”, erklärt Mariana Távora, die versucht, Spontankäufe auf diese Weise zu vermeiden.

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Die 42-jährige Lehrerin Ana Oom, hat es aufgegeben, im Online-Supermarkt zu bestellen. “Es ist so einfach, von zu Hause aus einzukaufen, dass ich immer mehr und vor allem auch größere Mengen kaufe. Deshalb bin ich dazu übergegangen, meine Besorgungen in einem kleinen Supermarkt zu machen, in den ich öfter gehe, aber immer genau aufpasse, was ich kaufe. Meine Entscheidungen sind vernünftiger geworden. Wenn ich an der Kasse stehe, weiß ich fast immer ziemlich genau, wie viel alles zusammen kostet.”

Auch die Zahlungsmittel sind von den krisenbedingten Verhaltensmustern betroffen. Kredit- und Bankkarten werden seltener eingesetzt. Francisca Lourenço, 38, lässt ihre Kreditkarte zu Hause. “Wenn ich mit Bargeld bezahle, ist mir besser bewusst, wie viel ich ausgebe”, meint sie. Bei Diana Ralha ist die Bankkarte der Krise zum Opfer gefallen.

“Ich zahle nicht mehr mit der Bankkarte. Ich hebe einfach alle zwei Tage 20 Euro ab und versuche, möglichst lang damit auszukommen. Wenn ich der Versuchung widerstehe, zum Plastikgeld zu greifen, kann ich mein Budget besser verwalten”, erklärt die Kommunikationsberaterin.

Die Eigenmarken der Einzelhändler und Bauernmärkte sind günstiger und finden bei den Portugiesen, die den Gürtel enger schnallen müssen, großen Anklang.

Die Läden der jüngsten Immigrantenwelle sind auch nicht teuer. “Gemüse kaufe ich in den chinesischen Gemüseläden in meiner Straße, dort sind die Preise unwahrscheinlich niedrig”, so Dania Ralha. Mit der Krise steigt auch die Besorgnis um die inländische Produktion. Mariana Távora kauft ausschließlich portugiesisches Obst, “um unseren Landwirten zu helfen. Wenn es keines gibt, dann kaufe ich keines”, erklärt die Rechtsanwältin.

Aus der Not eine Tugend machen

Bekleidung und Verkehr sind zwei weitere Bereiche, in denen gezielt gespart wird. Kleidung wird nicht mehr weggeworfen, sondern geändert. Statt in die nächste Boutique zu gehen, setzt sich heute gar manche Portugiesin lieber an die Nähmaschine.

Diejenigen, die zu Fuß gehen oder die öffentlichen Verkehrsmittel nehmen, um Kraftstoff zu sparen, entdecken neue Straßen und bleiben fit. “Ich fühle mich viel besser und habe einen klaren Kopf, seitdem ich nicht mehr dem Stress im Straßenverkehr ausgesetzt bin”, erzählt Leonor Tenreiro, die kreatives Schreiben unterrichtet.

Das “neue” Leben der Portugiesen wird aber nicht nur durch Sparmaßnahmen geprägt. Die gegenwärtige Konjunkturlage scheint die Risikobereitschaft einiger Menschen erhöht zu haben. Sandra Casanova und ihr Mann haben vor zwei Jahren eine Bäckerei eröffnet. “Wir haben eine Krise durchgemacht, und diese Erfahrung war sicher ein Wettbewerbsvorteil in diesem Projekt.”

Auch Inês Custódio wagt den Sprung in die Selbstständigkeit. “Mitten in der Krise habe ich beschlossen, meinen Job an den Nagel zu hängen und ein Unternehmen zu gründen. Damit diese Entscheidung kein kompletter Wahnsinn wird, musste ich mehr sparen. Deshalb habe ich mein Haus mit Gewinn verkauft und meine Hypothek getilgt. Jetzt miete ich eine kleinere und billigere Wohnung”, erzählt die künftige Geschäftsfrau.

Neben den neuen Läden greifen die Portugiesen auch wieder auf alte Geschäfte zurück, die jetzt blühen. Online-Kleinanzeigen wie OLX und Custo Justo helfen vielen Familien, über die Runden zu kommen. “Ich habe entdeckt, dass ich viel Geld verdienen kann, wenn ich im Internet Secondhand-Kinderkleider und sonstiges Zubehör verkaufe. Mir ist es sogar gelungen, den Kinderwagen meines Sohns zu einem höheren Preis zu verkaufen, als er gekostet hat”, freut sich Diana Ralha.

In diesen schweren Zeiten sind die Portugiesen bestrebt, neue Einkommensquellen zu erschließen und die Ausgaben durch Änderungen des Konsumverhaltens zu senken. Ihnen bleibt keine andere Lösung, weil sie in einer verzweifelten Lage sind. Die Beispiele zeigen jedoch, wie sie aus der Not eine Tugend machen und auch die positiven Seiten des neuen Lebens zu schätzen wissen.

Wirtschaft

Angst vor dem Griechenland-Syndrom

Zu den klassischen Opfern der Armut – Langzeitarbeitslose – haben sich in den vergangenen Monaten die “Neuarmen” gesellt, zitiert Público einen Bericht der Lissabonner Behörde für den Kampf gegen Armut. Dabei handelt es sich um Arbeitnehmer, die unter den Sparmaßnahmen leiden und nur noch prekäre oder flexible Jobs zu miserablen Lohnbedingungen ausüben. Auf Regierungsebene verfolgt man unterdessen auch weiterhin folgendes Ziel: Bis 2013 soll der Haushalt ausgeglichenen sein und so der Zugang zu den Finanzmärkten neu geöffnet werden, um weitere Hilfen der IWF-EZB-EU-Troika zu vermeiden.

Die Tageszeitung *J*ornal de Negócios hält es für “unmöglich”, dieses Ziel zu erreichen. Zumal die portugiesischen Zweijahresanleihen vergangene Woche die 21,6 Prozent-Marke erreichen, was das Land “für die Märkte zu einem ebenso wackligen Kandidaten wie Griechenland macht”, berichtet La Vanguardia. Sollten sich Athen und seine Geldgeber auf einen teilweisen Schuldenschnitt einigen, könnten die Märkte davon ausgehen, dass auch andere Länder in Zahlungsschwierigkeiten – allen voran Portugal – nicht um eine Umstrukturierung ihrer Schulden herumkommen.

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