Wer hält sich hier an den Fahrplan? In der Athener U-Bahn. Foto: Ildiva/Flickr

Euros nach Athen tragen

Die gesamtwirtschaftlichen Probleme Griechenlands beunruhigen die europäischen Behörden. Sie befürchten, dass Athens Zugehörigkeit zur Eurozone die Vertrauenswürdigkeit der europäischen Währung beeinträchtigen könnte; und auch die der gesamten EU. Ist sie doch unfähig, das Verhalten ihrer Mitglieder zu kontrollieren.

Veröffentlicht am 26 Januar 2010 um 16:47
Wer hält sich hier an den Fahrplan? In der Athener U-Bahn. Foto: Ildiva/Flickr

Die unverhältnismäßigen Proportionen von Defizit und Staatsschuld, die stark negative Zahlungsbilanz, die schwache Produktivität und die schlechte Organisation des öffentlichen Sektors, die unangemessene Entwicklung der Lohnstruktur und noch viele andere Probleme erhöhen das Misstrauen gegenüber einem Land, das inzwischen so weit ist, dass es Brüssel regelmäßig falsche Informationen über seine wirtschaftliche Situation übermittelt.

Es muss jedoch zwischen zwei Problemen unterschieden werden. Einerseits das Risiko, dass Griechenland seine Schulden – insbesondere die des Staates – nicht bezahlen kann und somit insolvent wird. Eine weitere Auswirkung dieser Gefahr liegt in der Möglichkeit, dass ein zahlungsunfähiges Griechenland auch der Vertrauenswürdigkeit anderer europäischer Länder schadet, welche ähnliche, nicht ganz so ausgeprägte Zeichen von Schwäche zeigen – wie Italien. Dieses Risiko bleibt jedoch gering: Abgesehen von seltenen Panikanfällen bleiben die Finanzmärkte in der Lage, in Qualität und Quantität zwischen den Problemen der verschiedenen Länder zu unterscheiden.

Die Lücken in der europäischen Organisation

Das wirkliche Problem ist ein ganz anderes: Der Fall Griechenland ist schwerwiegend, denn er beweist konkret, wie es bei der aktuellen Organisation der EU möglich ist, dass man über einen relativ langen Zeitraum jegliche Kontrolle über die Wirtschaft eines Mitgliedsstaats verlieren und somit zulassen kann, dass sein Verhalten stark von den europäischen Regeln und Normen abweicht. Und dies trotz Einheitswährung und gesamtwirtschaftlichen Koordinationsverfahren durch Kommission und Rat. Der Fall Griechenland zeigt die großen Lücken in der europäischen Wirtschaftsregierung, die zu schwach, zu zerstreut, zu gespalten und nicht supranational genug war. Ohne eine strengere, ambitioniertere Führung lassen die Wirtschaftsstrategien der einzelnen, sich selbst überlassenen Länder tiefe Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten und den verschiedenen Regionen der EU auftreten. Ebenso zu erkennen sind die Exzesse und Ineffizienz der gemeinschaftlichen Wirtschaft, während die Krise und die globale Konkurrenz doch gerade ein konzertiertes Vorgehen erfordern.

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Dieses Problem sehen sowohl Brüssel als auch Frankfurt immer deutlicher. Deshalb müssen die Disziplin und die Koordination der Wirtschaftsstrategien der 27 Mitgliedsstaaten radikal verstärkt werden. Dieses Postulat wird erst recht offensichtlich, wenn man den Stabilitäts- und Wachstumspakt ernsthaft einsetzen und somit Defizite und Staatsschulden auf gemeinschaftlicher Ebene kontrollieren will. Griechenland ist bei weitem nicht das einzige Land, das den Pakt nicht einhält: Brüssel hat gegen fast jeden der Mitgliedsstaaten ein "Verfahren wegen übermäßigen Defizits" eröffnet. Die kollektiven Bemühungen, um die europäischen öffentlichen Finanzen auszugleichen und sie auf lange Frist tragfähig zu machen, sind enorm.

Haushaltsdisziplin, Haushaltsdisziplin, Haushaltsdisziplin

Doch damit diese Bemühungen ihre Früchte tragen, muss Europa sich die Mittel geben, um die Planung und Durchführung der Strukturreformen zu koordinieren. Die nationale Wirtschaftspolitik muss ein wenig von ihrer Autonomie aufgeben, die gemeinschaftlichen Maßnahmen und Kontrollen müssen verstärkt werden. Ist dies nicht der Fall, dann ist nicht nur die finanzielle Disziplin gefährdet, sondern auch der Binnenmarkt und die Stabilität des Euro. Denjenigen Ländern, die aus Souveränitätsgründen die Vergemeinschaftlichung der Politik weiter bremsen wollen und überzeugt davon sind, dass sie keine "externe Disziplin" brauchen, könnte dieses Problem teuer zu stehen kommen.

Solidarität

Griechenland unterstützen, nicht ausbluten

In The Guardian erinnert Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz daran, dass dieselben europäischen Institutionen, die heute das wenig tugendhafte Verhalten der griechischen Behörden in Wirtschaftsbelangen verurteilen, lange Zeit zweierlei Maß in Sachen Staatsdefizit angewandt haben: "Einerseits die größten und mächtigsten Länder, andererseits die übrigen. Als Frankreichs Defizit über 3% des BIP stieg, wurde dies lauthals verurteilt, aber sonst geschah nichts."

Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler erkennt zwar die Verantwortung Athens an, ist jedoch der Meinung, Griechenlands Partner sollten "die Bemühungen der Regierung von Giorgos Papandreou mit allen Mitteln unterstützen und dem griechischen Volk nicht den Rücken kehren [...] und ihm das Leben noch schwerer machen. Griechenland ist eines der ärmsten Mitglieder der europäischen Familie". Denn, so Stiglitz, "einer der Schlüssel zum Erfolg des Projekts Europa ist das Gefühl einer sozialen Solidarität, die verlangt, dass man die nicht so gut Bemittelten unterstützt". Deshalb empfiehlt er, die Europäische Zentralbank solle "die Regulierung der griechischen Wirtschaft nicht an Rating-Agenturen delegieren [die den Schuldenstand eines Landes bewerten]", sondern vielmehr einen neuen zeitlichen Rahmen für Athens budgetäre Zielsetzungen festsetzen. Zugleich, fügt er hinzu, "sollten Institutionen wie die Europäische Investitionsbank Projekte zur Ankurbelung der Wirtschaft finanzieren und den Einfluss der Haushaltskürzungen aufwiegen".

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