Wie sehen die Mittel des nächsten Semesters aus? Seminarraum der Universität Lyon 2. (AFP)

Krise leert die K(l)assen

In Europa sind Schulen und Hochschulen von den Haushaltskürzungen sowie den Personal- und Investitionseinsparungen besonders getroffen. Manchen Hochschulen, wie etwa in Großbritannien, droht sogar der Bankrott. Und die Top-Bildungsstätten könnten bald von den internationalen Ranglisten verschwinden.

Veröffentlicht am 30 März 2010 um 13:53
Wie sehen die Mittel des nächsten Semesters aus? Seminarraum der Universität Lyon 2. (AFP)

Rumänien ist nicht das einzige Land, in welchem die Lehrer Kündigungen oder Gehaltskürzungen ausgesetzt sind. Laut einer Studie von Guntars Catlaks vom Gewerkschaftsverband Education International sind die Bildungssysteme zahlreicher europäischer Länder von der Krise schwer angeschlagen. Polen schob seine Investitionen in die Infrastrukturen zwar nur auf, doch Litauen, die Tschechische Republik, Ungarn und Lettland kürzten die Gehälter der Lehrer um 30 Prozent. Lettland führte die drastischste Stellenstreichung beim Lehrerstab im Vor-Hochschulwesen durch: 6.000 von insgesamt 35.000 Lehrern wurden entlassen Lehrer. In Irland sind nach einer Budgetkürzung um 60 Prozent für das laufende Jahr nun Stellenkürzungen im Hochschulwesen geplant und mehrere Fakultäten werden wohl ihre Pforten schließen müssen.

Auch Italien tut sich beim Reformieren schwer. Nach Angaben der italienischen Presse will die Berlusconi-Regierung im kommenden Jahr eine Reform umsetzen, die den Abbau von 133.000 Arbeitsplätzen (darunter 87.500 Lehrer) vorsieht. Die Einsparung im Budget soll knapp acht Milliarden Euro betragen.

Kahlschlag auch in Nordeuropa

In Großbritannien stehen die Universitäten schweren Haushaltdefiziten gegenüber und es wird von Bankrott gesprochen: "Ich glaube, manche Einrichtungen werden Konkurs anmelden müssen", erklärt Anna Fazackerley vom Think-Tank Policy Exchange, Autorin der Studie Sink or Swim? Facing up to failing universities [Sinken oder schwimmen? Wie wir uns den Fehlschlägen der Universitäten stellen]. London kündigte eine Budgetkürzung um 450 Millionen Pfund (500 Millionen Euro) für das laufende Jahr an. Österreich, Italien, Ungarn und Polen – Länder, die früher massiv in ihre Universitäten investierten – reduzieren ebenfalls ihre Finanzierungsmittel, so der euobserver.

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Sogar die nordischen Länder sind von der Krise nicht verschont geblieben. In den Niederlanden werden im Steuerjahr 2010-2011 mehrere Budgetbereiche um 20 Prozent gekürzt, darunter auch das Hochschulwesen, wie eine im Februar von John Aubrey Douglass von der kalifornischen Universität Berkeley veröffentlichte Studie zeigt. Eine der geplanten Maßnahmen soll die Umwandlung der Stipendien an Studenten in ein Darlehenssystem sein. Der Vorschlag rief im Februar eine Protestbewegung hervor, bei welcher über 1000 Studenten die Vorlesungssäle der Universitäten von Amsterdam, Nimwegen, Utrecht und Rotterdam besetzten.

Die einzigen Länder, die bisher die Ausnahme bildeten, sind Frankreich und Deutschland. Doch selbst hier sind die Aussichten nicht sehr gut. Frankreich will dieses Jahr im Bildungswesen 16.000 Stellen streichen. Der französische Erziehungsminister Luc Chatel hat vorgeschlagen, Studenten und Rentner einzustellen, um die fehlenden Lehrer zu ersetzen. Das Versprechen Frankreichs, die Finanzierung seiner Universitäten anzuheben, hängt davon ab, ob das Land in den kommenden Jahren Anleihen aufnehmen kann. In Deutschland hingegen wurden die hohen Ausgaben vorwiegend auf die Stipendienvergabe an Studenten aufgewendet. Es gibt jedoch bereits langfristige Pläne, um die Finanzierung aufzustocken und die Anzahl der Studenten bis 2015 um 275.000 zu erhöhen. Doch das bedeutet auch eine Erhöhung der Studiengebühren, während die letzte Erhöhung im November 2009 bereits über 80.000 Studenten auf die Straßen trieb.

Universitäten reagieren mit "Lückenfüller"-Maßnahmen

Die finanziellen Bedingungen des Hochschulwesens in Europa sind von Land zu Land verschieden. Manche Länder verlangen nur geringe bzw. gar keine Immatrikulationsgebühren, andere bieten Studenten günstige Darlehen an. Doch ein Faktor bleibt konstant: In Europa werden fast alle Kosten vom Steuerzahler getragen. Bis jetzt haben die Universitäten durch "Lückenfüller"-Maßnahmen reagiert, wie etwa die Hinauszögerung von Investitionsausgaben oder die Einfrierung der Neueinstellungen.

"Wir werden nie wieder dasselbe Niveau an Mitteln haben wie bisher", meint Malcolm Grant, Präsident des University College in London. Eine Möglichkeit, sich dem Dilemma zu entziehen, wäre die Aufnahme einer größeren Anzahl von Nicht-EU-Studenten, deren Studiengebühren nicht von der Regierung bestimmt werden. Eine weitere Lösung bestände darin, sich von der staatlichen Finanzierung loszulösen und von allen Studenten Gebühren zu verlangen, die den tatsächlichen Studienkosten entsprechen. Doch das ist schwer zu verwirklichen, denn in vielen europäischen Ländern werden Privathochschulen allgemein als minderwertiger angesehen und auch die existierende Gesetzgebung müsste dementsprechend abgeändert werden. Die Krise könnte die europäischen Universitäten aus den ersten internationalen Ranglistenplätzen drängen, so warnt Dirk Van Damme, Leiter des Bereichs Bildung bei der OECD. (pl-m)

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