Eine einmalige Gelegenheit für Unternehmer

Aufgeweichter Kündigungsschutz, drastische Lohnsenkungen Erhöhung des Rentenalters: Unter dem Druck von Rezession und Staatsschulden schleifen europäische Regierungen reihenweise die Arbeitnehmerrechte. Zur Freude der Arbeitgeber.

Veröffentlicht am 23 März 2012 um 14:31

In Griechenland, Spanien, Italien und Portugal wütet die Krise. Ganz Südeuropa liegt am Boden. Ganz Südeuropa? Nein. Einigen Menschen in diesen Ländern gehen lang gehegte Wünsche in Erfüllung. Zum Beispiel Juan Rosell, Chef des spanischen Arbeitgeberverband CEOE. Jahrelang hatte er eine Aufweichung des Kündigungsschutzes angemahnt. Nun hat die Regierung seine Forderung erfüllt. „Es wird nicht die letzte Arbeitsmarktreform gewesen sein“ prophezeit Rosell siegesgewiss. Die Krise ist seine Chance.

Die Unternehmen Europas haben Oberwasser. Unter dem Druck von Rezession und Staatsschulden schleifen Regierungen flächendeckend Arbeitnehmerrechte und drücken Lohnkosten. Ziel ist es, die Standorte für Investoren billiger und damit attraktiver zu machen. „Europa ist auf dem Weg in ein Unternehmer-Paradies – auf Kosten der Arbeitnehmer“, klagt Apostolos Kapsalis vom Forschungsinstitut des griechischen Gewerkschaftsbundes GSEE.

Italien

Reform im deutschen Stil?

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Mario Montis Regierung dürfte am 23. März die Reform des Arbeitsrechts abschließen, dabei insbesondere die des Paragraphen 18 über unrechtmäßige Entlassungen. Die italienischen Arbeitgeber fordern diese Reform seit Jahren, denn sie führen die schwache Konkurrenzfähigkeit der italienischen Industrie darauf zurück, dass Entlassungen nur schwer durchzubringen sind. Bis jetzt war es aufgrund des erbitterten Widerstands der Gewerkschaften keiner Regierung gelungen, das Problem anzugehen.

Der Kernpunkt der Reform, so erklärt La Repubblica, ist die Abschaffung der Wiedereinstellungspflicht nach Entlassungen aus wirtschaftlichen Gründen, welche vom Arbeitsgericht jedoch als unzureichend beurteilt werden. Der Richter kann sich jetzt nicht mehr über die Stichhaltigkeit dieser Gründe äußern, sondern nur noch das Unternehmen dazu zwingen, den entlassenen Arbeitnehmer zu entschädigen, wenn die Entlassung widerrechtlich war. Die Reform führt jedoch auch neue Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung für Angestellte in unsicheren Arbeitsverhältnissen sowie eine neue Form des Arbeitslosenentgelts ein.

Noch wurde die Reform vom Parlament nicht abgesegnet, doch die CGIL, die größte Gewerkschaft des Landes, droht bereits mit einem Generalstreik.

„Begeht die Monti-Regierung gerade ihren ersten groben Fehler?“ fragt Gian Enrico Rusconi in La Stampa. Der Regierungschef hat behauptet, er wolle sich am deutschen Modell inspirieren – hat dabei allerdings vergessen, dass letzteres vorwiegend auf Verhandlungen mit den Tarifpartnern beruht. Dieser Aspekt wurde bis jetzt ignoriert, obwohl andererseits betont wurde, man wolle Italien auf den Stand der anderen europäischen Länder bringen, wie Rusconi erklärt:

Es wird Zeit, dass Monti die europäische Dimension beim Vorgehen seiner Regierung besser argumentiert, ohne nur auf die Märkte, die Börse oder andere Indikatoren einzugehen. Er ist sich durchaus bewusst, dass diese nur einen relativen Wert besitzen. [...] Ich kann mir vorstellen, dass die „Techniker“ wissen, welche außerordentliche, unersetzliche Ressource der soziale Konsens in der Effizienz des Beschäftigungssystems darstellt.

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