Schluss mit der europäischen Sparpolitik?

Frankreich wird wahrscheinlich einen sozialistischen Präsidenten wählen, der dem Fiskalpakt kritisch gegenübersteht, und die niederländische Regierung bricht über dem Thema Sozialreform zusammen – das Sparmodell der deutschen Kanzlerin Angela Merkel bezieht Prügel.

Veröffentlicht am 24 April 2012 um 15:44

Europa ist im Umbruch. Das „Merk“ des Merkozy-Sparpakts ist im Begriff, seine hintere Hälfte zu verlieren. Andere konservative oder technokratische Verfechter der Sparpolitik kämpfen dafür, dass dieses Hybridgefährt auf der Straße bleibt. Doch durch das problematische Fahrverhalten wird den Passagieren auf der Rückbank – Spanien, Italien, Portugal, Griechenland – übel. Sogar Fahrern wie den Niederländern, die über einen Schuldenschnitt für Griechenlands private Kreditgeber geschimpft haben, fällt das Steuern in den Niederlanden schwer, obwohl die Straßen dort doch ebener sein sollten. Am Montag brach ihre Regierung zusammen.

Die extreme Rechte ist in Frankreich wieder im Zunehmen. Die Front National, deren Image von der Tochter des Gründers entgiftet wurde, erhielt ihre höchste Stimmenzahl. Ihr Wahlergebnis steigt immer weiter an, nur 2007 war Nicolas Sarkozys in der Lage, viele ihrer Stimmen einzufangen. Diese hat er nun verloren – und wenn er sie innerhalb von zwei Wochen zurückgewinnen will, muss er wieder garstig werden. So oder so wird der französische Amtsinhaber als Partner für Angela Merkel also immer unattraktiver.

Merkollande und ihr elektrischer Familienwagen

Während Angela Merkel im Wettlauf mit der Zeit versucht, die Sparmaßnahmen im EU-Recht, in den Institutionen und in der EU-Exekutive fest zu verankern, bewegt sich die Politik entscheidender Mitgliedsstaaten in die entgegengesetzte Richtung. Ob von den Extremen oder vom Zentrum, von links oder von rechts, die Botschaft der Bevölkerung ist überall ähnlich: Die Sparpolitik unter Deutschlands Führung mindert unsere Souveränität, vernichtet die Aussichten für unsere Jugend und – wenn jemand aus dem Zentrum oder ein Linker spricht – spornt den Aufstieg der neofaschistischen Rechten an.

Falls Merkollande überhaupt zustande kommt, so ist es ein Konzept für einen leisen, weniger protzigen, elektrischen Familienwagen. Doch es steht noch kein Design fest, auf die Teststrecke schicken könnte man erst recht noch nichts, und auch die Batterien könnten ein Problem darstellen. Nicolas Sarkozy hat Angela Merkels Angebot, für ihn Kampagne zu führen, nicht angenommen und nun spürt man im Namen der deutschen Kanzlerin eine gewisse Erleichterung darüber, dass sie nicht herangezogen wurde.

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Sarkozy, der in Deutschland für sein Spalten und Polarisieren bekannt ist, hat zwar ein ureigenes Interesse daran, die Wahl für die französischen Wähler in den nächsten beiden Wochen bis zum zweiten Wahlgang zu dramatisieren, doch Merkel, der selbst wichtige Wahlen bevorstehen, mag andere politische Ziele haben.

Merkel absolut pragmatisch

Über Hollandes 60-Punkte-Reformprogramm sind die deutschen Sozialdemokraten der SPD geteilter Meinung. Manche führende Stimmen, so etwa der frühere Finanzminister Peer Steinbrück, bezeichneten Hollandes Forderung nach einer Neuverhandlung des Sparpakts als naiv. Andere wiederum, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel, gehen im Gleichschritt mit Hollande bei dem Versuch, die Schuldenkrise der Eurozone durch die Förderung des Wachstums zu überwinden. Zusammen, so sagten sie in einem gemeinsamen Interview, könne man „Dinge bewegen“.

Dazu gehört nahezu sicher auch Merkel selbst, die absolut pragmatisch ist. Immer wieder kommt das Argument, warum die Deutschen ihr gutes, hart verdientes Geld den Fehlern Südeuropas hinterherwerfen sollten. Das Gegenargument – wenn der Binnenmarkt versagt, dann versagt sein größter Anbieter mit ihm – muss erst noch mit genügend Kraft vorgebracht werden. Doch wenn es soweit ist, wird sich Merkel dem vorherrschenden Wind anpassen. Die einzige wirkliche Frage, die sich Frau Merkels stellt, ist, ob sie eine Mehrheit hat. Als das vorsichtigste Zoon politikon unter allen wird sie gehen, wohin ihre Mehrheit sie treibt.

Meint man es mit dem europäischen Projekt ernst, sollte man sich die Botschaft des ersten Wahlgangs [in Frankreich] zu Herzen nehmen. Wer auf einem Wirtschaftsprogramm bestehen bleibt, das die Souveränität mindert, die Jugend hohen Arbeitslosenquoten ausliefert und Europa in ein Jahrzehnt der Stagnation lenkt, wird das Vertrauen in die soziale Solidarität, die Grundlage der EU zerstören. In wirtschaftlicher Hinsicht haben die Konjunkturimpulse mit ihrer Inflationsgefahr noch nicht gewonnen. Politisch besteht da bald keine Frage mehr.

Irland

Verwirrung um das Referendum

Die mögliche Präsidentschaft von François Hollande in Frankreich ist in Irland ein heikles Thema. Die Iren stimmen am 31. Mai in einer Volksbefragung über den vom „Merkozy“-Paar angetriebenen Stabilitätspakt ab. Doch der sozialistische französische Spitzenkandidat ist gegen einen Vertrag, der die Sparmaßnahmen im EU-Recht verankert. Dazu schreibt die Irish Times:

Hollandes Berater sprechen nicht etwa davon, die Substanz des Vertrags anzugreifen – wie er während der Kampagne anzudeuten schien. Für die anderen Hauptstädte, nicht zuletzt Dublin, wären das albtraumhafte Aussichten. Statt dessen wollen sie ein Protokoll hinzufügen. Mehrere deutsche Experten legten nahe, Angela Merkel sei vielleicht bereit, ein Art „Wachstumspakt“ als Protokoll an den Vertrag anzuhängen. Das würde unter anderem auch in Spanien und Italien Anklang finden.

[...] Die Änderung der Spielregeln bei der Gestaltung des Vertrags – oder auch nur die Andeutung einer Änderung – hilft natürlich Irland nicht, am 31. Mai eine positive Antwort auf das Referendum zu bekommen. Doch die Alternative eines „Wachstumsprotokolls“ hat durchaus ihren Reiz. Um den Fiskalpakt zu verkaufen, den die Befürworter des Neins einfach und effektvoll „Sparpakt“ schimpfen, muss diese Regierung, wie auch andere in der EU, das Konzept von Pakt und Währungsunion als Wachstumsmotor verkaufen und nicht nur als ein simples wirtschaftliches Folterinstrument, so nötig es auch sein mag.

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