Brüssel muss über Biodiesel neu nachdenken

Um die Kohlendioxidemissionsziele zu erreichen, muss die EU die Nutzung von Ackerland für Biokraftstoffe fördern. Das heißt aber auch, dass immer mehr Nahrungspflanzen in Entwicklungsländern angebaut werden müssen, die dann auch die damit verbundene Verschmutzung erleiden. Daraufhin muss die Kommission eine Gesetzesänderung nach der anderen ausarbeiten.

Veröffentlicht am 29 Mai 2012 um 10:46

Vor drei Jahren ging die Europäische Union folgende Verpflichtung ein: Bis 2020 soll ein Zehntel des Treibstoffs für europäische Verkehrsmittel aus erneuerbaren Energien stammen. Die stets wachsende Elektroauto-Flotte, die teilweise mit Wind- und Sonnenenergie betrieben wird, sollte dazu beitragen. Ab 2015 sollten dann immer mehr Wasserstoff-Autos den Markt erobern, die ebenfalls mit grüner „Energie“ fahren.

Auf diese Weise hätte man die Energiesicherheit stärken, Kohlendioxidemissionen abbauen und den Treibhauseffekt reduzieren können. Allerdings hinkt die technologische Revolution hinterher. Um das Ziel dennoch zu erreichen, wird man also vor allem auf Biokraftstoffe setzen müssen.

In der Zwischenzeit meldeten sich aber immer mehr kritische Stimmen zu Wort: Die „auf den Feldern angebaute“ Energie habe nicht nur Vorteile, warnten Wissenschaftler und regierungsunabhängige Organisationen.

Sie trage zur weltweiten Nahrungsmittelpreiserhöhung und der Landflucht der einheimischen Bauern in Entwicklungsländern bei, die von der industriellen Landwirtschaft, ihren Pestiziden, künstlichen Düngemitteln und negativen Auswirkungen auf die Artenvielfalt vertrieben werden. Vor allem aber werden Tropenwälder verwüstet.

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Pflanzenöle mit fragwürdiger Öko-Bilanz

Europa führte ins Feld, dass es Biotreibstoffe nutze, um eine nachhaltige Entwicklung zu gewährleisten. Laut derzeitiger Rechtsvorschriften müssen Pflanzen, aus denen Biotreibstoffe für europäische Motoren gewonnen werden, mindestens 35 Prozent weniger Treibhausgase enthalten als herkömmliches Dieselöl und Benzin.

Sie dürfen also nicht auf Urwaldgebieten oder anderen wertvollen Ökosystemen angebaut werden, weil der festgelegte Satz dann nicht gewährleistet werden könnte.

Warum haben mehr als einhundert regierungsunabhängige Organisationen kürzlich also einen offenen und mahnenden Brief an die Europäische Kommission gesandt? Die Antwort hat nur vier Buchstaben: ILUC, Indirect Land Use Change, was so viel heißt wie „Indirekte Nutzungsänderung der Böden“. Nach geltendem Recht darf man auf europäischen Feldern Raps anbauen, um Biodiesel zu produzieren.

Dadurch würde man ganz zweifellos für weniger Emissionen sorgen, selbst wenn man berücksichtigt, wie viel Diesel für die Ernte, die Produktion von Düngemitteln, etc. verwendet wurde. Früher deckten Speiseöle den lokalen Bedarf. Heutzutage endet der angebaute Raps in Dieselmotoren und Europa importiert Pflanzenöle.

Diese werden vor allem aus Ölpalmen riesiger Plantagen in Malaysia und Indonesien gewonnen, die auf Feldern wachsen, für die häufig unberührte Wälder zerstört und Feuchtgebiete trockengelegt wurden.

Berücksichtigt man diese indirekten Emissionen, scheinen aus Raps gewonnene Biokraftstoffe das Klima negativer zu beeinflussen als herkömmliches Erdöl.

Schwierige Suche nach einfachen Lösungen

Für die Kommission handelt es sich dabei um eine – gelinde gesagt – schockierende und zugleich störende Information. Nach zweijährigen Diskussionen könnten diese indirekten Emissionen nun in die Gesetzestexte einfließen. Im Sommer soll ein solches Projekt vorgeschlagen werden. Allerdings bedeutet das noch lange nicht das Ende der Biokraftstoffe.

Auf dem europäischen Biotreibstoff-Markt beträgt der gegenwärtige Anteil von Biodiesel 80 Prozent. Den Rest stellt Bioethanol, das dem Biodiesel für Benzinmotoren entspricht.

Die Geschichte der Biotreibstoffe ist ein weiterer Beleg dafür, wie schwierig es ist, in der heutigen Umweltkrise einfache Lösungen zu finden. Europa läuft Gefahr, von Klimaskeptikern und andern Gegnern der Theorie von der menschenverschuldeten globalen Erwärmung verspottet zu werden.

Aber selbst wenn es hier und da ein paar Probleme gibt, ist es nichtsdestoweniger völlig legitim, eine nachhaltige Zukunft schaffen zu wollen. (jh)

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