Foto: Greg Westfall/Flickr

Der Sumpf auf dem ganzen Kontinent

Erstmals deckte man den Pädophilie-Skandal innerhalb der katholischen Kirche und ihren Institutionen in den USA und Irland auf. Nun fegt er über den Kontinent und zwingt die nationalen Behörden dazu, einzuschreiten, während die kirchliche Hierarchie und der Vatikan noch immer damit überfordert sind, Antworten zu geben.

Veröffentlicht am 10 März 2010 um 15:45
Foto: Greg Westfall/Flickr

In Deutschland toben die Skandale um sexuelle Misshandlung innerhalb von Institutionen, die nah oder fern mit der katholischen Kirche verbunden sind. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger gab bekannt, dass sie vor den Bischöfen protestieren wolle. Obwohl die Straftaten unter die Verjährungsfrist fallen (die Delikte können in Deutschland nicht gerichtlich verfolgt werden weil sie vor mehr als zehn Jahren begangen wurden), müssen die Opfer "eine finanzielle Entschädigung" erhalten. Zumindest wäre dies "ein Stück Gerechtigkeit, auch wenn sich das erlittene Unrecht materiell nicht aufwiegen lässt", erklärte die Ministerin. Die deutsche Regierung kündigte außerdem einen Runden Tisch an, der sich den entsprechenden Fällen widmen wird. Schon jetzt hat die Bischofskonferenz ihre Teilnahme bestätigt.

Die deutsche Öffentlichkeit ist über die neuen Enthüllungen, über die der größte deutsche Fernsehsender berichtet hat, geschockt. Am 8. März hat die ARD einen neuen Fall systematischer Misshandlung Minderjähriger aufgedeckt. Ort des Deliktes: Eine Schule für autistische und andere geistig behinderte Kinder der evangelischen Stiftung Educon. Gegen 17 Erzieher der Einrichtung hat die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft die Ermittlungen eingeleitet.

Ein Sturzbach von Anzeigen in Holland...

In den Niederlanden gab die Bischofskonferenz am 9. März bekannt, dass sie alles tun werde, um bei der Aufklärung der Missbrauchsfälle zu helfen. In mehreren Internaten des Landes sollen laut der Anklage mindestens 200 Personen Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sein. Die frühesten Fälle gehen in die 60er Jahre zurück und fanden in einem Internat der katholischen Ordensgemeinschaft der Salesianer statt. Anschließend wurde auch gegen andere Einrichtungen des Landes Anklage erhoben. Die Bischöfe sind nach eigenen Angaben "über die schockierenden Fälle sexuellen Missbrauchs, die in den vergangenen Tagen aufgedeckt wurden, zutiefst erschüttert".

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Im Februar brach die Affäre aus, als mehrere Schüler des Zentrums der Stadt 's-Heerenberg (im Osten des Landes) ihre Anklage an die Medien weiterleiteten. Der Rotterdamer Bischof Ad van Luyn, der einst als Lehrer in dem Internat arbeitete, in dem mehrere Schüler laut der Vorwürfe zu Missbrauch-Opfern wurden, streitet den Vorwurf ab. Er habe von nichts gewusst. Am 9. März berichtete die Zeitung De Telegraaf über einen neuen Fall: Ein ehemaliger Schüler einer Klosterschule klagt mehrere Nonnen des Missbrauchs an, den er im Alter von elf Jahren erlitten haben soll.

...und Geständnisse in Österreich

Am selben Tag deckte die österreichische Presse mehrere Fälle sexuellen Missbrauchs Minderjähriger auf, die in den 1970er und 1980er Jahren in zwei verschiedenen Einrichtungen (davon ein Internat) des Landes stattgefunden haben sollen. Der die Erzabtei St. Peter in Salzburg leitende Kirchenvater Bruno Becker hat zugegeben, vor 40 Jahren ein zwölfjähriges Kind missbraucht zu haben. Der Geistliche fügte auch hinzu, dass er die Behörden der katholischen Kirche im Jahr 2009 darüber informiert hat, nachdem sein Opfer mit ihm Kontakt aufgenommen hatte.Dieses Jahr schrieb er seinem Opfer einen Brief, in dem er ihm 5.000 Euro anbot, wenn es schweige. Das Vergehen kann entsprechend der Verjährungsregel nicht mehr vor Gericht gebracht werden.

Das Opfer erklärte außerdem, dass es mehrere Jahre lang von verschiedenen Priestern sexuell misshandelt wurde. Einer von ihnen hat die Ordenstracht inzwischen abgelegt, der zweite seine Versetzung in ein anderes Kloster beantragt. Beide wurden 2005 in Marokko wegen Sex-Tourismus festgenommen. Seit dem 9. März wurden weitere Fälle von Pädophilie aufgedeckt. Diesmal in Vorarlberg (im Westen Österreichs). Ein zur Tatzeit minderjähriger Schüler der privaten Internats-Oberschule der Zisterzienserabtei Mehrerau soll in den 1980er Jahren Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sein. Nachdem der Angeklagte die Fakten zugegeben hatte, wurde er ins naheliegende Tirol versetzt.

Vatikan stellt sich hinter Bischofskonferenzen

Angesichts dieser Sintflut von Anklagen war der Vatikan gezwungen, zu reagieren. Sein Pressesprecher – Pater Federico Lombardi – äußerte sich zugunsten der deutschen, österreichischen und niederländischen Bischofskonferenzen. Seinen Angaben nach, haben sie sich den sexuellen Missbrauch-Skandalen "schnell und entschieden" gestellt. Er erklärte auch, dass derartige Vergehen nicht nur innerhalb der katholischen Kirche stattgefunden haben. Obendrein erinnerte er daran, dass die Behörden zu dem Zeitpunkt, als der Missbrauch in Österreich zur Anklage kam, 527 ähnliche Fälle anerkannten, von denen nur 17 innerhalb der Kirche und 510 in anderen Einrichtungen stattgefunden hatten.

REAKTIONEN

Zögerliche Kirche: Bestrafen oder leugnen?

Die Skandale lassen der Kirche keine andere Wahl. Sie muss reagieren. Le Figaro schreibt, das "Gesetz des Schweigens", welches "das Handeln der pädophilen Kirchenvertreter bestimmte", wurde gegen die 'Null-Toleranz" eingetauscht. Dennoch steht der Vatikan unter Verdacht. Man wirft ihm vor, die Ermittlungen zu behindern. 2001 hatte der zukünftige Papst Benedikt XVI. die Bischöfe aufgefordert, dass die Pädophilie-Affären "ausschließlich von der Kongregation für die Glaubenslehre in Rom behandelt werden", dessen Leitung er innehatte. Auch erklärte er ihnen, dass es sich um ein Randphänomen handele. "Kardinal Cláudio Hummes, der Präfekt der Kongregation für den Klerus, gab 2009 zu, dass durchschnittlich fünf Prozent der Kirchenvertreter *von bestätigten Pädophilie-Fälle*n betroffen sind", berichtet die italienische Zeitung Libero. Diese Schlussfolgerungen werden auch von der amerikanischen Bischofskonferenz und mehreren Untersuchungen belegt, die zeigen, dass Geistliche im Vergleich zur durchschnittlichen Bevölkerung einhundert Mal mehr betroffen sind.

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