Nächstes Mal noch da? Spanischer Journalist im EU-Parlament bei den Europawahlen, Brüssel, Juni 2009.

Unaufhaltsamer Abstieg der EU-Presse

Obwohl man allerorts immer mehr über die EU spricht, schwindet der Presseapparat in Brüssel dahin. Nirgends ist dieses Phänomen weiter verbreitet als unter den Journalisten der neuen Demokratien Osteuropas.

Veröffentlicht am 2 April 2010 um 14:28
European Parliament/Pietro Naj-Oleari  | Nächstes Mal noch da? Spanischer Journalist im EU-Parlament bei den Europawahlen, Brüssel, Juni 2009.

Ina Srazdina spricht drei Sprachen fließend. Sie ist Lettlands einflussreichste Journalistin in Brüssel, der Hauptstadt der Europäischen Union. Jedoch gibt sogar sie zu, dass die Konkurrenz nicht allzu hart ist. Und obwohl sie nach ihrer Ankunft in Brüssel 2006 Seite an Seite mit drei weiteren Konkurrenten arbeitete, ist Strazdina die letzte lettische Journalistin im Pressecorps der EU. Um über die Runden zu kommen hat sie gleich drei Jobs: Sie berichtet für das lettische Radio, das lettische Fernsehen und die Tageszeitung Latvijas Avize. Am laufenden Band produziert sie fast alle Neuigkeiten, die Lettland aus Brüssel erreichen.

Rund um den Erdball wurden Stellen im Journalismus gekürzt. Dabei spielen die Auswirkungen der Wirtschaftsflaute ebenso eine Rolle wie die durch das Internet bedrohten traditionellen Medien. In Brüssel bekommen vor allem die ehemaligen kommunistischen Länder, die seit 2004 zur Union gehören, diese Tendenz schmerzhaft zu spüren. Nach Angaben des Internationalen Presseverbands (International Press Association, IPA) hat die Zahl der akkreditierten Journalisten, die über die EU berichten, seit 2005 um ein Drittel abgenommen. Lorenzo Consoli – der Präsident der IPA, die ihren Sitz in Brüssel hat und über 500 Journalisten vertritt – ist besorgt: "Wir haben neue Demokratien, neue Mitgliedsstaaten, die nach dem Kommunismus nicht allzu lange als demokratische Systeme mit ihren Traditionen existiert haben. Und wir haben die Pflicht, in Brüssel gegenüber den Institutionen, die die Macht haben und Pressearbeit leisten, über das beste System zu verfügen", erklärte er.

Wozu noch Korrespondenten? Es gibt das institutionelle Fernsehen!

Während die traditionellen Journalisten das Feld räumen, wächst die Masse an Informationen, die von europäischen Institutionen produziert werden – wie Europe by Satellite (EBS) oder dem Web-TV des Europäischen Parlamentes, meint Consoli. Wegen der online verfügbaren Inhalte verlassen sich mittlerweile einige neue Organisationen auf diese Quellen plus Nachrichtenagenturen für ihre EU-Berichterstattung. Für Consoli ist "die Idee einer direkten Kommunikation zwischen den Institutionen und den Menschen ein totalitärer Traum".

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Nach Angaben der IPA ist die Zahl der akkreditierten Journalisten gesunken: 2005 waren es noch 1.300, 2008 nur noch 1.100, 2009 964 und dieses Jahr sind es nur noch 752. In den vergangenen Jahren mussten Medienunternehmen in der ganzen Union Abstriche machen. Meister in diesem Trend ist Osteuropa. Die vierunddreißigjährige Journalistin Strazdina erinnert sich an die Haushaltskürzungen im Jahr 2008. Damals blieb den Medienunternehmen in weiten Teilen des Landes nichts anderes übrig als Lohnkürzungen vorzunehmen. Auch sie, die damals für das lettische Radio arbeitete, war davon betroffen und verlor ihren Mietzuschuss. Einige Kollegen – zu denen auch der Korrespondent der Tageszeitung Diena gehörte – packten ihre Koffer. Für die damalige Chefredakteurin von Diena – Nellija Ločmele – war es eine rein finanzielle Entscheidung. "Wir verloren etwa 70 Prozent unserer Anzeigeneinnahmen", erklärte sie. "Da konnte man nicht einfach so weitermachen wie vorher."

Stellenabbau zuerst in Brüssel

Strazdinas Nettogehalt schrumpfte von monatlichen 2000 Euro auf 700 Euro. Aber allein ihre Miete betrug 660 Euro. Sie akzeptierte die Lohnkürzung nur unter der Bedingung, dass sie auch für andere Medien arbeiten könne. "Ich musste eine Entscheidung treffen", sagte sie. "Ich sagte mir, dass es leicht ist, bestehende Dinge zu zerstören, aber viel schwerer, sie wieder aufzubauen." So griff sie zunächst einmal auf ihre Ersparnisse zurück. Als Strazdina es aber nach und nach schaffte, genug Arbeit zusammenzutragen, um davon zu leben, zahlte sich ihr Spiel allmählich aus. Im vergangenen Jahr erhielt sie den Preis als Lettlands Europäische Persönlichkeit des Jahres.

Drei Jahre lang arbeitete Johana Grohova in Brüssel für eine der drei wichtigsten tschechischen Tageszeitungen Mlada fronta DNES. 2008 musste sie sich dann wegen ähnlicher Abbaumaßnahmen nach einem anderen Job umsehen. Grohova erklärte, dass der Personalabbau nach der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft, die im Juli 2009 endete, immer akuter wurde. "Zum Ende der Ratspräsidentschaft paarte sich die Rezession, die die Medien schwer traf, mit einem unglaublichen Abfall des Interesses an EU-Themen", erläuterte die sechsunddreißigjährige Grohova. Nun hat die tschechische Republik keinen permanenten Korrespondenten in Brüssel mehr.

Was noch berichtet wird? - "Nichts!"

Vergangene Woche rief die IPA die Union dazu auf, den Journalisten mit Sitz in Brüssel spezielle Vorteile einzuräumen, wie Vorab-Informationen. Doch könnte dies Transparenz-Diskussionen auslösen. Die lettische Herausgeberin Locmele, die ihren Brüsseler Korrespondenten zurückrief, leitet nun ein Start-Up im Medienbereich namens Cita Diena. Auf die Frage, was sie unternimmt, um über das Tagesgeschehen in Brüssel zu berichten, antwortet sie unverblümt: "Nichts", und erklärt: "Wir haben sehr begrenzte Mittel". (jh)

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