Häftlinge beim Gebet in Guantánamo, Oktober 2009 (AFP)

Europa kann Guantánamo schließen

Ein Jahr nach Barack Obamas Ankündigung der Guantánamo-Schließung befinden sich immer noch 198 Gefangene in dem berüchtigten Lager. Colm O'Gorman meint in der Irish Times, dass Europa den Häftlingen seine Tore öffnen muss, hat es Guantánamo doch mit außerordentlichen Überstellungen und Geheimgefängnissen möglich gemacht.

Veröffentlicht am 25 Januar 2010 um 15:45
Häftlinge beim Gebet in Guantánamo, Oktober 2009 (AFP)

Vor genau einem Jahr verkündete Barack Obama binnen der auf seinen Amtsantritt folgenden 48 Stunden, dass man das Gefangenenlager Guantánamo Bay in den nächsten zwölf Monaten schließen und das CIA-Netzwerk geheimer Gefängnisse auflösen würde. Gegenwärtig gibt es in Guantánamo noch immer 198 Gefangene. Und zu den Praktiken der CIA gehören noch immer die "außerordentlichen Überstellungen", bzw. um es treffender auszudrücken: Entführungen. Nach wie vor kann die CIA Menschen in geheimer Gefangenschaft festhalten oder sie zu Vernehmungen an andere Länder ausliefern. Dutzende der Menschen, die in den geheimen CIA-Gefängnissen gefangen gehalten wurden, werden noch immer vermisst. Noch immer verweigert man den Gefangenen ein faires Gerichtsverfahren. Zudem wurde noch niemand für die von US-Geheimdiensten oder denjenigen, die in ihrem Auftrag arbeiten, verantworteten Entführungen und Folterungen zur Rechenschaft gezogen.

Egal, welche Maßstäbe man auch anlegt, und auch wenn man diejenigen in Betracht zieht, die er selbst aufgestellt hat: Das erste Jahr der Obama-Regierung kann sich nur mit außerordentlich geringfügigen Fortschritten in Sachen Menschenrechten rühmen. Es ist richtig, dass eine gewisse Anzahl von Guantánamo-Häftlingen freigelassen wurde. Und es stimmt auch, dass Foltermethoden wie Waterboarding und andere sogenannte Befragungstechniken abgeschafft wurden. Natürlich kann man solche Veränderungen nur begrüßen. Jedoch sind die Verstöße gegen die Menschenrechte, welche die Vereinigten Staaten von Amerika auch gegenwärtig noch immer begehen, nicht weniger abscheulich, nur weil George W. Bush nicht mehr Präsident ist.

Menschenrechtsverletzungen kein amerikanisches Problem

Um dieses Problem ein für allemal zu lösen, müsste man als erstes anerkennen, dass es sich hierbei nicht einfach um ein amerikanisches Problem handelt. Die Regierung der USA ist für die jahrzehntelangen Verletzungen der bestehenden internationalen Menschenrechtsgesetze und deren Achtung nicht allein verantwortlich. Man half ihr dabei. 2006 erklärte der Europarat beispielsweise: "Es steht gegenwärtig fest, dass die Behörden verschiedener europäischer Länder ebenso rechtswidrig gehandelt und aktiv mit der CIA zusammengearbeitet haben. Andere Länder ignorierten dies wissentlich, oder wollten nichts darüber wissen."

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Verschiedene europäische Regierungen gestatteten der CIA die Nutzung ihrer Flughäfen und Lufträume, um Gefangene zu transportieren. Als Gastländer trugen sie die geheimen Gefangenenlager mit. Auch ihre Sicherheitskräfte beteiligten sich an den illegalen Vernehmungen und der Inhaftierung der eigenen Staatsbürger. Guantánamo gibt es, weil die EU-Mitgliedsstaaten (wie auch Irland) seine Existenz erst ermöglichte haben. Dennoch – und obwohl die EU regelmäßig dafür plädiert, Guantánamo zu schließen – verweigern die meisten Mitgliedsstaaten die angemessene Hilfe.

Schätzungsweise 50 Guantánamo-Gefangene wurden freigesprochen. Jedoch können sie nicht nach Hause zurückkehren, weil sie dort drohenden Gefängnisstrafen, Folterungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Im Juni haben sich die EU und die USA auf die Rahmenbedingungen geeinigt, nach denen die EU-Mitgliedsstaaten einige der Häftlinge aufnehmen können.

Europas Beitrag enttäuschend

Bis heute konnten nur sieben ehemalige Häftlinge europäischen Boden als freie Menschen betreten. Und auch wenn man die moralische Leistung unserer Regierung anerkennen muss, die im September zwei dieser Personen aufgenommen hat, so sind die Reaktionen der anderen Länder doch durchaus enttäuschend. Europa muss dazu beitragen, das Desaster wieder in Ordnung zu bringen, das es selbst mit zu verschulden hat. Ebenso wichtig wie die Schließung Guantánamos ist auch, dass man sicherstellt, dass so etwas nie wieder geschieht. Dafür brauchen wir die Hilfe der irischen Regierung. Schließlich ist bekannt, dass [der Flughafen] Shannon für "außerordentliche Überstellungen" benutzt wurde.

Guantánamo ist nur der sichtbare Gipfel des Eisberges, unter dem sich ein ganzes System von Gefängnissen, geheimen Haftanstalten und Überstellungsnetzwerken verbirgt, dank derer illegale Entführungen und die Gefangenschaft von hunderten von Menschen möglich wurden. Den dort noch immer festgehaltenen Gefangenen sollte man ein faires, unabhängiges und unparteiisches Gerichtsverfahren gewähren. Oder sie freilassen. Obama sollte seine Versprechen halten und unser Regierungschef seinen Verpflichtungen nachkommen.

Asyl

Elf Staaten sind bereit, Gefangene aufzunehmen

Die EU-Länder haben erste Schritte unternommen, um den ehemaligen Gefangenen aus Guantanamo Asyl zu gewähren. Die 196 Häftlinge in Guantanamo "können nicht in ihre Heimatländer – China, Libyen, Syrien, Tadschikistan, Tunesien oder Usbekistan – zurückgeschickt werden, denn dort riskieren sie Folterung und Inhaftierung", schreibt die Warschauer Tageszeitung Rzeczpospolita. Unter dem Druck der USA haben sich mehr als 40 Länder, darunter Großbritannien, Ungarn, Italien, Schweden, Portugal, Irland, Frankreich, Dänemark und Belgien, bereit erklärt, ein paar Gefangene aus Guantanamo aufzunehmen. Vor kurzem wurden drei von ihnen in die Slowakei und zwei nach Spanien geschickt. Diesen Monat werden die Außenminister der EU-Staaten besprechen, wie Präsident Obama geholfen werden kann, die berühmt-berüchtigte Anstalt zu schließen. "Polen und andere EU-Staaten sollten sich dem Kampf für die Menschenrechte anschließen und Guantanamo-Häftlinge aufnehmen, das ist die einzige Lösung", meint Katherine O’Shea, Kommunikationsmanagerin von Reprieve, einer Nichtregierungsorganisation, die Gefangene weltweit verteidigt. Polen ist einer der 14 EU-Staaten, die außerordentliche CIA-Überstellungen auf ihrem Landesgebiet erlaubten, und will dem Beispiel der anderen Mitgliedsstaaten nicht folgen. Das Argument: Es gebe "in Polen keine maßgebliche muslimische Gemeinde, die den freigelassenen Guantanamo-Gefangenen Unterstützung leisten könnte".

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