Präsidentschaftwahl in Frankreich: Sozialist François Hollande, Amtsinhaber Nicolas Sarkozy und die Rechtsextreme Marine Le Pen

Der König wird rechts gekrönt

Den ersten Wahlgang der französischen Präsidentschaftswahl hielten viele für ein Referendum über den amtierenden Präsidenten. Was daraus wurde? Eine Protestwahl. Für die Rechtsextremen ist das ein gefundenes Fressen; für den sozialistischen Favoriten François Hollande, ein Problem.

Veröffentlicht am 23 April 2012 um 15:03
Präsidentschaftwahl in Frankreich: Sozialist François Hollande, Amtsinhaber Nicolas Sarkozy und die Rechtsextreme Marine Le Pen

Die Krise hat abgestimmt. Massiv. Die Franzosen haben sich allerdings, so möchte man meinen, nicht in Politikverdrossenheit versinken lassen. Zahlreich gingen sie am Sonntag, den 22. April zu den Wahlurnen [79,47 Prozent Wahlbeteiligung]. Die schwache Wahlbeteiligung (bei den Europa- und Kommunal- bzw. Regionalwahlen) der vergangenen Jahre spielte heute keine Rolle.

In Wirklichkeit bestätigt die Präsidentschaftswahl damit nur ihren eigenen Status als „Königswahl“ unseres institutionellen Systems. Sie ist also nicht nur die Folge, sondern auch der sinnbildlich beste Ausdruck der Präsidentialisierung unseres politischen Regimes. Diese [Präsidentialisierung] wurde durch zwei Faktoren begünstigt: Zum einen die Einführung der fünfjährigen Amtszeit, zum anderen die Tatsache, dass Präsidentschafts- und Parlamentswahlen zeitlich unmittelbar aufeinander folgen. Zunehmend verstärkt wurde sie auch dadurch, dass der hyperaktive Nicolas Sarkozy im Laufe seiner Amtszeit immer mehr Macht an sich riss.

Aber selbst wenn sich die Franzosen mächtig mobilisiert haben, so nicht so sehr aus Enthusiasmus für die zur Wahl gestellten Programme, sondern vielmehr aus Ratlosigkeit, die angesichts der Krise langsam in Erbitterung umschlägt.

„Amtsinhaber weg“

Der Bewohner des Élysée-Palasts, der für seine eigene Nachfolge kandidiert, befürchtete, dass dieser Wahlgang zu einer Art Anti-Sarkozy-Volksabstimmung wird. Das war er auch: Dem amtierenden Präsidenten gelang es weder seine Wähler von 2007 erneut zu überzeugen, noch ging er führend aus diesem ersten Wahlgang hervor.

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Wie die Bevölkerung in den arabischen Ländern wollen die Franzosen ihren Staatschef höflich aber bestimmt verabschieden. „Sortez les sortants“ - „Amtsinhaber weg“: In den meisten europäischen Ländern rechtfertigte die Krise der vergangenen Jahre diesen Slogan.

In Frankreich drückten unsere Mitbürger ihn vor allem mit ihrer Stimme für Marine Le Pen aus. Der historische Wahlerfolg der Vorsitzenden des Front national (mehr als 18 Prozent der Stimmen) ist zweifellos das wichtigste Ergebnis von diesem Sonntag. Für die rechtsextreme Partei ist das ein weiterer großer Schritt nach vorn. Mit ihrer Persönlichkeit, ihrem Stil und ihrem Programm ist es der Tochter des FN-Parteigründers in jahrelanger Arbeit gelungen, ihrer Partei ein gemäßigteres Image zu verpassen.

Buhlen um die Protestwähler

Besser als [der Sammelkandidat der Linken „Front de gauche“] Jean-Luc Mélenchon wusste sie, die Ängste der Unterschicht zu nutzen, die am stärksten unter der Krise leidet und das in einer Protestwahl lautstark zum Ausdruck bringen wollte. Es ist sicher, dass sie sich damit nicht zufrieden geben wird. Egal wer am 6. Mai gewinnt: An ihr wird er nicht so einfach vorbeikommen.

Auf der anderen Seit zieht [der Sozialist] François Hollande, der diesen ersten Wahlgang gewinnt, seinen Nutzen aus dem Anti-Sarkozy-Protest. Für ihn hat sich das „vote utile“ [etwa „taktisch kluge Wahlstimme“] ausgezahlt, zu Lasten von Linken-Chef Mélenchon und [Zentrumspolitiker] François Bayrou. Von einer Stimmflut für die Sozialisten kann man deshalb noch lange nicht sprechen. Die politische Linke ist zwar gestärkt, aber gewonnen hat sie noch nicht.

Am heutigen Montag beginnt ein anderer Wahlkampf, erklärte Nicolas Sarkozy Sonntag Abend. Im Vorfeld des zweiten Wahlgangs werden beide Kandidaten versuchen, die Protestwähler für sich zu gewinnen, und insbesondere diejenigen von Marine Le Pen. Der beste Weg ist nicht, sich ihren Protest zueigen zu machen, sondern ihn ernst zu nehmen und Antworten zu finden auf die Ängste und den Zorn ihrer Wähler.

Rechtsextreme

Marine Le Pen stärker als der Herr Vater

„Hollande vorn. Le Pen Spaßverderber.“ Mit diesem Titelblatt kommentiert Libération den ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl vom Vortag, Sonntag, den 22. April.

Mit 6,4 Millionen Wählerstimmen für Marine Le Pen, „sind die Rechtsextremen so stark wie nie zuvor“, hebt das linksliberale Blatt hervor. Zehn Jahre nachdem Jean-Marie Le Pen es mit 4,8 Millionen Stimmen in die Stichwahl der Präsidentschaft schaffte, ist die Lage „zwar nicht ganz so tragisch, aber ebenso beunruhigend. Wenn nicht sogar mehr“.

Dieser „beispiellose“ Erfolg zeige, dass viele Marine Le Pens Strategie, der Partei einen gemäßigteren Anstrich zu verleihen, billigten, erklärt der Soziologe Sylvain Crépon gegenüber Libération. Le Pen bringe die Partei mit republikanischen Prinzipien in Einklang und breche mit der „alten Garde des FN“...

Auf der einen Seite hat sie eine Art Normalisierung auf den Weg gebracht, mit der es ihr gelungen ist, den FN sowohl als Anti-System-Partei als auch als eine Partei zu verkaufen, die allen anderen gleicht und eben nicht dämonisch ist. Auf der anderen Seite ist sie gegen Ende wieder zu ihren Kernthemen wie der Angst vor Einwanderung und Unsicherheit zurückgekehrt. Zudem ließ ihr Vater seiner provokanten Zunge freien Lauf... Die guten alten Rezepte. Vermutlich haben vor allem sie sich bezahlt gemacht.

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