In 27 Staaten. © Presseurop


Verschwörung gegen Lady Ashton

Nach José Manuel Barroso und Herman Van Rompuy ist nun Catherine Ashton an der Reihe: Man liebt es, sie zu hassen. Nur wenige Monate nach ihrem allerorts kritisierten Amtsantritt als Hohe Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik stellt sich die Frage, ob sie durchhalten wird. Die Presse bejammert ein Europa ohne Steuermann.

Veröffentlicht am 26 Februar 2010 um 13:44
In 27 Staaten. © Presseurop

Drei Monate ist sie nun Europas Hohe Vertreterin für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik und schon stellt man sich die Frage, ob Catherine Ashton bereits in Richtung Rücktritt steuert. Ihre Aktionen, denen man zunächst einmal mit "Unzufriedenheit" begegnete, "kritisiert man nun ganz ungeniert", berichtet The Times. Nach Angaben der Londoner Tageszeitung hat vor allem Frankreich, das "Schießen aus dem Hinterhalt" in Gang gebracht, weil es "einen starken Außenminister wollte". Aber nun schießt es aus allen Ecken und Enden des Kontinentes.

Die Spitzenpolitiker der Europäischen Union sind erzürnt. Beim Treffen der europäischen Verteidigungsminister mit dem Nato-Generalsekretär, das am 25. Februar auf Mallorca stattfand, hat sie gefehlt. (Stattdessen reiste sie zur Amtseinführung des ukrainischen Präsidenten Janukowytsch.) Der französische Verteidigungsminister Hervé Morin gab den Ton an: "Ist es nicht erstaunlich, dass bei diesem ersten Treffen Vertreterin – seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – der Nato-Generalsekretär [Anders Fogh Rasmussen] unter uns weilt, um über die Bündnisse zwischen Nato und EU zu diskutieren, aber nicht die Hohe Vertreterin?" Sein niederländischer Kollege Jack de Vries witzelte indessen auf Twitter: "Madam Ashton glänzte durch ihre Abwesenheit". Und auch die Spanierin Carme Chacón "bedauerte, dass Ashton nicht da war".

Politkerin dritter Klasse

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Für die Londoner Tageszeitung zeigen diese Zeilen vor allem wie angespannt die Beziehungen zwischen Lady Ashton und den anderen beiden EU-Spitzen sind: Der Präsident des Europäischen Rates, Herman Van Rompuy, und der Präsident der Europäischen Kommission, José Manuel Barroso. Einige meinen, dass einer von beiden "die EU in der Ukraine hätte vertreten können". Momentan sieht es so aus als habe der Vertrag von Lissabon, der die EU-Hierarchie eigentlich vereinfachen sollte, vielmehr eine verwirrende Struktur aus "drei Lagern" gebildet, die "alle miteinander um mehr Macht und Einfluss wetteifern".

Drei Monate nachdem Ashton ihren Job angetreten hat, sind Komplimente äußerst dünn gesät. EU-Abgeordneter Zbigniew Ziobro behauptet in der Rzeczposplita, dass "die Schaffung eines dritten Politikbereichs für den Hohen Vertreter die Aufrechterhaltung der dominierenden Großmächte innerhalb der EU zum Ziel hatte. Berlin, Paris, Rom und London wollen schließlich an ihren eigenen Programmen festhalten". Der Politikexperte Piotr Kaczyński vom Centre for European Policy Studies (CEPS) hat in der polnischen Tageszeitung Życie Warszawy noch weitere vernichtende Bemerkungen zu Ashtons Wirken auf Lager: "Sie ist passiv. Ob es sich nun um Haiti (Erdbeben) oder Weißrussland (Verfolgung der polnischen Minderheit) handelt, die Mitgliedsstaaten müssen sie immer erst unter Druck setzen". El Pais erinnert seine Leser an José Manuel Barrosos jüngstes "Kunststück": Er schickte seinen ehemaligen Stabschef João Vale de Almeida als EU-Botschafter nach Washington. In Brüssel "interpretierte man das als Vorteil für Barroso und Nachteil für Ashton, auch wenn sie das abstreitet".

EU, eine zu geschlossene Gesellschaft

Da ist nur eine abweichende Stimme, nämlich die von De Volksrant. Bezüglich Ashtons Haiti-Peinlichkeit legt die Zeitung nahe, dass die UN sie davon abgebracht habe, nach Haiti zu fahren. Was die Affäre um Almeida betrifft, übermittelt die holländische Tageszeitung die Behauptung der EU-Außenministerin, dass "neue Ernennungsregeln noch nicht in Kraft getreten waren und der Posten seit November unbesetzt war. Daher war es wichtig, schnell zu handeln." De Volkskrant zitiert eine diplomatische Quelle, die Ashtons Chance, eine "Europäische Diplomatie" zu erschaffen, optimistisch entgegensieht. Dies sei eine Herausforderung par excellence – "jegliche Kritik gegen sie wird sich in Luft auflösen, wenn sie es schafft, die Sache durchzuziehen."

Auf der anderen Seite des Atlantiks beklagt das Time Magazine in einem Feature mit dem spöttischen Titel "Das unglaublich schrumpfende Europa" die Mechanismen, die durch den Vertrag von Lissabon entstanden sind: "Was ist mit Europa passiert?" Es sähe aus nach einer "Parodie von allem, was in der EU schief läuft: bürokratisch und kompliziert, aufgebaut auf kleineren Übeln und anscheinend darauf ausgerichtet, eher Zuständigkeitskonflikte als Handlungen anzuregen."

"Fragen Sie Catherine Ashton nach Europas Idealen", steht dort weiter geschrieben, "und Sie werden sehen, dass ihre Ziele absolut nicht bescheiden sind: 'Demokratie, Menschenrechte. Stabile, sichere Nationen, mit denen wir politischen Dialog und wirtschaftliche Beziehungen pflegen.' Europa tut recht daran, seine Ziele hoch zu stecken — um seiner selbst willen und für die anderen. Viele Länder in der Welt würden eine stärkere europäische Stimme begrüßen." Leider, fügt die Time hinzu, "muss Europa seine Art, Geschäfte zu machen ändern, wenn es seine eigenen und anderer Träume verwirklichen will." Würde es als geschlossenes Ganzes handeln, würde es mehr Einfluss gewinnen. Ein hoher asiatischer Beamte beschreibt mit offensichtlicher Erbitterung, wie europäische Spitzenpolitiker auf internationalen Gipfeln endlos miteinander diskutieren. "Sie sind sehr exklusiv", sagt er, "und das ist nicht als Kompliment gemeint." Im Endeffekt, stellt die Times fest, "können die Europäischen Führungskräfte die unangenehme Frage nicht länger umgehen: Wollen die Mitglieder der EU mit ihren innenpolitischen Verfassungen wirklich eine gemeinsame Außenpolitik?"

KONTROVERSE

Van Rompuy auch unter Beschuss

Catherine Ashton wird von ihren Kollegen kritisiert, Herman Van Rompuy wird von einem Europaabgeordneten beschimpft. Der britische Euroskeptiker Nigel Farage bezeichnete den Ratspräsidenten als "Waschlappen", der aber von der Times verteidigtwird. "Nein, Herr Farage, Sie sprechen nicht im Namen der britischen Mehrheit", erklärt die Tageszeitung in einem Leitartikel. Er hätte sich nie vorstellen können, so ergreifend unhöflich zu sein. Der Kolumnist Michael White gibt Nigel Farageim Guardian Recht. Er unterstreicht, dass "niemand je von Van Rompuy gehört hat". Der Europaabgeordnete erinnert daran, dass die "Wahl Van Ramplanplans [Rumpy-Pumpy] ein schwerwiegender strategischer Fehler war, wie die Entscheidung Barack Obamas zeigt, nicht am nächsten Gipfel der EU und der Vereinigten Staaten teilzunehmen." Andererseits, fügt White hinzu, erinnert diese Schwäche erneut daran, "dass die Wunschvorstellung eines föderalistischen Superstaates, von dem Farage träumt, weit von der Wirklichkeit entfernt ist".

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