So stand das nicht in der Broschüre. Werbung für ein Bauprojekt aus Boomzeiten vor einem verlassenen Fabrikgelände in Ballyfermot, Dublin (Rothar)

Abgebrannt im Musterland

Irland ist der von der Weltwirtschaftskrise am schlimmsten getroffene EU-Staat und schwer erschüttert durch die wie Brandrodung anmutenden Regierungshaushalte. Die Jahre des boomenden Keltischen Tigers scheinen nur allzu lange zurück zu liegen. Rob Brown warnt, dass Dublins Bemühungen, die öffentlichen Ausgaben zu reduzieren und die internationale Finanzbranche bei Laune zu halten, nicht nur zum wirtschaftlichen, sondern auch zum sozialen Supergau führen könnten.

Veröffentlicht am 18 Januar 2010 um 15:39
So stand das nicht in der Broschüre. Werbung für ein Bauprojekt aus Boomzeiten vor einem verlassenen Fabrikgelände in Ballyfermot, Dublin (Rothar)

Nachdem es als Vorzeigekind einer globalisierten freien Marktwirtschaft von Ungarn bis Honduras galt, führt Irland nun von allen EU-Staaten die drastischsten Kürzungen bei Beamtenlöhnen, Kindergeld und Sozialhilfe durch. So schwer ist das Kreuz, das die zunehmend verstörten Bürger der kleinen Republik tragen müssen, dass sogar Brian Lenihan – der Mann, der hauptsächlich dafür verantwortlich ist – öffentlich bekanntgab, die europäischen Nachbarn seien "verblüfft über unsere Fähigkeit, Schmerz zu ertragen". Der Finanzminister fügte großspurig hinzu: "In Frankreich würden alle auf die Barrikaden gehen."

Seit dem Ausbruch der Kreditkrise Mitte 2008 lieferte Dublin drei gnadenlose Staatshaushalte, die geschätzte fünf Prozent des Bruttoinlandprodukts der Nation schluckten. Derartige Kürzungen, die den rapiden Kollaps im privaten Sektor noch verschärfen statt abfangen, könnten zu einem überraschenden 15-prozentigen Schrumpfen der irischen Wirtschaft insgesamt beitragen – die schärfste Minderung, die jemals von einer hoch entwickelten Industrienation in Friedenszeiten erlebt wurde. Die Arbeitslosenquote liegt heute bei 12,5 Prozent und die Anzahl der stempeln gehenden Iren (Teilzeitarbeiter eingeschlossen) ist weit über die 400.000-Marke gestiegen, bei einer Bevölkerung von 4,5 Millionen. Es könnten leicht eine halbe Million werden, bevor der Konjunkturrückgang vorbei ist, und es wären noch viel mehr, wenn Irlands mobilere Bürger sowie viele der neueren Immigranten nicht auf der Suche nach Arbeit das Land verließen. Wieder einmal ist die Massenemigration ein Sicherheitsventil für soziale Unruhen, wie es in Irlands Geschichte durchgehend der Fall war.

Zombie-Banken fressen Kreditwürdigkeit

Mindestens zwei Generationen scheinen dazu bestimmt zu sein, einen schmerzhaften Preis für den Wahnwitz der goldenen Kreise zu zahlen. Letztere halsten Irland mit ihren Schwindeleien und Betrügereien diverse Zombie-Banken auf, die andere bankrotte Geldinstitute noch relativ dynamisch aussehen lassen. Allein schon der Fall der Anglo-Irish könnte über 30 Milliarden Euro an öffentlichen Geldern verschlingen, was den Gesamteinnahmen des irischen Finanzministeriums im ganzen letzten Jahr entspricht. Morgan Kelly, Wirtschaftsprofessor am University College in Dublin schätzt, dass "massive Versäumnisse von Hypothekenzahlungen, hervorgerufen durch Arbeitslosigkeit und fallende Immobilienpreise, der nächste Akt der irischen Wirtschaftstragödie sind. Sowie ein erneuter Konkurs unserer wertlosen Banken".

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Dublins anfällige Regierung scheint noch weit mehr beunruhigt über die Gefahr, dass internationale Investoren die Kreditwürdigkeit des Landes herunterstufen. Irland soll nicht mit Griechenland gleichgesetzt werden, dessen immer noch verschwenderisches Haushalten droht, die gesamte Eurozone ins Schwanken zu bringen. Durch die 20-prozentige Kürzung der Staatsausgaben für die nächsten vier Jahre soll eine wichtige Anforderung für die Mitgliedsstaaten der Währungsunion erfüllt werden: Ihre Ausgabendefizite müssen sich auf maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts begrenzen. Niemand in Dublin bezweifelt, dass Irland, hätte es sich nicht der Einheitswährung angeschlossen, heute im selben Schlamassel stecken würde wie Island.

Kumpanen-Kapitalismus auf der Fantasie-Insel

Irlands politisches System ist seit langer Zeit tribalistisch, dezentral und klientelistisch. Die Bonzen taten sich in den Jahren des Keltischen Tigers gütlich, doch der Kumpanen-Kapitalismus (eine kapitalistische Wirtschaft, die auf enge Beziehungen zwischen Regierung und Geschäftswelt angewiesen ist) war immer mit einer vagen Verpflichtung zur Gleichberechtigung verbunden. Zu seinen Taoiseach-Zeiten verteidigte Bertie Ahern, wie seine Partei Bauträgern, Baufirmen und Bankern anlässlich von nationalen gesellschaftlichen und sportlichen Ereignissen den Hof machte. Auf dem Höhepunkt des Booms sagte er: "Wenn beim Rennen in Galway nicht die Leute im Zelt sind, die den Reichtum erzeugen, dann kann ich ihn nicht weiterverteilen."

In Wirklichkeit präsidierte er über eine Fantasie-Insel. Als ernsthafte Bedenken aufkamen, über den unhaltbaren Immobilienboom der Republik – der vor dem Crash fast ein Fünftel der Einkünfte des irischen Schatzamtes ausmachte – gab Ahern zurück, dass "die Boomzeiten noch boomiger werden". Er traf keine ernsthaften Maßnahmen, um die unbesonnene Abhängigkeit des Staates von der Immobilien- und Baubranche zu vermindern. Die Insel, auf der einst Heilige und Gelehrte das Wort führten, war zum Land der Schieber und Spekulanten geworden, und dazu ein ausgelagertes Produktionszentrum für amerikanische Multis. Irlands Wirtschaftswunder war immer schon eine Halluzination, weil diese US-Firmen mit ihrem Schwerpunkt auf Chemikalien, Pharmazeutika und Computersoftware das Land als Steuerparadies im Atlantik und als Zugang zum EU-Markt benutzten. Irland Inc. war immer viel reicher als die nationale Arbeiterschaft, die zu drei Vierteln weniger als 40.000 Euro im Jahr verdiente, sogar in guten Zeiten. Damals erkaufte man sich Beliebtheit – und den Frieden mit den Gewerkschaften – durch drastische Kürzungen der Einkommenssteuern. Als Ahern 1997 sein Amt antrat, zahlte der durchschnittliche Alleinstehende mit 40.000 Euro Jahreseinkommen noch 40,6 Prozent Steuern. Bis 2004 waren sie auf nur 19,7 Prozent reduziert worden.

Falls es dieser Tage in Dublin eine Regierungsphilosophie gibt, dann diese: Ebenso wie die Ausbeute der Tigerzeiten verteilt wurde, so muss jetzt auch jeder einen Teil der Last tragen. In der Zwischenzeit steigt die Besorgnis, Dublin riskiere mit seiner Schocktherapie einen Deflationsschock, der nicht nur die Rückstellungen für den öffentlichen Dienst zum Zusammenstürzen bringen, sondern Irland in eine ausgewachsene Depression treiben könnte.

Bankenkrise

Regierungen unwillig, Untersuchungen durchzuführen

Nach monatelangem öffentlichen Druck kündigte die irische Regierung ihre Absicht an, eine Untersuchung über den Zusammenbruch des irischen Bankensektors im Jahr 2008 einzuleiten, berichtet der Irish Independent. Die Bankenkrise, die zur Nationalisierung der Anglo-Irish Bank und zur Sanierung weiterer Banken führte, kostet die irische Öffentlichkeit rund 30 Milliarden Euro allein für die Anglo-Irish. Und als ob die Sorgen über Irlands kolossale Staatsverschuldung von 75 Milliarden Euro noch nicht ausreichend wären, berichtet der Sunday Independent, dass diese Zahl bis 2014 auf das Doppelte ansteigen soll. Verschlimmert wird dies duch die anhaltende Unfähigkeit des Finanzministeriums, die Steuern zu erhöhen, die "seit 2007 von ihrem Höchststand von 47,3 Mrd. Euro auf knapp 33 Mrd. Euro letztes Jahr gesunken sind". "Infolge dessen", so die Tageszeitung, "muss in einer traurigen Realisierung der katastrophalen finanziellen Lage des Landes ein Fünftel aller erhobenen Steuern nur darauf angewendet werden, die Zinsen des Schuldenbergs abzuzahlen".

Die öffentliche Stimmung wird sich jedoch noch verschlechtern, denn es wird berichtet, dass Taoiseach Brian Cowendie Untersuchung der Öffentlichkeit nicht zugänglich machen will. Ein ähnliches Widerstreben ist auch in den Niederlanden festzustellen, wo die Amsterdamer Tageszeitung Trouwberichtet, dass die ersten Anhörungen, die am 18. Januar vor der niederländischen Kommission für die eigene Bankenkrise abgehalten wurden, zwar öffentlich, aber weder verpflichtend noch unter Eid stattfinden. Die Kommission zieht eine staatliche Unterstützung für niederländische Banken wie ING (10 Mrd. €), AEGON (3 Mrd. €) und SNS Reaal (750 Mio. €) in Betracht. Nach Angaben des Zentralen Planbüros (Centraal Planbureau – CPB) war die niederländische Wirtschaft im Jahr 2009 um 4,75 Prozent rückläufig.

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