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Iveta Radičová führt einen neuen Politikstil in der Slowakei ein.

Iveta Radičová, der Phönix aus Bratislava

Iveta Radičová ist die erste Frau, der es gelang, in die hohen Sphären der mitteleuropäischen Politik einzudringen. In der sehr männlichen-virilen Welt der öffentlichen Angelegenheiten in der Slowakei sticht sie durch ihren Stil und ihre Ansichten heraus. Nach Angaben der Wochenzeitung Respekt könnte sie sehr wohl am 12. Juni zur Ministerpräsidentin des Landes werden, unter dem Banner der christlich-demokratischen Union SDKÚ.

Veröffentlicht am 2 April 2010 um 13:37
Iveta Radičová führt einen neuen Politikstil in der Slowakei ein.

Mit Iveta Radičová, 53, ist in der Slowakei mehr als nur ein Kampf um die politische Macht zu beobachten: ein Kampf zwischen Tradition und Modernität. Das war bereits bei den letzten Präsidentschaftswahlen [im Jahr 2009] der Fall, mit dem Sieg von Ivan Gašparovič, dem Archetyp des slowakischen Mannes mit einer Vorliebe für Autos, Hockey und die Fujara-Flöte [das typische slowakische Musikinstrument].

Die ehemalige Soziologieprofessorin – Iveta Radičová war die erste weibliche Soziologin in der Slowakei – ist heute zum wahren Gesellschaftsphänomen geworden. Ganz alleine verkörpert sie einen neuen politischen Stil, mit dem Image einer sensiblen und kultivierten Frau, die den brutalen Regeln ihrer männlichen Rivalen – die das politische Feld zum Schlachtfeld gemacht haben – ablehnend gegenübersteht. Sie versichert insbesondere, sie würde "lieber die Politik ganz verlassen als die Grundsätze der Höflichkeit aufgeben zu müssen". In Fernsehdebatten tritt sie ihrem politischen Gegner systematisch mit strahlendem Lächeln entgegen.

Feminines Prinzip: Mit Verstand und Herz

Dieses "feminine Prinzip" wird begleitet von einer unverhohlenen Zugehörigkeit zur modernen liberalen Strömung des europäischen politischen Denkens, ob es sich dabei nun um religiösen Glauben ("das ist Privatsache"), die Abtreibungsfrage ("ich vertraue auf unsere Frauen") oder ihre wohlwollende Anschauung gegenüber den verschiedenen Minderheiten, von Schwulen über Roma und Immigranten bis zu Ungarn, handelt. Ihre Aufgeschlossenheit ist zwar sicherlich mehr als einfach nur politische Berechnung, doch weiß sie die Aufmerksamkeit der Medien zu schätzen – auch die der Regenbogenpresse. Sie vertraut sich den Illustrierten gerne an und erzählt von ihrer blonden Haarpracht ("mein Frisör ist ausgezeichnet"), ihrer Freude an Süßigkeiten ("ich weiß ebensoviel über Bonbons und Schokolade wie über Gesetze") oder ihren Hobbys. Und dafür wird sie von der Klatschpresse auch respektiert und geschützt.

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Radičovás Beliebtheit geht auf 2005 zurück. Bis dahin war sie nur in Intellektuellenkreisen bekannt. Sie hatte den Ruf einer ausnehmend intelligenten Frau mit makelloser Vergangenheit (im September 1989 gehörte sie zu einer Gruppe von 14 Soziologen, die öffentlich gegen die Verhaftung von slowakischen Dissidenten protestierten). Nach Jahren der neoliberalen Rhetorik, die von der Regierung unter Mikuláš Dzurinda [Ministerpräsident von Oktober 1998 bis Juli 2006, ehemaliger Parteichef der SDKÚ] praktiziert wurde, führte Radičová, damals die einzige Frau in der Regierung, eine neue politische Sprache ein: Anstatt die Übergriffe im Sozialbereich öffentlich zu beanstanden, begann sie, von den Armen zu sprechen, die ganz ohne eigene Schuld in diesen Zustand verfallen seien, und von der Pflicht des Staates, ihnen zu helfen.

Mit Angela Merkel gegen die Parteibarone

Im Parlament beging Radičová einen Fehler, der ihr zum Verhängnis hätte werden können. Sie drückte auf den Knopf des Wahlapparates einer Parteikollegin, die, wie sie damals plädierte, zu weit entfernt von ihrem Gerät stand. Es regnete Betrugsbezichtigungen aus allen Richtungen, Politik und Medien zerrissen sie förmlich in der Luft. Sie trat also von ihrem Parlamentsamt zurück. Und als die Tageszeitung SME ihren politischen Tod ankündigte, schien es durchaus so als sei ihre Karriere vorüber. Doch Ende Januar änderte sich alles. Radičová kündigte an, sie lasse sich an der Spitze ihrer Partei als Kandidatin für die Parlamentswahlen vom 12. Juni 2010 aufstellen. Sie gewann die Primärwahlen gegen Mikoláš Dzurinda. Jüngste Umfragen sagen einen Sieg der Rechten voraus – und in diesem Fall könnte Iveta Radičová sehr wohl Ministerpräsidentin werden.

Radičová behauptet, ihr Vorbild sei Angela Merkel. Doch in den Korridoren der SDKÚ fragt man sich mit Schrecken, ob es nicht doch eher Ségolène Royal ist [Kandidatin der Sozialisten bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2007, gegen Nicolas Sarkozy]. (pl-m)

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