Polzeipatrouille am Flughafen Frankfurt a.M (Deutschland). (AFP)

Sicherheit oder Demokratie?

Die in den vergangenen Tagen vereitelten Anschläge haben die Diskussion um die Sicherheit im Zeitalter der terroristischen Bedrohung wieder neu entfacht. Während mehrere Länder trotz millionenschwerer Kosten verstärkte Kontrollen auf den Flughäfen in Betracht ziehen warnt der Jurist Stefano Rodotà vor dem schleichenden Verschwinden der Freiheitsrechte und der Demokratie, die seit dem 11. September im Gange ist.

Veröffentlicht am 6 Januar 2010 um 16:41
Polzeipatrouille am Flughafen Frankfurt a.M (Deutschland). (AFP)

Sicherheit oder Demokratie? Dieses so alte Dilemma beschäftigt uns auch weiterhin und verschärft sich immer dann, wenn Terrorismus und Kriminalität uns auf immer aggressivere Art und Weise heimsuchen. Seit dem 11. September herrscht das Gebot der Sicherheit. Seither ist sie der einzige Leitfaden unseres Denkens und hat alle anderen verdrängt. In den vergangenen Tagen ist diese Geisteshaltung stärker als jemals zuvor in unseren Alltag zurückgekehrt. Die Reaktionen auf den versuchten Anschlag auf ein Flugzeug auf dem Weg von den Niederlanden in die USA waren nicht immer angemessen. Müssen wir also die fortschreitenden Auflösung unserer Rechte akzeptieren und uns dem Schicksal eines schleichenden Verfalls der Demokratieprinzipien ergeben?

Auch in diesen schwierigen Zeiten ist es notwendig, dass die Politik einen kühlen Kopf behält und weder den Emotionen noch der Versuchung nachgibt, die besagen, dass man nur auf den Terrorismus reagieren könne, wenn man die Freiheitsrechte einschränkt. Am Tag nach dem blutigen Anschlag auf den Madrider Atocha Bahnhofvom 11. März 2004 betonte König Juan Carlos wie wichtig es sei, fest an den Rechtsstaatsprinzipien festzuhalten. Nach den Anschlägen auf die Londoner U-Bahn am 7. Juli 2005 erklärte Königin Elisabeth, dass die Terroristen „nichts an unserer Lebensweise verändern werden“ und setzte damit eine klare Grenze, die in einer Demokratie nicht übertreten werden darf. Andernfalls sei das System, dessen Stützsäule sie doch ist, selbst marode.

Gegenwärtig widmen wir den sogenannten Körperscannern unsere ganze Aufmerksamkeit. Diese Instrumente invasiver Kontrolle wurden ursprünglich zu medizinischen Zwecken konzipiert und erlauben es, die Körper von Menschen „zu lesen“, indem sie jedes Detail erkennen lassen uns somit auch jedes Objekt, das am Körper geragen wird. Nicht zum ersten Mal geben die politischen Führungspersonen dem Druck der Technologie nach, verzerren die Wirklichkeit, und reden uns Lösungen ein, die sich als gefährlich und völlig unwirksam erweisen könnten.

Dass es um die Verzerrung der Realität geht, lässt sich allein daran erkennen, dass sich die Diskussionen fast ausschließlich um das technische Werkzeug drehen und einen viel besorgniserregenderen Aspekt im Hintergrund verschwinden lassen: Die amerikanischen Kontrollen haben versagt. Sogar noch mehr als die wirkungslosen Untersuchungen am Amsterdamer Flughafen. Die amerikanischen Behörden verfügten über Informationen über den Attentäter. Sie wussten, dass er diesen Flug nehmen würde und waren nicht in der Lage, die entsprechenden Informationen so miteinander zu kombinieren, dass man diese Person daran hätte hindern können, an Bord zu gehen. Verantwortlich ist in erster Linie also der Geheimdienst und nicht die Technologie. Gescheitert ist also die Bürokratie und nicht die Technologie.

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Dass man der Technologie dennoch die ganze Verantwortung zuschreibt, erweist sich als eine ziemlich gefährliche Entwicklung, der sich die Politik freilich hingibt, um eine Reihe schwieriger Fragen zu klären. In den vergangenen Tagen hat die Erkenntnis, dass ein derart verallgemeinerter Einsatz von Körperscannern außerordentlich hohe Kosten bedeutet, dazu geführt, dass man sich wieder auf den notwendigen Ausbau und die Organisation des Geheimdienstes konzentriert. Denn schließlich werden die Terroristen, auch wenn man es mithilfe technologischer Hilfsmittel schafft, die Sicherheit der Flüge zu gewährleisten, ihre Pläne nicht einfach aufgeben. Daher sollte man die Frage der Körperscanner unter drei Gesichtspunkten analysieren: Wirksamkeit, Kosten sowie der Respekt der Würde und der Freiheit des Einzelnen. Wirtschaftlich gesehen handelt es sich um hohe Investitionen. Vor allem müssen ausreichend viele Körperscanner eingesetzt werden, damit die Dauer der Kontrollen nicht unerträglich wird. Und was sagt man zu diesem „virtuellen Striptease“, dem sich jeder Reisende unterziehen muss?

Seit Monaten stellt sich die Europäische Kommission diese Frage. Die Garanten für Privatsphäre in den einzelnen Mitgliedsstaaten und dieAgentur der Europäischen Union für Grundrechtewurden befragt. Sie haben sehr kritische Antworten gegeben. Besonders betont wird die Notwendigkeit einer Reihe von Garantien, wie beispielsweise dass diese Hilfsmittel nur dann eingesetzt werden, wenn auch sichergestellt werden kann, dass eine absolute Notwendigkeit dafür besteht und die spezifischen gesetzlichen Bestimmungen respektiert werden. Zudem muss es möglich sein, den Körperscanner abzulehnen. Dann müsste eine manuelle Kontrolle diesen ersetzen können. Es müssen Technologien angewendet werden, die Geschlechtsmerkmale und eventuelle physische Beeinträchtigungen nicht erkennen lassen. Diese wiederum würden aber auch andere Objekte nicht ausreichend präzise darstellen. Außerdem müssten die Beamten, die die Kontrollierten physisch vor sich sehen und diejenigen, die die Bilder überwachen, getrennt voneinander arbeiten. Auch müssen die Bilder nach der Kontrolle gelöscht werden.

Allerdings handelt es sich nicht nur um ein einfaches technisches Problem: Die Europäische Union müsste sich vor allem zur Übereinstimmung derartiger Maßnahmen mit der Charta der Grundrechteäußern. In deren ersten Zeilen ist nämlich die Rede von der Unverletzlichkeit der Würde des Menschen.

Es handelt sich nicht um eine bloße rhetorische Wiederholung. Dass Freiheiten und Rechte schleichend verschwinden und der Gesellschaft zunehmend freiheitseinschränkenden Maßnahmen zugemutet werden, ist schlicht und einfach inakzeptabel.

Meinung

Pantsmans Sieg über den Westen

In nur einer Nacht wurde Umar Farouk Abdulmutallab von einem vollkommenen Verlierer (einem Studenten ohne Freunde, der in Blogs über Selbstbefriedigung schrieb und Fan von Liverpool war) zu einer Bedrohung für die Menschheit“, beschreibt der Herausgeber von Spiked, Brendan O’Neill, den „Pantsman” oder „Macher“. Der verhätschelte Student vom University College London scheiterte bei dem Vorhaben, eine in seiner Hose versteckte Bombe am Weihnachtsfeiertag auf einem Flug von Amsterdam nach Detroit explodieren zu lassen. Auf die Tat dieses einsamen Dschihad-Fantasten „reagierten London und Washington auf voreilige und lächerliche Art und Weise: Die Gesellschaft soll noch mehr abgesichert, Freiheitsrechte ausgelöscht und in Flughäfen noch härter durchgegriffen werden“. Solche die Privatsphäre vernichtenden Maßnahmen verleihen dem Terrorismus eine gewaltige Macht. „Der Grund für die so große Macht des Terrorismus ist aber nicht das Glaubenssystem der vermeintlichen Terroristen (die sonderbar und verrückt sind) oder die Macht der Terroristen selbst, die es ihnen ermöglicht, anderen Menschen Leid zuzufügen (eine tatsächliche Macht, die in Wirklichkeit aber äußerst eingeschränkt ist). Vielmehr ist es die Zerbrechlichkeit der gegenwärtigen Gesellschaft, die den Terrorismus so mächtig werden lässt.“ Seine Schlussfolgerung lautet: „Nun auf Flughäfen durch jedermanns Kleidung zu schauen, ist noch lange kein Ersatz für eine eigenständige und intelligent aufgebaute polizeiliche Kontrolle wirklich gefährlicher Individuen.“

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