Nachrichten Mittel- und Osteuropa

Postkommunistische Kreuzungen

Arbeit, Regierung, Infrastruktur: Nach 1989 mussten sich die ehemaligen Ostblockländer neu erfinden. Jedes hat das auf seine eigene Weise und mit mehr oder weniger Erfolg getan, urteilt die tschechische Tageszeitung Hospodářské Noviny.

Veröffentlicht am 2 Dezember 2009 um 15:37
Foto: Wok/Flickr

Zwanzig Jahre nach dem Beginn der Wende ist es nicht schwer, Beispiele für das gute Funktionieren westeuropäischer Länder zu finden, wo der Kommunismus die Entwicklung nicht bremste. Es gibt aber auch Dinge, die in den ehemaligen kommunistischen Ländern funktionieren. Sogar von Erfolg gekrönt sind.

Zunächst darf man nicht vergessen, dass die nicht-reformierten Kommunisten in den ehemaligen Ostblockländern (mit Ausnahme der Tschechischen Republik) nicht im Parlament vertreten sind und auch andersweit keine Partei mehr bilden. Sie sind zu Sozialdemokraten geworden. So beispielsweise in Ungarn, Polen oder Litauen. Oder sie spalteten sich in verschiedenste Strömungen auf: Die einen verteidigten so die nationale Souveränität, andere schlossen sich der Linken an oder wählten die Liberalen. In den Ländern des Baltikums und in Slowenien ist dies der Fall.

Das aktive Polen

Die in Polen zu Beginn der 1990er Jahre durchgeführten Reformen wirkten auf die Menschen dort wie eine Schocktherapie. Die Arbeitslosenquote stieg auf über 20 Prozent. Viele Menschen wurden von den zahlreichen staatlichen Rentensystemen abhängig (besonders die Kleinbauern und Frührentner). In Polen erwies sich der Kapitalismus als viel härter als in der Tschechischen Republik. Daraufhin mussten sich die Polen stärker bemühen, um einen Arbeitsplatz zu finden, egal ob sie dies zuhause oder im Ausland taten. Vor einem Jahr schätzte man die Zahl der im EU-Ausland arbeitenden Polen auf zwei Millionen.

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Die Polen unterscheiden sich auch in ihrer Haltung zur EU-Mitgliedschaft. Die ganze Gesellschaft scheint im Beitritt zur EU und der Nutzung europäischer Gelder die Möglichkeit zu sehen, einen regelrechten Zivilisationssprung machen zu können. Einen, den es in der polnischen Geschichte so noch nie zuvor gab. Dieser Trend bestätigt sich auch durch die Ausgrenzung der nationalistischen und populistischen Parteien, wie bei den letzten Wahlen 2007.

Der slowakische "dritte Sektor"

In der Slowakei haben Vladimír Mečiar und sein autoritäres Regime in den 1990er Jahren zur Entstehung von Nicht-Regierungsorganisationen beigetragen. Sie sind Teil des sogenannten "dritten Sektors". Die in verschiedensten Forschungsinstituten und Stiftungen arbeitenden Experten dieses Sektors haben die Grundlage für die Regierungs-Teams geschaffen, die im Anschluss an Dzurinda [Mikuláš Dzurinda, slowakischer Ministerpräsident von 1998 bis 2006] die Reformen durchführten (vor allem im Steuer- und Gesundheitswesen). Allgemein betrachtet hat sich in der slowakischen Gesellschaft nach und nach ein sehr fruchtbarer Boden für regierungsunabhängiges Denken und Handeln entwickelt.

Das Ergebnis des im Mai 2003 durchgeführten Referendums zum Beitritt der Slowakei zur Europäischen Union (92,46 % stimmten "Ja") lässt sich größtenteils dadurch erklären. Eine Vielzahl von Nicht-Regierungsorganisationen hatte sich dafür eingesetzt und gekämpft. Zur gegenwärtigen links-nationalistischen Regierung Robert Ficos bilden diese Nicht-Regierungsorganisationen ein echtes ideologisches Gegengewicht.

Das estnische E-Government

Die digitale estnische Demokratie – das E-Government– verbildlicht außerordentlich gut, wie Regierungshandeln und Nicht-Regierungshandeln zusammenarbeiten können. Seit 2005 können die Esten, sofern es sich um lokale Angelegenheiten handelt, im Internet wählen. Seit 2007 sogar, wenn es um nationale Belange geht. Vor ihren ausländischen Gästen gibt der estnische Regierungschef gern mit dem Ministerratssaal an, in den sich kein einziger von ihnen mit schweren Dokumentenstapeln begibt, weil alles per Computer bearbeitet wird. Gesetzesvorschläge müssen im Internet öffentlich debattiert werden und die Funktionäre sind verpflichtet, die von den Bürgern abgegebenen Anmerkungen zu berücksichtigen.

Die ungarischen Autobahnen

Die tschechischen Medien prangern oft an, dass die Tschechische Republik die weltweit teuersten Autobahnen baut. In Ungarn denkt man das Gleiche, nur eben über die eigenen Autobahnen. Mehrere Autobahnbauexperimente von Privatunternehmen hat man dort hinter sich. Doch niemand wollte diese benutzen, weil die Gebühren viel zu hoch waren. So hoch, dass sogar der Staat gezwungen war, sich ihrer anzunehmen. Heute ist die Benutzung von sieben modernen Autobahnen zu einem angemessenen Preis möglich.

Ein effizientes Autobahnnetz hat aber auch seinen Preis: Zahlreiche Spekulationen über Bestechungsgelder sind im Umlauf. Die eine oder andere politische Partei soll damals davon profitiert haben, als es um die Vergabe der Aufträge ging. In ungarischen Journalistenkreisen spricht man davon, dass die Linke und die Rechte nur bei einem einzigen Thema zur Einigung finden: dem Bau der Autobahnen und der "Aufteilung der Gewinne". Es heißt sogar, dass die beiden wichtigsten Parteien – die ehemaligen Kommunisten und Fidesz – über ihre eigenen geheimen Truppen verfügen, um die Gelder auf den Autobahnen einzutreiben.

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