Die neue Wirtschaftsdiät bekommt nicht jedem. Foto: Ryan McVay, Presseurop

Keine Lust auf Abspecken

Von Griechenland bis Irland ermahnt die Europäische Union ihre Mitgliedsländer zur Durchsetzung schmerzhafter Einschnitte bei den Staatsausgaben. Jedoch wächst die Kritik an diesem „Spar-Kult“, der Europa noch weiter in die Rezession treiben könnte.

Veröffentlicht am 18 März 2010 um 16:06
Die neue Wirtschaftsdiät bekommt nicht jedem. Foto: Ryan McVay, Presseurop

Um den Wert des Euros zu schützen, die Investoren zufriedenzustellen und den strengen Vorgesetzten der europäischen Wirtschaft – Deutschland – zu besänftigen, meinen die am meisten verschuldeten Länder keine andere Wahl zu haben als abzuspecken. Das Wirtschaftswachstum wieder auf die Beine stellen? Die Arbeitslosigkeit reduzieren? Damit muss man warten bis die Länder ihre Steuerpolitik wieder besser im Griff haben. Das denken viele.

Einige andere sind jedoch der Überzeugung, dass von Berlin zu viel Druck ausgeht. Neuerdings sieht man nur noch eines: Die Staatsschuld. Ein regelechter "Spar-Kult" hat sich entwickelt. Jedoch könnte genau dieser dazu beitragen, dass der Wiederaufschwung nach der Rezession noch schwieriger wird. Wenn die angekündigten drastischen Einschnitte in den Haushalt durchgesetzt werden, so könnte dies zum Inflationsabbau führen. Die Kritiker warnen auch davor, dass die ohnehin hohen Arbeitslosenzahlen noch stärker ansteigen, die Regierungen gestürzt werden und die Bürger sich mit aller Macht gegen den Euro wenden könnten.

Selbstzerstörende Sparprogramme

In den kommenden Jahren wird dieser Druck "die Regierung und die Gesellschaft fürchterlich belasten", erklärt der am Pariser Politikinstitut IEP lehrende Wirtschaftsprofessor Jean-Paul Fitoussi. "Das ist selbstzerstörerisch. Wenn wir in Griechenland, Portugal und Spanien Sparprogramme durchsetzen, und dies auch Währungsentwertung bedeutet, dann wird sich die europäische Wirtschaft nicht erholen. Viele Firmen werden Pleite gehen und damit die Banken in Gefahr bringen."

Das Beste vom europäischen Journalismus jeden Donnerstag in Ihrem Posteingang!

In offiziellen Kreisen äußern sich die Gegner der Sparprogramme nur mit größter Vorsicht. Die politischen Führungskräfte sorgen sich darum, dass die Märkte diejenigen Länder bestrafen werden, die sich in Sachen Schuldreduktion nur durch eine halbherzige Entschlossenheit auszeichnen. Dagegen wird Deutschland, welches in den verschuldeten Ländern auf gesalzene Einsparungen bei den Staatsausgaben bestand, nun kritisiert. Man wirft Deutschland vor, ausschließlich auf den Gefahren herumzureiten, welche die Staatsschulden bergen, und sich nicht darum zu kümmern, wie man das Wachstum wiederankurbeln kann. Beispielsweise indem man mehr von seinen Nachbarn kauft.

Zum Teil werden wirtschaftliche Aspekte diskutiert. Aber vor allem geht es auch darum, wer die Führung hat. Schließlich bemüht sich die Europäische Union mit aller Kraft darum, sich über ihre Mission in einer der schwersten Wirtschaftskrisen der Geschichte klar zu werden. "Noch nie befand sich der Euro in einer so schwierigen Situation und musste mit so zahlreichen vorher noch nie dagewesenen Herausforderungen fertig werden“, erklärte die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Mittwoch vor dem Bundestag. "Eine übereilte solidarische Reaktion ist definitiv nicht die richtige Antwort. Vielmehr sollte man das Problem bei seinen Wurzeln packen. Und dafür gibt es keine Alternative zum griechischen Sparprogramm."

Sanftes Abnehmen statt Horrordiät

In Frankreich geht man das Problem anders an. Sanfter. In Zeiten der Wirtschaftskrise müsse man die Staatsausgaben aufblähen, um Arbeitsplätze und Wachstum zu schaffen. Damit würde man das Defizit allmählich reduzieren können, weil man nach und nach mehr Steuern einnimmt. Viele der europäischen Länder müssen den öffentlichen Sektor vollständig rationalisieren. Für Frankreich darf die Umsetzung aber keine Schocktherapie sein. Dagegen predig Deutschland drastische Budgetkürzungen, Steuererhöhungen, Rentenreformen und die Erhöhung des Rentenalters. So schnell wie möglich müsse man sich den europäischen Defizits-Bestimmungen wieder annähern: 3 % des Bruttoinlandsproduktes. Weit entfernt davon sind die 2009 in Griechenland verzeichneten 12,7 %.

Einige Stimmen weisen besorgt darauf hin, dass die sogenannte Große Depression, also die schwere Wirtschaftskrise nach dem Schwarzen Donnerstag im Jahr 1929 ein vergleichbares Spar-Mantra ausgelöst hat. Herr Fitoussi ist der Überzeugung, dass die Mittelmeerländer auf diesem Wege eine Geldentwertung erfahren, die gigantische politische und gesellschaftliche Spannungen auslösen und den europäischen Wirtschaftsaufschwung kurzschließen wird. Andere Prognosen sagen eine Rezession für die südlichen Gebiete vorher, die mindestens ein oder zwei weitere Jahre anhalten wird.

Feststeht, dass Griechenland seine öffentlichen Einrichtungen reformieren muss und seine Wirtschaftsstatistiken nicht mehr frisieren darf. Jedoch darf die Glaubwürdigkeit der Märkte nicht dadurch hergestellt werden, dass man die Wirtschaft umbringt, argumentiert Fitoussi. Damit nähert er sich der Meinung des US-amerikanischen Wirtschaftsexperten Joseph Stiglitz, der in Griechenland als Berater agierte. Stiglitz warnte vor dem "Defizit-Fetischismus" und erklärte, dass eine weitere Rezession das Defizit so sehr verstärken könnte, dass die Regierung nicht mehr dazu in der Lage sein wird, seine Ausgaben zu reduzieren. In diesem Sinne sollten sich die Länder, in denen die Wirtschaft von nicht so großer Bedeutung ist – wie beispielsweise Griechenland – an der Nachfrage des Marktes orientieren. Island mit seinen Bankkatastrophen und Irland mit seiner Eigentums- und Banken-Blase haben den Gürtel um die Budgets angesichts der in die Tiefe stürzenden Steuereinnahmen auch wesentlich enger geschnallt. Jedoch rechnet man damit, dass ihre Politiker darunter leiden werden.

Das gesunde Gleichgewicht

Zwangsläufig müssen die verschiedenen Programme zur Reduktion der Schulden ein gesundes Gleichgewicht zwischen den politischen und den wirtschaftlichen Realitäten finden. In Griechenland streiken regelmäßig die Gewerkschaften. Sie sind entschlossen und wollen ihre Vorteile aufrechterhalten. Verbraucherzentralen prangern eine neue Armut an. Der mit dem griechischen Verbraucherverband INKA zusammenarbeitende Wirtschaftsexperte Babis Delidaskakis bezeichnete die plötzlichen Sparmaßnahmen als: "eine Schande und das tödliche Ende der Wirtschaft".

"Wird die griechische Regierung das überleben?", fragt sich Julian Callow von Barclays Capital. "In Spanien sieht es schon nach Besserung aus. Jedoch hat sich die Regierung noch nicht einmal mit der steuerlichen Seite beschäftigt. Alles deutet darauf hin, dass dies ein sechs oder gar acht Jahre andauerndes Projekt werden wird, welches die Schulden im Hinblick auf das BIP stabilisieren soll. Jedoch wird es mit der Zeit immer schwerer, am Ball zu bleiben."

Defizite

Pingelige Kommission

Mit der am 17. März gemachten Ankündigung, dass die Staatsfinanzen in Zukunft noch schlechter aussehen werden als angenommen, hat "Brüssel mehreren Ländern, die dem Ausweg aus der Krise optimistisch gegenüberstanden, eine kalte Dusche verpasst", berichte der Figaro. Die Europäische Kommission gab in einer Erklärung bekannt, wie sie die Programme bewertet, welche die Defizite von 14 Mitgliedsstaaten reduzieren sollen. Ergebnis: Frankreich, Großbritannien und Spanien müssen an ihren Haushaltsplänen Abstriche machen. Nach Meinung der Kommission bauen diese Länder zu sehr auf einen Aufschwung, um sich aus der Krise zu retten. Jedoch "lässt die festgelegte Strategie so keinerlei Spielraum für Sicherheitstoleranz, im Falle dass sich die Situation nicht so entwickelt, wie man annimmt". London warf man vor, nicht ausreichend viel gegen die Entgleisung seines Defizits zu unternehmen. Paris muss seine Wachstumsprognosen für 2011 von 2,5 % auf 1,5 % nach unten korrigieren. Madrid ermahnte man für sein diesjähriges Defizit von 11,4 %. Le Figaro berichtet, dass "sich auch Deutschland nicht vor den Vorwürfen schützen kann". Ihm hält man seine als unzureichend bewertete Haushaltsstrategie vor. Damit könne es weder seine Schulden reduzieren noch sein Defizit bis 2013 auf 3 % zurückführen.

Tags
Interessiert an diesem Artikel? Wir sind sehr erfreut! Es ist frei zugänglich, weil wir glauben, dass das Recht auf freie und unabhängige Information für die Demokratie unentbehrlich ist. Allerdings gibt es für dieses Recht keine Garantie für die Ewigkeit. Und Unabhängigkeit hat ihren Preis. Wir brauchen Ihre Unterstützung, um weiterhin unabhängige und mehrsprachige Nachrichten für alle Europäer veröffentlichen zu können. Entdecken Sie unsere drei Abonnementangebote und ihre exklusiven Vorteile und werden Sie noch heute Mitglied unserer Gemeinschaft!

Sie sind ein Medienunternehmen, eine firma oder eine Organisation ... Endecken Sie unsere maßgeschneiderten Redaktions- und Übersetzungsdienste.

Unterstützen Sie den unabhängigen europäischen Journalismus

Die europäische Demokratie braucht unabhängige Medien. Voxeurop braucht Sie. Treten Sie unserer Gemeinschaft bei!

Zum gleichen Thema