"Komm schon, Angela, schieß zurück!"

Das deutsche Endspiel um den Euro

Das Endspiel um den Euro hat begonnen, und vor dem EU-Gipfel wird Angela Merkel entscheiden müssen, ob und wie Deutschland in der Lage ist, die Gemeinschaftswährung zu retten, warnt die Süddeutsche Zeitung.

Veröffentlicht am 26 Juni 2012 um 14:26
"Komm schon, Angela, schieß zurück!"

Die Zukunft des Euro hängt nicht an Italien. Sie hängt auch nicht an Spanien, Portugal, Irland, Zypern oder gar Griechenland. Wie und ob es weitergeht mit der gemeinsamen Währung, wird sich in Deutschland entscheiden und nirgends sonst. Berlin ist heute der Kern der Krise. Im Finanzministerium und in der Bundesbank dürfte diese Erkenntnis geläufig sein, öffentlich wird das Thema aber noch längst nicht mit der nötigen Offenheit diskutiert: Nur Deutschland kann den Großteil der Lasten tragen, die mit der Rettung des Euro verbunden sind. Die Frage ist, ob die Deutschen das wollen und auch, wie lange sie es noch können.

Unmittelbar vor einem weiteren schwierigen EU-Gipfel liefert dies für Politik und Öffentlichkeit in Deutschland Anlass, nüchtern zu kalkulieren und abzuwägen: Was wird uns die Rettung des Euro noch kosten, ökonomisch ebenso wie politisch? Und was würde ein Scheitern kosten, also die Desintegration der Euro-Zone, in welcher Form auch immer? Welche Risiken würden sich in beiden Fällen materialisieren, in den Bilanzen der Banken und der Deutschen Bundesbank? Welche Folgen würde ein Scheitern für die Position Deutschlands innerhalb Europas haben? Soll und kann die Bundeskanzlerin andererseits weiterhin als Zuchtmeisterin Europas auftreten?

Die Bürger haben Angst um ihr Geld

Beobachtern aus dem Ausland fällt auf, dass die Deutschen die Debatte über den Euro oft in erstaunlichem Maße moralisch führen: 'Wie kommen wir dazu, den Griechen ihre Rente mit 45 zu bezahlen?' Solche Fragen liegen nahe, aber sie sind irrelevant - noch ist kein Euro aus Deutschland in das griechische Rentensystem geflossen. Es wird daher Zeit, die Debatte auf eine ökonomische und eine verfassungsrechtliche Ebene zu heben.

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Die Bundesregierung muss ausloten, was sie zur Rettung der Währung darf und kann. Das Grundgesetz markiert diese Grenzen ebenso, wie es die Wirtschaftskraft Deutschlands und die öffentliche Meinung tun. Die Bürger haben Angst um ihr Geld und empfinden die verschiedenen Rettungsschirme mehr und mehr als Bedrohung.

Das Endspiel um den Euro ist längst im Gange

Klar ist, dass die bisherige Strategie Angela Merkels in einem wichtigen Aspekt gescheitert ist: Seit Anfang 2010 gab sie immer gerade so viel für die Euro-Rettung, dass es irgendwie weiterging. Sie kaufte Zeit in dem sehr verständlichen Bemühen, den Hebel nicht aus der Hand zu geben, um die Partner zu Reformen zu zwingen. Aber die Krise wurde so nicht beendet, im Gegenteil: Deren Kosten stiegen, und die Angst vor einer neuen, diesmal viel schwereren globalen Finanzkrise wächst. Dass die Rating-Agentur Moody"s 15 global operierende Banken zum Teil kräftig herabgestuft hat, ist ein Alarmsignal. Das Endspiel um den Euro ist längst im Gange.

Beim Euro haben die Deutschen die Wahl zwischen schlimm und katastrophal

Das Auseinanderbrechen der Währungsunion ist heute eine Option, mit der man rechnen muss - im Wortsinne. Deren Folge aus deutscher Sicht wäre nicht nur, dass der Kurs des Nord-Euro oder der neuen D-Mark, wie immer man das Spaltprodukt nennen mag, unkontrolliert in die Höhe schießen würde. Eine globale Depression wäre kaum zu vermeiden, und über die Zukunft der EU insgesamt kann man heute nur spekulieren. Mancher mag dem Euro in diesen Tagen ein Ende mit Schrecken wünschen. Fraglich, ob er auch eine Ahnung von der Dimension dieses Schreckens hat.

Auch die Rettung des Euro wird für Deutschland - übrigens auch für Frankreich, Italien und andere Länder - sehr teuer. Die Vorschläge des IWF, der G-20-Staaten und sehr vieler Ökonomen laufen im Kern auf das Gleiche hinaus: Die Staaten der Euro-Zone müssen die Risiken ihrer Bankensysteme und ihrer Staatsanleihen wenigstens zum Teil gemeinsam tragen. Deutsche und holländische Sparer haften für spanische Konten, deutsche und französische Steuerzahler für Haushalte in Rom, Madrid und anderswo. Ohne eine zumindest begrenzte europäische Haftungsgemeinschaft kann der Euro nicht mehr glaubwürdig verteidigt werden. Dazu gehört eine schlagkräftige europäische Bankenpolitik. Warum sind immer noch so viele europäische Banken - im Gegensatz zur amerikanischen Konkurrenz - unterkapitalisiert? Weil es keine europäische Instanz gibt, die sie hätte zwingen können, ausreichend Reserven zu bilden.

Beim Euro haben die Deutschen die Wahl zwischen schlimm und katastrophal. Sie sollten die schlimme Lösung wählen und dies sehr schnell.

Kommentar

Eine französische Sicht Europas

Angela Merkel sollte François Hollande Mittwochabend im Elysée-Palast treffen. Ein letzter Versuch, um die Unstimmigkeiten zwischen Paris und Berlin vor dem Europäischen Rat vom 28. und 29. Juni zu ebnen.

In Les Echos stellt sich Dominique Moïsi Fragen über das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Partnern:

Deutschland wurde gestern als die Treibkraft des europäischen Ideals betrachtet. Wie kam es dazu, dass das Land heute als Bremse angesehen wird, die Europa durch Starrheit und besserwisserische Gewissheit zur Implosion zu führen droht? Wie lässt sich dieser radikale Wandel in der Wahrnehmung und vielleicht auch in der Realität Deutschlands erklären?

Der Politikwissenschaftler erinnert daran, dass Europa für Frankreich traditionsgemäß ein „Einflussmultiplikator“ war und dass Deutschland „im europäischen Aufbau einen Schutz gegen die mögliche Rückkehr seiner inneren Geister sah“.

Wenn Berlin heute von Europa spricht, dann tut es dies ‚à la française’ und nicht mehr auf die deutsche Art. Europa ist für Deutschland kein Bollwerk gegen seine ‚dunklen Seiten’ mehr, sondern eine Fortsetzung seiner selbst, durch einen Staatenbund, der ihm ganz natürlich vorkommt.“

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