Szene aus Fritz Langs Metropolis (1927)

Erasmus, Fabrik für Europäer

Seit seiner Schaffung 1987 sind 1,7 Millionen Studenten mit dem universitären Austauschprogramm ins Ausland gegangen. Hat es zwanzig Jahre später zur Bildung eines europäischen Geistes beigetragen, fragt Le Monde.

Veröffentlicht am 3 Juni 2009 um 15:10
Szene aus Fritz Langs Metropolis (1927)

Europas Kinderstube? Sind die jungen Leute, die am Erasmus-Programm teilnehmen, die Avantgarde der Nation Europa? Diese Idee stand hinter der Gründung des Programms im Jahr 1987. "Ziel der Union war es", so präzisiert Anne van Gemert vom Frankreich-Portal des Europäischen Parlaments, "bestimmte europäische Werte zu fördern: Solidarität, Freiheit, Mobilität… In den 80er Jahren haben wir gemerkt, dass wir in dieser Hinsicht zwar in Wirtschaft und Landwirtschaft vieles erreicht haben, aber kaum etwas bei den Bürgern. Deshalb wurde Erasmus in die Wege geleitet."

Schwierig zu sagen, ob der EU die Sache geglückt ist. Sicher: bei den 1,7 Millionen Studenten, die seit mehr als zwanzig Jahren am Programm teilgenommen haben, gibt es Gemeinsamkeiten. "L’Auberge espagnole-Barcelona für ein Jahr (der Film von Cedric Klapisch, 2002) wurde gerade deshalb zum Kultfilm der Erasmus-Austauschstudenten, weil er eben zeigt, wie ihre kleine Welt funktionniert : eine Gruppe, die unter sich bleibt.",stellt die Forschungsbeauftragte des think tanks "Fondation pour l’Innovation politique" und ehemalige italienische Erasmus-Studentin Sara Pini fest. Was die Leute zusammenschweißt, ist die gemeinsame Erfahrung des Entwurzeltseins. "Man teilt ein sehr starkes Gefühl. Das verbindet. Oft bleibt man deshalb unter sich", fährt Frau Pini fort. Diese multikulturellen Gruppen sind "informelle Lebensgemeinschaften. Die ideale Gelegenheit, um zu lernen, wie Europa praktisch funktioniert."

In diesen Bildungsstätten Europas wachsen Netzwerke, Freundschaften und Projekte heran, wie zum Beispiel die Website Cafebabel, "das erste mehrsprachige europäische Nachrichtenmagazin", so dessen Leiter für Kommunikation Alexandre Heully "mit dem Ziel, die Menschen anzuregen, über die Grenzen hinweg zu denken." Von der Bildungsstätte zum Kindergarten : die "Europärchen" zeugen "Eurobabys". "Erasmus ist die erfolgreichste Heiratsvermittlung Europas", scherzt Frau Pini.

Doch schafft das alles einen europäischen Geist? Ja, antworten Frau Gemert, Herr Heully und Frau Pini. "Die Erasmus-Generation", fügt Letztere hinzu, "kommt heute in politische und ökonomische Machtpositionen. Man stellt bei der jungen Elite eine größere Offenheit fest." Heikel zu sagen, welchen Anteil genau dem Erasmus-Programm dabei zukommt. Magali Ballatore, Post-Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin beim CNRS, hat sich mit dem Thema der Mobilität der Erasmus-Studenten befasst. Für sie hängt die europäische Einstellung "nicht nur von der Erasmus-Erfahrung ab, sondern auch von der Persönlichkeit des Einzelnen, sowie vom familiären Hintergrund. Darüber hinaus", fährt sie fort, "kann die Tatsache, das man ein Ausländer unter Ausländern ist, auch ein nationales Zugehörigkeitsgefühl hervorrufen, das in dem Maße vorher nicht präsent war…"

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Was nun? Kern der Nation Europa oder doch nicht? "Die innereuropäische Immigration, wesentlich zahlenstärker als die ein oder zwei Prozent der Studenten, die am Erasmus-Programm teilnehmen, hat einen größeren Beitrag für Europa geleistet", meint Frau Ballatore. Diese zahlenmäßige Schwäche ist auch dem Staatssekretär für Europafragen Bruno Le Maire nicht entgangen. Er verlangt, die innereuropäische Mobilität zu fördern, damit die Hälfte eines Jahrgangs davon profitieren kann.

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