Aufkleber der Kampagne "I want you for Belgium", gestartet 2007 von einer Bürgerinitiative zum Schutz der belgischen Einheit. Foto: K / Flickr

Französisch ade, Englisch olé!

Überall in Brüssel, und nicht nur in den internationalen Institutionen, verliert die französische Sprache an Gewicht, während die englische auf dem Vormarsch ist. In einem Land, das keine einheitliche Amtssprache besitzt, vermeidet man mit der Sprache Shakespeares, sich zwischen Französisch und Flämisch entscheiden zu müssen.

Veröffentlicht am 22 Dezember 2009 um 16:22
Aufkleber der Kampagne "I want you for Belgium", gestartet 2007 von einer Bürgerinitiative zum Schutz der belgischen Einheit. Foto: K / Flickr

Während des Medienspektakles der täglichen Pressekonferenz der Europäischen Kommission in Brüssel mit Hunderten von Auslandskorrespondenten, kämpft die französische Sprache um ihren Platz, erklärt der Belgien-Korrespondent von Le Monde. Neben Französisch ist Englisch eine der beiden offiziellen Sprachen dieser öden Veranstaltung, wo Sprecher Barrosos und verschiedene Kommissare Frage und Antwort stehen. Manche hohe Beamte aber vermeiden die französische Sprache, sei es, weil sie nicht wollen, sie vergessen oder sie nicht können. Es kommt vor, dass sie von frankophonen Journalisten zur Ordnung gerufen werden, unterstützt dabei von den Mittelmeerländern, zahlreichen osteuropäischen Staaten und ein paar Deutschen, die zwar Englisch können, aber nicht auf ein "alles auf Englisch" pochen.

Einen Katzensprung entfernt, im NATO-Hauptquartier, ist die französische Sprache wirklich vom Aussterben bedroht. Sie ist zwar offiziell die zweite Sprache der Atlantischen Allianz, wird aber in den Sitzungen und Informationsveranstaltungen kaum noch benutzt. Die Situation erklärt sich aus der amerikanischen Dominanz, aus der Reihe der überwiegend anglophonen Generalsekretäre, aus der lange Zeit paradoxen Situation Frankreichs — mit einem Bein in der NATO, mit dem anderen nicht — und aus der spärlichen Reihe von Korrespondenten französischer Medien.

In Brüssel, einer zweisprachigen Region, in der 90% der Bevölkerung Französisch sprechen, ist die französische Sprache innerhalb der internationalen Institutionen im Abwind. Sie "macht sich vor dem Englischen aus dem Staub" (elle file à l’anglaise“), wie es das Maison de la Francité beschreibt, eine Institution, die sich für die Sprache Voltaires einsetzt.

In einer kürzlich veröffentlichten Broschüre, legt dieser Ableger des Parlaments der Region Brüssel, deutlich dar, dass die Anglisierung sich zwar aus dem Status der internationalen Metropole erkläre, es sei aber dennoch ein kritischer Punkt erreicht. "Mit Englisch vermeiden Institutionen und Unternehmen die Mehrsprachigkeit, die hier eigentlich logisch wäre. Aber sie unterspielen gleichzeitig auch die reale Bedeutung der französischen Sprache", so die Diagnose von Serge Moureaux, Präsident des Maison de la Francité.

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Lächerliches Englisch

Welches Gewicht haben noch die Verteidiger der französischen Sprache vor diesen knallharten Tatsachen? Offensichtlich kaum welches. Das stellt selbst das Maison de la Francité ohne Illusionen fest. In den Bekanntmachungen der belgischen Behörden und Unternehmen (öffentlich oder nicht), in den Bereichen Kultur und Medien überwiegt die englische Sprache, manchmal bis ins Lächerliche. Man baut Sätze wie "Ich mach' mal kurz einen Print mit einem Slash in Bold." Der Slogan der nationalen Fluggesellschaft lautet "Flying your way". Das neue Brüsseler Kongresszentrum wurde "Brussels Meeting Center getauft". Das U-Bahn-Ticket kauft man in der "Bootik" und die Steuererklärung gibt man im "Tax on Web". Man sieht sich einen alten Film in der "Cinematek" und eine Ausstellung im "Bozar" an...

Warum dieser Hass auf die französische Sprache? Weil Englisch das am meisten verstandene Idiom ist, jene Sprache, mit der sich alle minimal verständigen können. Weil man es mit Englisch vermeidet, zwischen Französisch und Holländisch wählen zu müssen, zwei der drei offiziellen Landessprachen des Königreichs Belgien, neben Deutsch. Weil es eh niemanden stört, auch die Frankophonen nicht, in einem Land, das "nicht sehr mit dem Wort vertraut ist", wie es der Schriftsteller und Journalist Nicolas Crousse (Le Complexe belge, Anabet Editions) formuliert. In diesem seltsamen Land, ohne einheitliche Landessprache (es gibt kein "Belgisch"), sind Flämisch und das "belgische Französisch" im Vergleich zu ihren großen Geschwistern (das Holländisch der Niederlande und das Französisch Frankreichs) "was eine Fliege für einen Löwen ist : ein Geburtsfehler", so die Analyse von Nicolas Crousse. Vielleicht ist es deshalb den Belgiern gelungen ist, sich eher mir Bildern denn mit Worten auszudrücken. Vielleicht waren sie es einfach leid, Komplimente zu hören wie "Für einen Belgier sprechen Sie aber gut Französisch."

In einer ebenso verzweifelten wie rührenden Initiative versucht das Maison de la Francité zu retten, was zu retten ist. Die Broschüre listet Anglizismen, die man benutzen kann und andere, die man besser vermeiden sollte. Benutzen darf man Milkshake, Callgirl oder Pole-Position. Vermeiden sollte man Bulldozer, Chat und Camping-car. Aber wer würde denn Vokabeln wie, "bouteur", "clavarder" und "autocaravane" benutzen?...

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