Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Photo : MDP

Für einen neuen Wirtschaftspakt

Trotz der Tatsache, dass die meisten EU-Mitgliedsstaaten von konservativen Regierungen geleitet werden, setzen sie in Krisenzeiten Keynes’sche Wirtschaftsstrategien ein. Die verschiedenen politischen Strömungen in der EU sollten ihre ideologischen Unterschiede überwinden und sich auf eine globale Strategie einigen um der Wirtschaftskrise zu begegnen, meint El País.

Veröffentlicht am 2 Juni 2009 um 16:40
Sitz der Europäischen Zentralbank in Frankfurt. Photo : MDP

Die Regierungen der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sind überwiegend rechts gerichtet. Wie auch die Mehrheit im Europäischen Rat und der Präsident der Kommission, Durão Barroso. Im Europäischen Parlament, das in ein paar Tagen neu gewählt wird, herrscht eine Mitte-Rechts-Mehrheit.

Manche spanische Bürger über 25 assoziierten Europa immer mit den unter Franco verlorenen gegangenen Freiheiten (politische und zivile Staatsbürgerschaft) und mit der Entstehung des Wohlfahrtsstaates (soziale Staatsbürgerschaft). Sie sahen Europa seit jeher als ein Projekt des Fortschritts. Anscheinend kommt ihnen diese ideologische Realität nun abhanden. Die Wahl zum EU-Parlament – das bereits ursächlich für über die Hälfte der gesetzgebenden Initiativen ist, die sich auf den Alltag der Europäer auswirken – bietet die Gelegenheit, diese ideologische Tendenz zu bremsen.

Zudem steht der gemeinsame Wirtschaftsraum der EU in einer schlimmen Krise. Dies zeigt sich in der beträchtlichen Reduzierung der Wirtschaftstätigkeit, den steil ansteigenden Arbeitslosenzahlen (über 20 Millionen europäische Arbeitsuchende) und den ausbleibenden Preissteigerungen, was einige Spezialisten als Vorboten einer unmittelbar bevorstehenden Deflation sehen. Zu diesen konjunkturellen Daten kommen noch ein strukturbedingter Negativfaktor – die Nichteinhaltung des Vertrags von Lissabon, der die EU mit einem sauberen sozialen Modell zum fortschrittlichsten Gebiet des Erdballs machen sollte – und ein Paradox: Obwohl die meisten Regierungen der Union konservativ ausgerichtet sind, praktizieren sie derzeit eine keynes’sche Wirtschaftspolitik mit Ankurbelung der Nachfrage und haben mit dem liberalen Modell gebrochen, das bis 2007 im Einsatz war.

Angesichts der ernst zu nehmenden, schnell fortschreitenden großen Rezession scheinen sich die Bürger – wenn man privaten Umfrageunternehmen und dem Eurobarometer glauben kann – einer Tatsache bewusst geworden zu sein, die manche EU-Staaten, insbesondere Spanien, noch nicht in vollem Ausmaß erfasst haben: Eine einzige politische Macht ist alleine nicht in der Lage, ihre Wähler aus der weltweiten, systemischen Wirtschaftsflaute zu retten. Niemand kann mehr die Augen vor den Tatsachen verschließen. Es muss ein neuer Pakt geschlossen werden, anstelle des in der Nachkriegszeit von Sozialdemokraten und Christdemokraten geschlossen Paktes, der Europa zum Integrationsmodell und zum Dauererfolg gemacht hat. Dieser Pakt ebnete den Weg für das goldene Zeitalter des Kapitalismus (die Zeit des stärksten, nachhaltigsten Wirtschaftswachstums, bis Mitte der 70er Jahre) und für die Entstehung des Wohlfahrtsstaates, der besten umsetzbaren Utopie der Menschheit.

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Felipe González, Vorsitzender der Reflexionsgruppe zur Zukunft der EU, sieht für den neuen Pakt fünf Bereiche: eine antizyklische Wirtschaftspolitik, mit welcher die Rezession aufgehalten werden soll, dazu die Einführung einer neuen Finanzordnung, um nicht in alte Fehler zu verfallen (Stärkung und Verbesserung der finanziellen Regulierung); eine neue Agenda, die Lissabon ersetzt und die das europäische Wirtschaftsmodell und den Wohlfahrtsstaat unauflösbar miteinander verbindet (Wie bleibt man zu Globalisierungszeiten eine konkurrenzfähige Wirtschafts- und Technologiemacht? Wie und in welchem Maß kann der soziale Zusammenhalt finanziert werden, um das für Europa bezeichnende soziale Modell aufrechtzuerhalten?); eine Energiepolitik, die eine gute Versorgungssicherheit gewährleistet und zugleich die Grenzen wahrt, die ihr durch die Bekämpfung der Erderwärmung gesetzt sind; gemeinsame Migrationsstrategien, die an den Ursachen für die unkontrollierten Ströme ansetzen, in Zusammenarbeit mit den Ausreiseländern; und schließlich eine Sicherheitspolitik, die nicht nur gegen den Terrorismus, sondern auch gegen Mafias angeht.

Kann man sich noch über diese eher transversalen als ideologischen Strategien einigen? Das kommt zum Teil auf den Ausgang der Wahlen zum EU-Parlament an. Es ist also unbedingt notwendig, dass gewählt wird.

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