Hat keine Angst vor dem „Grexit“: Andreas Liontos, Chef von Olympus Oil in der Fabrik von Larissa, Mai 2012.

Das Wehklagen der Unternehmer

Ein weitverzweigter öffentlicher Sektor, allmächtige Gewerkschaften, eine Klientelpolitik: in Griechenland haben die selbst nicht ganz unschuldigen Arbeitergeber eine unendlich lange Beschwerdeliste. Nachdem sie ins Ausland verlagert, die Forschung vernachlässigt und Steuerflucht betrieben haben, würden sie als erste unter dem Ausstieg aus der Eurozone leiden.

Veröffentlicht am 28 Mai 2012 um 14:58
Eirini Vourloumis  | Hat keine Angst vor dem „Grexit“: Andreas Liontos, Chef von Olympus Oil in der Fabrik von Larissa, Mai 2012.

Andreas Liontos hat sehr schnell gemerkt, dass der Wind sich gedreht hat. Am Anfang kam es zu einigen Zahlungsrückständen, zweifelhaften Erklärungsversuchen und schließlich zu überhaupt keinen Zahlungen mehr. Seine Versicherungsgruppe, die 1990 in Larissa, einer von Landwirtschaft geprägten Stadt im Zentrum Griechenlands, gegründet wurde, rutschte unausweichlich in die roten Zahlen.

Die von den Sparmaßnahmen erdrückten Griechen scheren sich nicht mehr darum, eine neue Lebens- oder Autoversicherung abzuschließen – vor allem für ein Auto, das sie nicht mehr besitzen. Für Andreas war die Pille bitter: 5 Millionen Euro Verlust.

Der 45-jährige ambitionierte und wortkarge Mann verlor dennoch nicht den Boden unter den Füssen. Er verstanden, dass seine Zukunft außerhalb des Landes liegt und dass er nur auf sich selbst zählen kann. „Ich habe immer alles allein geschafft, ohne Hilfe, ohne Subventionen, ohne den Staat”, versichert er stolz. Ende 2011 hatte der etwas füllige Mann die Exportfirma Olympus Olive Oil gegründet. Nun handelt er mit dem Besten, was Griechenland zu bieten hat: Olivenöl. „Das Beste der Welt”, erklärt Andreas.

Dank eines Vertrages mit einem chinesischen Supermarkt, der ihm 1800 Tonnen über 5 Jahre abnimmt, ist sich der dreifache Vater seiner Sache sicher. Sein Land befindet sich im fünften Rezessionsjahr, das Nationaleinkommen ist seit 2008 um ein Fünftel gesunken, aber er und seine Firma sind dagegen immun. Selbst der so gefürchtete Ausstieg Griechenlands aus dem Euro oder gar der Europäischen Union macht ihm keine Angst.

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„90% der Kreditanträge von Banken abgewiesen”

„Ich hoffe nicht, dass es soweit kommt, ich will, dass mein Land in der EU bleibt, aber der Geschäftsmann in mir weiß, dass wir damit großen Profit machen könnten”, gibt er zu. Das auf Kreta und dem Peloponnes gewonnene Öl würde in abgewerteten Drachmen gekauft und in gefragten ausländischen Devisen wieder verkauft werden. „Die Geschäftsleute sollten es so wie ich machen. Das wäre für uns und das Land gut.”

Etwas genauer betrachtet wäre allerdings die Rückkehr zur Drachme für seine Firma nicht so lukrativ, wie er glaubt. „Zunächst ist es vielleicht sehr profitabel, aber langfristig würden sich die erzielten Gewinne und die ansteigenden Kosten die Waage halten”, erklärt sein Finanzdirektor Vasileios Pitsilkas. Die zur Ölherstellungen benutzten Maschinen kommen aus Italien. In einigen Jahren müssen sie ersetzt werden. Die importierte Energie wird schon jetzt immer teurer. Olympus will Solaranlagen nutzen, aber im Moment ist es unmöglich, eine Finanzierung zu bekommen. „90 Prozent der Kreditanträge werden heute von den Banken abgewiesen”, klagt der Finanzdirektor.

Das zeigt einmal mehr, dass eine massive Abwertung der griechischen Währung nicht alle Probleme löst. Und die Lohnkosten sind nicht die einzige Schattenseite der griechischen Wirtschaft.

Glaubt man den Geschäftsleuten, den kleinen und großen Unternehmern, steckt das Land viel tiefer in Schwierigkeiten. „Wir produzieren hier nicht mehr. Alles wird importiert”, sagt der Politikwissenschaftler Panos Mavridis. Trotz des recht spektakulären Anstiegs 2011 exportiert Griechenland nur halb so viel, wie es importiert.

Der Mythos des öffentlichen Dienstes

Es geht nicht nur der Industrie schlecht, erklärt Michail Vassiliadis, Wirtschaftsexperte der Stiftung für Wirtschafts- und Industrieforschung IOBE. Die Maschinen kommen aus dem Ausland, Neuerungen werden vernachlässigt, die Landwirtschaft aufgegeben, vor allem weil die Bauern durch die europäische Agrarpolitik ihre Felder brachliegen lassen. „Es ist ganz einfach. Bis zur Krise war es das Paradies, im öffentlichen Dienst zu arbeiten: Anstellung auf Lebenszeit, gute Gehälter und kein Chef, dem man Rechenschaft ablegen muss”, meint der Finanzdirektor der Olympus Olive Oil.

Der Mythos des öffentlichen Dienstes hat seinen Ursprung in den achtziger Jahren, als der Sozialist Andreas Papandreou ein Klientelsystem aufbaute, das von seinen Nachfolgern, ob Sozialisten oder Konservative, fortgeführt wurde. Das führte zur Zerstörung der griechischen Industrie zugunsten eines weitverzweigten Staates, glaubt Nicolas Vernicos, Reeder und Präsident der internationalen Handelskammer Griechenlands.

Den Unternehmern zufolge zog dieses System eine riesige Bürokratie nach sich. Eine Geschäftsidee umsetzen zu wollen bedeutet, unzählige Formulare auszufüllen, ohne dass sich die Behörden auch nur ansatzweise untereinander abstimmen. Und jeden Moment kann alles zum Stillstand kommen.

Um diesem Labyrinth zu entkommen, zögern viele nicht, zu zahlen und sich einen guten Anwalt zu beschaffen. Christopher Kaparounakis hat sich darauf spezialisiert, Unternehmer aus der Affäre zu ziehen. Aber mit der Krise haben sich die Dinge geändert. Ein neues Gesetz namens „One Stop Shop”, eine einzige Dienststelle, soll die Behördengänge vereinfachen. Aber wenn in Griechenland ein Gesetz verabschiedet wurde, heißt das noch lange nicht, dass es umgesetzt wird, seufzt der Anwalt.

Troika wählt den einfachsten Weg: Kürzen

Auch dieses Jahr wieder befindet sich das Land auf Platz 135 (von 183) der „Doing Business”-Liste der Weltbank. Die Vereinigung der griechischen Unternehmer hat nicht weniger als 250 Hindernisse für die lokale Unternehmerschaft aufgelistet. Den Wirtschaftsexperten der IOBE zufolge könnte das Brutto-Inlandsprodukt (BIP) ohne die behördlichen Probleme um 17 Prozent gesteigert werden.

Aber die Bürokratie erklärt nicht alles. Die Industrie klagt auch über die allmächtigen Gewerkschaften, die über die Jahre zu „Treibriemen der politischen Parteien” geworden sind, meint Thrasy Petropoulos, Chefredakteur der englischsprachigen Wochenzeitung Athens News. Ihr legitimer Kampf für die Interessen der Arbeiter hat solche Ausmaße angenommen, dass jeder Sozialkonflikt in einer Änderung oder Ergänzung des Arbeitsrechts endet. Genug, um es in einen Tausendseiter voller widersprüchlicher Texte zu verwandeln, so Petropoulos.

„Viele Industrielle haben verzweifelt die Flucht ergriffen. Diejenigen, die ihre Fabrik nicht geschlossen haben, sind nach Bulgarien oder in andere Länder gegangen.”

Die „Troika”, das Trio der Kreditgeber aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds hat die griechische Regierung gezwungen, ein Gesetz zur Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zu erlassen. Unter anderem wurden 136 geschützte Berufe liberalisiert. Aber wird sich diese Politik auszahlen? Viele Griechen bedauern, dass die „Troika” und die Regierung den „einfachsten” Weg gewählt haben: Lohnkürzungen und Steuererhöhungen. Genau das wollen sie natürlich nicht. Gegen Steuerflucht zu kämpfen wäre sicher populärer und auch gerechter gewesen.

Zurück in die Vergangenheit

Die Bürokratie und die Not des Staates sind aber nicht die einzigen Gründe für die fehlende Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Industrie, unterstreicht der Wirtschaftsexperte Michail Vassiliadis. Die Unternehmer tragen auch ihre Schuld an dieser riesigen Verschwendung. „Die Firmenchefs haben weder in Forschung noch Entwicklung investiert, sondern den schnellen Profit bevorzugt, indem sie die in anderen europäischen Ländern bereits erprobte Innovationen kauften.”

Aus Mangel an Mut? Um schnelles Geld zu machen? Vielleicht. Wie auch immer, dieses Verhalten hat dazu beigetragen, dass Griechenland zu einem Mitläufer ohne Initiative wurde.

Für Vassiliadis „sieht man die Menschen wieder zur Landwirtschaft zurückkehren. Das ist kein Fortschritt. Wenn wir so weiter machen, kommen wir dahin zurück, wo wir vor 30 Jahren waren.” Zu dieser Zeit träumte das arme Land, was gerade erst der Diktatur der Colonels (1967-1974) entronnen war, zur Europäischen Union zu gehören, die Griechenland heute nicht mehr zu lieben scheint.

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