Nachrichten Krise in der Eurozone

Hier kommen die Vereinigten Staaten von Europa

Wenn Deutschland für die Krise der Eurozone zahlen soll, dann ist eine finanzielle und politische Union der wahrscheinliche Preis. Die Pläne dafür werden bereits entworfen, im Hinblick auf den EU-Gipfel vom 28.-29. Juni, der vielleicht eine große Tragweite haben wird.

Veröffentlicht am 5 Juni 2012 um 15:41

So schnell kann sich die Politik der Eurokrise ändern. Vor nur 14 Tagen drehte sich alles um den neuen französischen Staatspräsident François Hollande, der in Paris als Monsieur Wachstum vereidigt wurde und zu seinem ersten Einsatz eilte, wo er Frau Europäische Sparpolitik, die Bundeskanzlerin Angela Merkel, herausfordern wollte.

„Wir brauchen neue Lösungen. Alles liegt auf dem Tisch“, plädierte Hollande und meinte damit, er werde Merkel schon dazu zwingen, die Nasenklammer abzunehmen und Dinge in Betracht zu ziehen, die in Berlin faul riechen – an erster Stelle die Euro-Bonds.

Mit demselben Zug sollte Deutschland die Krise beilegen, indem es einwilligte, die Schulden von Spanien, Griechenland, Italien und allen anderen zu garantieren. Pustekuchen.

Bis zum Samstag war der Wettkampf zwischen Wachstum und Sparpolitik zurückgewichen und Merkel hatte den Spieß umgedreht.

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Nun war sie an der Reihe mit den Ankündigungen: Es solle für die europäischen Staats- und Regierungschefs beim Auseinandersetzen mit den schwierigen Lösungsmöglichkeiten keine Tabus geben.

Griechenland uns Spanien entscheiden über den Gipfel

Unterdessen warten alle ab, was in Griechenland und Spanien passiert, und hecken für das, was sich als bedeutungsschwerer Gipfel am Ende des Monats abzeichnet, ihre nächsten Schachzüge aus.

Merkel schien nicht nur Hollande, sondern auch Frankreich auf die Probe zu stellen. Indem sie ankündigte, die To-do-Liste der Eurozone könne nicht zensiert werden, meinte sie die Erwägung von radikalen, föderalistischen Schritten.

Zu denen gehört auch der graduelle Verlust an nationaler Souveränität in den Bereichen der Haushalts-, Finanz-, Sozial-, Renten- und Arbeitsmarktpolitik, sowie das Ziel, in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine neue europäische politische Union zu formen.

Die USE – die Vereinigten Staaten von Europa – sind wieder da. Zumindest für die Eurozone. Eine derartige „politische Union“, die grundlegende Befugnisse an Brüssel, Luxemburg und Straßburg abgibt, ging den Franzosen immer schon ein paar Schritte zu weit.

Doch die Zeichen aus Berlin sind da: Wenn es für etwas, das es als das Versagen anderer betrachtet, den Kopf hinhalten soll, dann wird es graduelle, aber wesentliche integrationistische Schritte in Richtung einer Banken- und Finanzunion und letztendlich auch einer politischen Union in der Eurozone geben müssen.

Merkel sieht keine Alternative mehr

Es ist eine entzweiende, umstrittene Ansicht, die Merkel nicht immer befürwortet hat. Jetzt, mitten in der Krise, scheint sie jedoch keine Alternative mehr zu sehen.

In den kommenden drei Wochen wird man sich diesbezüglich hektisch betätigen, während ein Quartett von erfahrenen EU-Mittelsmännern von Hauptstadt zu Hauptstadt eilt und dort den Rahmen des Möglichen auslotet.

Herman Van Rompuy, Präsident des Europäischen Rats, Mario Draghi, Leiter der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Juncker, Premierminister in Luxemburg und langjähriger Vorsitzender der Eurogruppe für die Staaten der Eurozone, und José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, sollen dem EU-Gipfel vom 28.-29. Juni einen Integrationsplan für die Eurozone vorlegen.

Alle vier sind engagierte europäische Föderalisten. Vor dem Gipfel finden noch schicksalsschwere Wahlen in Griechenland sowie die französischen Parlamentswahlen statt, während dem spanischen Bankensektor die Zeit auszugehen scheint.

Der Finanzminister in Madrid, Luis de Guindos, sagte, das Schicksal des Euro werde sich in den kommenden Wochen in Spanien und Italien entscheiden.

Das Grübeln über den Quantensprung der Integration rettet weder Griechenland noch Spaniens Banken, noch bringt es Italien in Ordnung oder bewältigt kurzfristig die Eurokrise.

Vielleicht läuft den Spitzenpolitikern sogar die Zeit davon, während sie alle Reserven dieser waghalsigen Politik ausschöpfen sowie letztminütige Anrufe tätigen, was für das „Krisenmanagement“ der letzten 30 Monate bezeichnend war.

Doch sie hoffen, die Finanzmärkte durch die Enthüllung einer mittelfristigen Strategie für eine finanzielle und politische Union in der Eurozone davon zu überzeugen, dass sie fest dazu entschlossen sind, den Euro zu retten, dass die Währung unwiderruflich ist und dass sich alles beruhigt.

Wenn das „Projekt“ abhebt, werden seine Auswirkungen enorm sein.

Ein neuer europäischer Vertrag wird schwierig

Logischerweise wäre ein neuer Europäischer Vertrag nötig. Das wird ein Eiertanz. Wahrscheinlich wäre auch eine neue deutsche Verfassung nötig, was sich als ein Schritt zu weit herausstellen könnte.

Das ständig zitierte derzeitige „demokratische Defizit“ in der Betriebsweise der EU würde sich exponentiell ausweiten, wenn die Regierung der Eurozone nicht anhand eines radikal überarbeiteten Wahlsystems untermauert würde.

Welchen Sinn hätte es, eine Regierung in – sagen wir einmal – Slowenien zu wählen, wenn alle Steuer-, Ausgaben-, Renten- oder Arbeitsmarktstrategien im Rahmen einer politischen Union der Eurozone in Brüssel entschieden würden?

Das Europa der zwei Geschwindigkeiten würde sich noch tiefer verwurzeln, die wesentlichen Entscheidungen würden in der Eurozone und nicht in einer EU der 27 oder 28 getroffen werden.

Die Kluft zwischen Großbritannien und Kerneuropa könnte unüberbrückbar werden, nur gegenseitige Verbitterung erzeugen und letztendlich die unglückliche EU-Tändelei Großbritanniens beenden, obzwar die „politische Union“ genau das ist, was David Cameron und George Osborne als „erbarmungslose Logik“ einer gemeinsamen Währung empfehlen.

Im dritten Jahr des Dahinwurstelns stehen die europäischen Staats- und Regierungschefs vor immer krasseren Entscheidungen – der Tod des Euro oder die Geburt eines neuen europäischen Bundes.

Institutionen

Die vier großen Baustellen Europas

„Geheimplan für ein neues Europa“ titelte Die Welt am Sonntag und berichtete von einem europäischen Stabilitätsplan, den die Chefs der großen EU-Institutionen nach Informationen der Zeitung momentan entwickeln.

Der Welt zur Folge arbeiten der Präsident des Europäischen Rats Herman van Rompuy, der Chef der EU-Kommission Manuel Barroso und Jean-Claude Juncker, Chef der Euro-Gruppe an dem Plan, der bereits auf dem EU-Gipfel vom 28.-29. Juni vorgestellt werden könnte und vier große Reformprojekte beinhaltet:

Strukturreformen, eine Banken-Union, eine Fiskalunion und eine politische Union. (...) Am Ende entstünde ein ganz neues Europa – wenn sich die 27 EU-Länder einigen können.

Was die deutsche Regierung daran am meisten stören wird, ist nach Meinung der Welt die Fiskalunion, unter der sich Berlin eine strengere Haushaltsaufsicht und eine Erweiterung des bestehenden Paktes vorstellt.

Eine Fiskalunion, wie sie der sogennante „Geheimplan“ vorsieht, zielt auf die gemeinsame Haftung der Mitgliedsstaaten bei Staatsschulden ähnlich den Eurobonds, die Deutschland bereits vehement abgelehnt hatte.

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