Mitglieder und Sympathisanten der rechtsextremen Partei Nationaler Widerstand in Prag. (AFP)

Extremisten verbieten?

Gehören extremistische Parteien verbannt? Das Verbot der Arbeiterpartei durch das Oberste Tschechische Verwaltungsgericht zettelte eine hitzige Demokratie-Debatte an, in einem Land "mit 20 Jahren pluralistischer Erfahrung".

Veröffentlicht am 23 Februar 2010 um 17:11
Mitglieder und Sympathisanten der rechtsextremen Partei Nationaler Widerstand in Prag. (AFP)

Die überwiegende Mehrheit der Medien und Bürger nahm das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts, die Arbeiterpartei aufzulösen, wohlwollend zur Kenntnis. Die Menschen begrüßten die Entscheidung des Gerichts, Neonazis zu verurteilen, die "das System bekämpfen" und in der tschechischen Politik nichts zu suchen hätten. Andere Stimmen hingegen führten an, dass Verbote keine Lösung wären und sie den Extremisten nur mehr Aufmerksamkeit bescheren würden. Verbleibt ein dritter Punkt: Jedes Verbot dieser Art bleibt Heuchelei, solange die KSČM [Kommunistische Partei Böhmen und Mährens] nicht verboten wird.

Der Entschluss, eine politische Partei aufzulösen oder ein Parteiverbot auszusprechen ist ein außerordentlicher Eingriff in das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaftsordnung und wird immer zwiespältige Reaktionen hervorrufen. Unsere zwanzigjährige Erfahrung im politischen Pluralismus lässt aber Zweifel an dem — naiven und ehedem populären— Standpunkt aufkommen, dass keine politische Partei verboten werden dürfte: Jede noch so radikale Hetzpartei hätte ein Recht auf Existenz. Sie müssten von den Demokraten in freien Wahlen geschlagen werden.

Ein außerordentlicher Eingriff

Das sogenannte Prinzip des demokratischen Selbstschutzes hat gewonnen, selbst im tschechischen Rechtssystem. Früher setzte es sich im demokratischen und rechtstaatlichen Nachkriegsdeutschland als Sicherheitsventil gegen aufkeimende Neonazis durch. Diesem Prinzip zufolge muss sich die freie, rechtstaatliche Demokratie gegen Kräfte schützen dürfen, die ihre Existenz bedrohen. Die Institutionen müssen vor Extremisten aller Art bewahrt und geschützt werden: vor Neonazis und linken Guerillatrupps, vor Sekten oder Religionsgemeinschaften wie zum Beispiel der Scientology-Organisation. Dafür dienen uns das Strafgesetzbuch und das Verwaltungsrecht, aber auch Nachrichtendienste, die die Polit-Extremisten überwachen sollen, wie beispielsweise der Verfassungsschutz in Deutschland.

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Jedes Verbot, jede Auflösung einer extremistischen Partei stellt sui generis einen Sonderfall da; und nicht immer handelt es sich um Selbstschutz. Die Verurteilung des belgischen Vlaams Block aus dem Jahr 2004, der einfach eine Namensänderung der Partei folgte, kann nicht mit den langatmigen Bemühungen der Deutschen verglichen werden, die rechtextreme NPD als verfassungswidrig zu verbieten. Der britischen BNP gelingt es immer wieder, Anklagen zu vermeiden. Unter der Drohung einer Verbotsklage durch die britische Gleichberechtigungs- und Menschenrechtskommission änderte die Partei letztes Jahr gar ihre Statuten, um ethnischen Minderheiten eine Mitgliedschaft zu ermöglichen und so den Vorwurf des Rassismus aus dem Weg zu räumen.

Diskurs führte zu Gewaltakten

Der Fall der tschechischen Arbeiterpartei, sowie die Argumentation des Obersten Verwaltungsgerichts ist ebenfalls ein Sonderfall. Das 120-Seiten-Urteil geht weit über eine rein legalistische Argumentation hinaus. Hetze würde zu Gewalt führen. Jene, die behaupten man würde hier Meinungen oder Worte verurteilen und nicht rassistische Gewaltakte, irren. Wir reden hier von Brandanschlägen an Roma oder gewalttätige Übergriffe auf sexuelle Minderheiten. Der Oberste Gerichtshof hat die Arbeiterpartei nicht wegen eines insgesamt abstoßenden und rassistischen Programms verurteilt, sondern liefert eine komplexe Analyse, die nachweist, wie der Diskurs der Parteianhänger, wie ihre Ideologie, zu organisierter Gewalt und Racheakten führt. Das Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts ist nicht als einfache juristische Intervention in Sachen Extremismus zu verstehen. Es setzt nun Grenzen, die Ideologen und Aktivisten nicht mehr überschreiten dürfen, denn sonst riskieren sie, dass ihre Partei aufgelöst wird.

Natürlich ist dies nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, Extremismus zu bekämpfen. Weder juristische Sanktionen, noch Gerichte oder polizeiliches Einschreiten werden es allein schaffen, den politischen Extremismus zu ersticken. Wir brauchen mehr Zivilcourage, eine mutige demokratische Führung, und zuletzt brauchen wir glaubwürdige demokratische Institutionen. Nur wenn diese Bedingungen geschaffen sind, kann sich die Demokratie auch wirksam verteidigen.

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