Tomáš Sedláček, Ökonom und Ideenschmied

Das Buch des 35jährigen Tomáš Sedláček über die Wirtschaftsgeschichte ist zu einem
internationalen Bestseller geworden. Der ehemalige Berater von Václav Havel und
Mitglied des Nationalen Wirtschaftsrates der Tschechischen Republik nimmt den Leser
mit auf eine Reise durch die Bibel, die Mythologie und die Literatur. Sein Geheimnis: er
weiß sowohl seine Person als auch seine Ideen zu verkaufen.

Veröffentlicht am 3 Mai 2012 um 10:11

Oktober 2009. Die Frankfurter Buchmesse ist eröffnet. Genau hier beschließt der junge, tschechische Verleger Tomáš Brandejs, die Welt zu erobern. Seinen Durchbruch schafft er mit der Veröffentlichung des Buches Ekonomie dobra a zla [Die Ökonomie von Gut und Böse] des Wirtschaftsexperten Tomáš Sedláček, welches unerwartet zu einem Bestseller in der Tschechien wurde. Der Autor selbst hofft, auch im Ausland veröffentlicht zu werden. Brandejs will von den günstigen Umständen profitieren.

Er steckt seine Ziele sehr hoch. Seine Bücherkiste stellt er vor den Stand der Oxford University Press, dem angesehenen britischen Universitätsverlag. Er holt aus einer Tüte ein tschechisches Exemplar des Buches, legt einen Umschlag mit der englischen Übersetzung eines Kapitels sowie ein Foto, auf dem der Autor mit dem Fahrrad durch die Strassen von Prag fährt, dazu und erklärt den Inhabern des Standes feierlich, dass er ihnen den „nationalen Bestseller” eines vielversprechenden, jungen Wirtschaftsexperten und ehemaligen Beraters des berühmten Präsidenten Václav Havel schenkt.

Ein Buch gegen die Krise

Der Ehrgeiz des unbekannten Prager Verlegers machte sich bezahlt. Vor Sedláček hatte noch kein Wirtschaftsexperte die Idee, sich mit der Geschichte des Wirtschaftsdenkens vom Gilgamesch-Epos über Adam Smith bis zur heutigen Finanzkrise zu befassen. Zudem schafft es der medienwirksame Sedláček, in einem perfekten Englisch die Gedanken seiner Leser zu erfassen, die von der Welt der Finanzspekulation angewidert sind. Denn er präsentiert ihnen ein sehr verlockendes Produkt: „die Wirtschaft mit menschlichem Gesicht”.

Drei Wochen nach der Frankfurter Messe eröffnet der überschäumende Sedláček seinem tschechischen Verleger, dass ihn der britische Verlag kontaktiert habe. Das Buch wurde nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland und Polen veröffentlicht. Mehrere zehntausend Exemplare wurden verkauft und das Buch soll in mehr als zehn andere Sprachen, darunter auch Chinesisch, übersetzt werden.

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2009 war der Autor noch weit von seiner heutigen Berühmtheit entfernt und man fragte sich, ob dieses wirtschaftshistorische Buch bei den Lesern auf Interesse stoßen würde. Dank seiner guten Beziehungen schaffte es Sedláček, dass der Fernsehmoderator Jan Kraus, der Priester Tomáš Halík und der Wirtschaftsexperte und [ehemalige] Präsidentschaftskandidat Jan Švejnar eine kurze Kritik seines Buches unterzeichneten. Václav Havel, dessen Wirtschaftsberater Sedláček mit nur 24 Jahren war, unterstützte ihn mit einem Vorwort. Und die Veröffentlichung fiel „glücklicherweise” mit dem Beginn

der Wirtschaftskrise zusammen.

Zu Beginn des Jahres gehörte Die Ökonomie von Gut und Böse in der Kategorie der nicht-fiktiven Bücher mit 40000 Exemplaren zu den 10 meistverkauften Büchern auf dem deutschen Markt. In der Schweiz erreichte es sogar Platz eins. Zwei Dinge waren für den amerikanischen Verlag ausschlaggebend: das Buch hatte sich in Tschechien gut verkauft und Tomáš Sedláček entpuppte sich als „hervorragender Redner”. Die Amerikaner schätzen besonders seine fesselnde Art, seine klare Ausdrucksweise, seine ungewöhnlichen Metaphern und seine Fähigkeit, die Menschen für sich zu gewinnen. Bei You Tube kann sich jeder selbst davon überzeugen. Die Videos zeigen Ausschnitte der Konferenzen, die er bei einer Tournee anlässlich der Veröffentlichung des Buches in Englisch gab.

Ein kabarettistischer Theoretiker

Kurz und knapp erläutert Sedláček seine Thesen wie beispielsweise das Problem eines von ständiger Kreditaufnahme unterstützten Wachstums. Er schöpft dabei aus dem Alten Testament oder aus der Mythologie von Tolkien. Und für diejenigen, die damit nichts anfangen können, spricht er von seinen persönlichen Erfahrungen, Er erzählt, wie er sich oft an einem Freitag Abend mit Alkohol bei Laune hält. Am nächsten Tag folgen dann Energieverlust und ein furchtbarer Kater. Obwohl er immer wieder die gleichen Metaphern benutzt, hat das Publikum den Eindruck, er habe sie gerade erfunden. „Darin hat er ein einzigartiges Talent”, glaubt der Schauspieler Lukáš Hejlík, der mit Sedláček bei einer kabarettistischen Bühnenfassung des Buches mitwirkt. In Tschechien, aber auch in London, Bukarest und Luxemburg fanden bereits 130 Aufführungen statt.

Die Rezensionen im Ausland sind sehr positiv, zeigen aber auch die Grenzen der Methode auf. So hebt beispielsweise Peter Vogt von der Süddeutschen Zeitung die geniale Fähigkeit des Autors hervor, die Entwicklung des Wirtschaftsdenkens von einer philosophischen Disziplin, die den Schwerpunkt auf das „Gemeinschaftsgut” legte hin zu einem Forschungsgebiet, das nach dem besten Modell der Gewinnzunahme sucht, äußerst kompakt zu präsentieren. Allerdings fragt sich Sedláček nicht, wie diese Entwicklung zustande kam.

Samuel Brittan von der Financial Times kommt zu dem selben Schluss. Seiner Meinung nach bringt Sedláček nicht genügend Argumente hervor, um seine Leser zu überzeugen. Dennoch ist für ihn „das Buch eine faszinierende Lektüre” (mz)

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