Kommt Madrid von allein wieder auf die Beine?

Die Beteuerungen des Ministerpräsidenten klingen hohl: Die Bankenkrise, die das Land erschüttert, wird Madrid bald dazu zwingen, sich an die EU zu wenden. Als Gegenleistung für die rettende Finanzspritze wird Spanien sich wohl wie Irland bevormunden lassen müssen.

Veröffentlicht am 29 Mai 2012 um 14:38

Die Schwarzseher reiben sich die Hände. Sie sind überzeugt, dass sie die Partie gewinnen. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein großer EU-Staat Antrag auf Hilfe aus dem Rettungsfond stellt – eine Aussicht, die sowohl die Straßen von Madrid als auch die Bürohäuser in Berlin vor Schrecken erzittern lässt – scheint mit jedem Tag näher zu rücken. Der Ministerpräsident Mariano Rajoy leugnete zwar am Montag zum x-ten Mal, dass die spanischen Banken Hilfe benötigen, aber die zu stopfenden Löcher der Bankia treibt das Land zügig an den Rand des Abgrunds.

Schon lang bevor bekannt wurde, dass der Staat der Bankia mit weiteren 19 Milliarden Euro unter die Arme greifen muss, haben verschiedene Experten auf die Notwendigkeit hingewiesen, dass die Regierung, so schmerzlich das auch sein mag, im Ausland um Geld ansucht, um die Finanzinstitute des Landes zu rekapitalisieren. „Das hätte schon vor langer Zeit geschehen sollen, aber besser später als nie“, so Daniel Gros, Forscher im Centre for European Policy Studies (CEPS).

„Damit die Europäische Zentralbank eingreift und die Staats- oder Bankschulden finanziert, wird Spanien dieses Jahr wohl an einem von einer Troika geleiteten Programm teilnehmen müssen“, meinte William Buiter, Chefökonom der CitiBank, vor ein paar Monaten.

Die unsichere Rettungsmechanik

In der Gleichung gibt es viele Unbekannte. Nicht nur, ob Spanien sich endlich zu dem Schritt entschließt, sondern auch, wie die Hilfe in Anspruch genommen wird, ob die Sparer in Panik geraten und ob die Ansteckungsgefahr gebannt werden kann, die Italien direkt und dann wohl auch Frankreich und Belgien bedroht.

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Im letzten Sommer trafen die Regierungs- und Staatschefs der EU zwei Entscheidungen, die dem provisorischen Rettungsfonds – offiziell Europäischer Finanzstabilitätsfonds (oder mit dem englischen Akronym EFSF) genannt – ermöglicht, den Zusammenbruch eines Großteils des spanischen Bankensektors zu verhindern.

Zuerst wurde der Fonds von 440 Milliarden auf 780 Milliarden Euro aufgestockt, obwohl der effektiv zur Verfügung stehende Betrag sich lediglich auf 440 Milliarden Euro beläuft. Einen Monat später wurde der Anwendungsbereich erweitert: Der Mechanismus darf nun auch dazu dienen, Banken über Kredite an die Staaten zu refinanzieren.

Der Kredit würde jedoch zuerst dem Staat gewährt werden, der die Schulden übernimmt und die Mittel den Finanzinstituten weiterleitet. Das bedeutet aber auch, dass Bedingungen an den Kredit geknüpft werden, Gegenleistungen, wie sie Griechenland, Irland und Portugal aufgezwungen wurden.

Dann ist es eigentlich egal, dass es sich um eine einfache Banken- und nicht eine Staatsrettung handelt. Die EU wird mit den von ihr geforderten Restrukturierungsprogrammen trotzdem Aspekte wie die Fiskalpolitik, den öffentlichen Dienst sowie die Privatisierungen und die Verwaltung der geretteten Institutionen beeinflussen können.

Am meisten beunruhigt vielleicht, dass niemand weiß, wann Spanien wieder in der Lage sein wird, sich an den Märkten zu finanzieren. „Man kann es nennen, wie man will, es ist im wahrsten Sinne des Wortes eine Intervention“, sagt ein hoher EU-Beamter.

Weiterer Schritt Richtung Fiskalunion

So entfaltet sich ein Szenario, das teilweise an Irland erinnert: Vater Staat unterstützt seine Banken, aber das Loch ist zu groß, und das Land muss draußen Hilfe suchen. „Wenn das Geld direkt den Banken zugutekommen könnte [eine Möglichkeit, die Deutschland ablehnt], würden die Banken die Schulden tilgen müssen“, erklärt Professor Santiago Carbó.

„Europa sollte die geretteten Unternehmen überwachen, das würde den Grundstein zu einer europäischen Bankenunion legen. Aber das wird sicher nicht der Fall sein, bevor der ESM in Kraft tritt“, sagt Guntram Wolff, Mitglied des belgischen Think-Tanks Bruegel.

Der ESM, von dem Wolff spricht ist, der Europäische Stabilitätsmechanismus, der sich ab 1. Juli dieses Jahres in einen permanenten Rettungsfonds verwandeln und den EFSF ersetzen soll. Er wird mit 500 Milliarden Euro nicht nur besser dotiert sein, sondern sich auch durch höhere Anpassungsfähigkeit auszeichnen. Damit er aber Wirklichkeit wird, muss er von den meisten Mitgliedsstaaten ratifiziert werden. Eine Verzögerung wäre angesichts der Lage Spaniens eine Katastrophe.

Was passiert, wenn die spanische Regierung schließlich gezwungen ist, sich an den Rettungsfonds zu wenden? Darauf antwortet Professor Harvard Kenneth Rogoff: „Wenn der Euroraum und die EZB nicht schnell klare Schritte unternehmen, werden die Sparer in den Randstaaten die Banken stürmen und das Kapital wird das Land verlassen. Um das zu verhindern, müssen die Banken mit Liquidität versorgt werden. Die Eurozone wird über die Eurobonds einen weiteren Schritt Richtung Fiskalunion machen müssen. Wir werden außergewöhnliche Maßnahmen sehen, die noch vor kurzer Zeit undenkbar gewesen wären, die aber immer getroffen werden, wenn Europa am Rand des Zusammenbruchs steht.“

Schuldenkrise

Der „Rajoy-Effekt“ beruhigt die Märkte nicht

„Der Rajoy-Effekt kommt spät und kann das Ausbluten [der Märkte] nicht stoppen“, meldet El Mundo nach der Pressekonferenz des spanischen Ministerpräsidenten. Die Tageszeitung aus Madrid übt Kritik an Rajoys Eingreifen, das sie für nicht konkret genug hält:

Es wäre idiotisch, die Aufmerksamkeit von unseren Schuldenfinanzierungsproblemen auf den allgemeinen europäischen Kontext umlenken zu wollen. Die Märkte haben uns im Visier aufgrund der Bankia und der Unsicherheit, die über dem spanischen Finanzsektor herrscht. Doch auch aufgrund der dringend nötigen finanziellen Hilfe für Katalonien und der Ausbreitung dieses Problems auf die restlichen Regionen.

Die Tageszeitung fügt hinzu, dass die Regierung kommenden Freitag die Entstehung der „Hispanobos“ ankündigen wird: Staatsanleihen zur Rettung der meistverschuldeten Regionen, darunter Katalonien, Andalusien, Valencia, Murcia, die Balearen oder Kastilien-La Mancha. Die Bedürfnisse hierfür werden bis Ende 2012 auf 17 Milliarden Euro geschätzt. El Mundo meint dazu:

Die Regierung will ab Juni eine große Rettungsaktion für einige Regionen finanzieren, die kurz vor dem Zahlungsausfall stehen und keine andere Wahl haben, da die Märkte ihren [Anleihen-]Emissionen den Rücken gekehrt haben.

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