Es gibt Alternativen zum Fiskalpakt

Der neue Vertrag, den 25 Mitgliedsstaaten am 2. März in Brüssel unterzeichnet haben, soll ein neues Zeitalter der fiskalen Verantwortlichkeit und der Wirtschaftsunion einleiten. Er ist jedoch unausgereift und verstärkt das Demokratiedefizit der EU, findet ein britischer Journalist.

Veröffentlicht am 2 März 2012 um 16:51

Der bedauerlichste Kommentar über Europa kam diese Woche von einem erfahrenen Funktionär in Brüssel. Dieser erklärte, die Eurokrise sei nun auf dem Weg zu einer Lösung – dank des Eingreifens der Europäischen Zentralbank, die anhand von Krediten an die Banken eine weitere Drittelbillion Euro in das System hineinpumpen soll.

Tatsächlich? Während die Iren ein Referendum über den neuen Fiskalpakt abhalten, auf den sich die Mitglieder der Eurozone geeinigt haben? Während die Bundesbank die EZB für ihr Vorgehen offen kritisiert und sich die Märkte stur weigern, an den Rettungsschirm für Griechenland oder an die Garantien für Staatsanleihen zu glauben? Da meint wirklich jemand, alles sei vorbei? Gewiss nicht in Europas Hauptstädten, auch nicht in Berlin oder Paris.

Das ist zur Zeit das Problem mit der EU. Sie ist zu einem Hund geworden, der nicht bellt. Das einzig überhaupt Interessante an ihren Gipfeln ist nicht, was dort entschieden wird, sondern die Tatsache, dass nie wirklich etwas entschieden wird.

Sehen wir uns den letzten Gipfel in Brüssel an, der gestern angefangen hat und heute endet. Er sollte sein Siegel auf den neuen Fiskalpakt drücken, der wiederum ein neues Zeitalter der fiskalen Verantwortlichkeit und der Wirtschaftsunion einleiten soll. Er sollte auch die Obergrenze der Rettungsfonds so hoch anheben, dass die Märkte von der Beständigkeit, der Stabilität, der Vollständigkeit und der Effizienz der Eurozone überzeugt würden.

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Statt dessen wurde der Entschluss über die Höhe des Rettungsfonds auf Ende des Monats verschoben (oder vielleicht nächsten Monat, oder den danach, je nachdem). Es sollte heute auch ein separater Gipfel der Regierungschefs der Eurozone stattfinden, der das Ganze voranbringen sollte. Das wird aber nicht der Fall sein. „Er wurde nicht abgesagt, weil er nie offiziell an der Tagesordnung stand“, sagte ein Sprecher mit Brüssels wunderbarer Doppelzüngigkeit.

Der irische Gerichtsentscheid, dass das Land ein Referendum abhalten muss, macht das Ganze natürlich nicht einfacher. Er wird den Ablauf um mindestens ein paar Monate verzögern, zumindest bezüglich der endgültigen Fertigstellung (der Pakt kann auch ohne Irland vonstatten gehen). Er wird wohl auch gegenüber der ganzen Art, mit welcher die europäischen Führungspolitiker Sparmaßnahmen als das A und O der Wirtschaftspolitik betrieben haben, alle öffentlichen Zweifel und Antagonismen wecken.

Aber so ist Demokratie eben. Das Referendum in Irland wird ein Erfolg sein, sagte der frühere irische Europaminister Dick Roche diese Woche in einem Gespräch mit der BBC, denn es ist nicht wie beim mühseligen Vertrag von Lissabon. Damals versuchte das Establishment, etwas Komplexes, Abstraktes zu verkaufen. Diesmal hat die Öffentlichkeit verstanden, dass es um das „Überleben“ geht.

Genau das ist das Problem. Lösungen – und ein neuer Pakt – werden den Bürgern von ihren Regierungen aufgedrückt, mit der Erklärung, es gebe „keine Alternative“. Dabei gibt es durchaus Alternativen. Dazu gehört etwa, Griechenland zahlungsunfähig werden zu lassen, oder die EZB-Regeln dahingehend abzuändern, dass sie der Kreditgeber der letzten Instanz sein und Euroanleihen ausgeben darf. Man könnte auch den neuen Europäischen Stabilitätsmechanismus neben der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität laufen lassen anstatt sie zu ersetzen, und ein koordiniertes, europaweites Reflationsprogramm hervorbringen.

Die Probleme sind ja verständlich. Die Deutschen wollen das alles nicht. Die Franzosen wollen, dass die Deutschen die ganze Last übernehmen. Die Briten wollen sich nur heraushalten. Darum haben wir jetzt diesen Vorschlag mit dem unausgegorenen Pakt, der nicht genug Biss hat, um den Markt davon zu überzeugen, dass er mehr bedeutet. Dennoch droht er, ein undemokratisches System noch undemokratischer zu machen, indem er den Staaten das Recht auf die Kontrolle ihrer eigenen Staatshaushalte entzieht. Es ist schon merkwürdig ironisch, dass Wales und Schottland bei uns in der Kontrolle ihrer eigenen Steuereinnahmen eine größere Unabhängigkeit sehen, während sich Europa gleichzeitig in die entgegengesetzte Richtung bewegt und versucht, sie aufzuheben.

Die EZB hat Europa Zeit verschafft, doch diese Zeit sollte dazu genutzt werden, die Grundsätze zu überdenken und nicht nur rein aus Prinzip Gipfeltreffen abzuhalten, wie es die Regierungschefs derzeit tun.

Wirtschaft

Die Krise erreicht Nordeuropa

Die Süddeutsche Zeitung ist der Meinung, der Gipfel in Brüssel sei

vom Wunschdenken bestimmt. [...] Statt über Krisenmanagement wollen [die Regierungschefs] darüber reden, wie sie Jobs schaffen [und] Unternehmen wettbewerbsfähig machen [...]. Das ist nicht falsch, aber nur die halbe Wahrheit.

Die Krise sei noch lange nicht überwunden, sondern nur „unter den Teppich gekehrt“, heißt es weiter. Es ist noch nicht sicher, ob Griechenland neue Hilfen bekommt oder wie hoch die Rettungsmechanismen sein werden – die Entscheidung wurde vertagt. Und schon erscheint am Horizont des Gipfels ein neues Problem: Die Niederlande, die bisher eine strenge Haushaltspolitik verteidigt hatten,

verlieren so dramatisch an wirtschaftlicher Potenz, dass die Regierung in Den Haag selbst harte Sparmaßnahmen beschließen muss. Die Krise ist in Nordeuropa angekommen, der einstige Hort ökonomischer Stabilität bröckelt.

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