Die EU 2020 Strategie soll der europäischen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Foto: Luis Castaneda Inc.

Nur gute Vorsätze, oder?

Nach dem Scheitern der Lissabon-Strategie, die 2010 aus der Union die wettbewerbsfähigste Wirtschaft der Welt machen sollte, legt die Kommission am 3. März das EU 2020-Strategiepapier vor. Die Agenda, die auf Innovation, Bildung und neue Technologien setzt, stößt bereits heute auf Skepsis.

Veröffentlicht am 2 März 2010 um 14:03
Die EU 2020 Strategie soll der europäischen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen. Foto: Luis Castaneda Inc.

Raus aus der Rezession dank neuer ultramoderner Energienetze, neuer Regelungen für staatliche Subventionen, ein einheitliches, europaweites System zur Patentanmeldung, "grüne" Verkehrsnetze und nicht zuletzt günstige Breitband-Internetzugänge für alle: Europa erkennt, dass es jede Menge Wege gibt, um Europa wieder auf die richtige Bahn zu bringen und gibt zu, dass der letzte Versuch — die Lissabon-Strategie für die Jahre 2000-2010 — nicht die gewünschten Ergebnisse gebracht hat. Weit verfehlt sogar: "Die Finanzkrise hat jüngste Fortschritte zunichte gemacht", erklärt die Kommission, und unterstreicht, dass man sich ehrgeiziger zeigen müsse. Eine neue Agenda, an die sich alle halten sollen, muss her, denn "mit der Finanzkrise ist es schwieriger geworden, eine dauerhafte Konjunkturbelebung vorauszuplanen."

Zu vermeiden: Szenario des verlorenen Jahrzehnts

Die Antwort, oder zumindest eine der Antworten, ist die EU-Agenda 2020, ein dreißigseitiges Dokument, dass am 3. März von der EU-Kommission vorgestellt wird. Der erste Akt der Ära Barroso-II. Die Strategie 2020 versteht sich als Konjunkturpaket. Es liest sich aber auch wie ein Märchenbuch. Man sagt sich beim Überfliegen des letzten Entwurfs, dass die fünf Ziele, die bis 2020 erreicht werden sollen, sehr hoch gegriffen sind: Anstieg der Beschäftigungsquote von derzeit 69 Prozent der aktiven Bevölkerung auf 75 Prozent; die Investition von 4 Prozent des BIP in Forschung; Reduktion der C02-Emissionen um 20 Prozent im Vergleich zu 1990; 40 Prozent der jungen Erwachsenen sollen einen Hochschulabschluss besitzen; den Anteil der Bevölkerung, der unterhalb der Armutsgrenze lebt um ein Viertel sinken, das sind immerhin 28 Millionen Menschen.

Ziel: "Zwei BIP-Punkte und 5,6 Millionen geschaffene Arbeitsplätze in zehn Jahren." Doch die Partie ist nicht gewonnen. Die Kommission attestiert "einen strukturell schwächeren Anstieg im Vergleich zu den Partnern der EU, vor allem aufgrund des immer größeren Produktivitätsrückstands", was im Vergleich zu den USA oder zu Japan zu einem stagnierenden Arbeitsmarkt führe. Zudem kommt noch, dass der Rückgang der aktiven Bevölkerung kombiniert mit dem Anstieg der Anzahl von Rentnern "die Sozialsysteme und die europäischen öffentlichen Kassen zusätzlich belasten wird." "Entweder nehmen wir die Herausforderungen des Konjunkturaufschwungs gemeinsam in Angriff", warnt die Kommission, "oder es besteht die Gefahr eines dauerhaften Abschwungs mit steigender Arbeitslosigkeit, sozialen Spannungen und einer Schwächung Europas im internationalen Vergleich." Das düsterste Szenario: das "verlorene Jahrzehnt". Das wolle man besser vermeiden.

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Programm der verlockenden Formeln und schönen Worte

Doch ist es derzeit nicht gerade der ideale Augenblick, um von den europäischen Hauptstädten gemeinsames Handeln einzufordern. Man neigt zum Nationalistischen und zu eher gedämpfter Europabegeisterung. Die Kommission meint jedoch, dass es keine andere Wahl gäbe und versucht, unbeirrt voranzugehen. Sie schlägt drei Schwerpunkte für nachhaltiges Wachstum vor: "Wissen, Umweltfreundlichkeit und integrative Gesellschaft". Teils unter der Verantwortung von Brüssel, teils unter der jedes einzelnen Staates. Im Bereich Wissen und Innovation lautet ein erster Vorschlag ein Anstieg der Forschungsausgaben. Sie liegen heute bei 2 Prozent des BIP (im Vergleich Japan: 3,4 Prozent). Die Kommission rät zum gemeinsamem Vorgehen auf EU-Ebene, zu einheitlichen EU-Patenten und zur Zusammenarbeit, um den Technologieaustausch zu fördern.

Vielversprechend ist auch der "grüne" Weg: für Kraftfahrzeuge und eine Mobilität der Zukunft mit neuen Finanzierungsmodellen; für saubere Energien mit Energienetzen nach dem Modell der sogenannten Supergrids, einem effizienten Netz für erneuerbare Energien, dass Europa energetische Autonomie sichern soll. Drittens die Förderung von Industriegebieten für kleine und mittelständische Unternehmen und von Flexicurity, der Arbeitsplatzsicherung durch Mobilität. Und zu guter Letzt neue Technologien.

Verlockende Formeln und schöne Worte. Nun liegt es bei den Regierungen, ihnen einen Inhalt zu geben. Es ist die Gelegenheit, die Vorteile des EU-Binnenmarkts mit einem effizienteren System aus öffentlichen und privaten Finanzierungen zu nutzen. Brüssel koordiniert so weit wie möglich, und alle Staaten sollen mitspielen, indem sie ihre Haushalte in Ordnung bringen und darauf achten, "Steuern anzuheben, ohne das Wachstum zu gefährden." Öffentliche Aufträge müssen schnell und transparent abgewickelt werden. Es muss alles runder und vor allem mit mehr Synergie ablaufen. Der Europäische Rat und das Europäische Parlament werden den Text im Juni absegnen. Danach werden die Aufgaben verteilt und von der Kommission überwacht. Sie wird "Policy Warnings" ("Mahnungen") aussprechen, sollten Partner den vorgesteckten Weg verlassen. Sanktionen wären besser gewesen. Bei der Lissabon-Strategie gab es keine, und sie ist gescheitert. Selbst die derzeitige Krise konnte die europäischen Partner nicht dazu bringen, sich strikte Regeln aufzuerlegen.

Polnischer Standpunkt

EU, nur ein Klub für Reiche

So wie es jetzt aussieht, kommt die "Strategie 2020" in der EU hauptsächlich den reichsten Mitgliedsstaaten zugute, schreibt die Rzeczpospolita. Die neue Strategie setze einen zu großen Akzent auf ökologische und soziale Belange, die sich nicht unbedingt in höherem Wirtschaftswachstum oder neuen Arbeitsplätzen niederschlagen, beschwert sich die polnische Regierung, die versucht, bei der Slowakei, der Tschechischen Republik und den baltischen Staaten die Trommel für eine Opposition zu rühren. "Das Grüner-Werden der Wirtschaft erfolgt entweder durch Subventionen oder durch strengere Regeln. Leider erhöht keine dieser beiden Maßnahmen die Effizienz", findet Daniel Gros, Leiter der Brüsseler Denkfabrik Centre for European Policy Studies. Experten weisen auch darauf hin, dass die Strategie nicht mit einbezieht, wie wichtig die Gelder der EU für die Beseitigung der Entwicklungsdiskrepanzen zwischen den wohlhabenden und den ärmeren Mitgliedsstaaten ist. Auch die Rückstellungen für die Energiesicherheit und der Aufbau einer integrierten Energiestruktur seien nicht einbezogen. "Strategie 2020 liest sich wie das Opus eines reichen Luxemburgers, dem die Ideen zum Geldausgeben ausgegangen sind, oder eines abgestumpften Schweizer Ghostwriters", witzeltdie Warschauer Tageszeitung.

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