Athen, März 2010. Proteste gegen die Sparpläne der Regierung.

Die Nachbarn fürchten die Zeche

Mit Argwohn beobachten mehrere Länder die Entwicklung der wirtschaftlichen Situation Griechenlands. Entweder weil sie wirtschaftlich sehr stark an Athen gebunden sind, oder weil sie befürchten, dass die griechische Krise ihren Beitritt zur Einheitswährung hinausschiebt.

Veröffentlicht am 12 April 2010 um 15:19
Athen, März 2010. Proteste gegen die Sparpläne der Regierung.

Die Balkanländer haben die Unterstützung, die man Griechenland versprochen hat, "erleichtert aufgenommen", berichtet Die Presse und reagiert damit auf das grüne Licht, welches die Länder der Eurozone dem Rettungsplan der griechischen Staatsfinanzen erteilt haben. Griechenland kontrolliert einen Großteil ihrer Finanzmärkte, erklärt die Wiener Tageszeitung: In Bulgarien gehören 30 Prozent der Banken griechischen Kreditgesellschaften, in Albanien kontrollieren griechische Banken die Hälfte des Finanzsektors. Für die Balkanländer war Griechenland deshalb lange Zeit Wachstumsmodell und -motor. Mehrere Milliarden Euro investierten die Griechen in die Länder der Region. In ihrem eigenen Land arbeiten 17.000 Bulgaren in griechischen Unternehmen und mehr als 100.000 Stellen in Bulgarien sind von griechischen Investoren abhängig. Zudem sind die bulgarischen Exporte gefährdet, weil Griechenland der viertgrößte Käufer bulgarischer Produkte ist. "Sehr hart dürfte die griechische Krise auch das Heer der Saisonarbeiter treffen", fügt Die Presse hinzu. "Deren Zahl wird allein in Bulgarien auf 150.000 geschätzt: Von ihrem Verdienst als Erntehelfer, Zimmermädchen oder Kellner hängen ganze Familien ab. Größer noch ist die Abhängigkeit Albaniens von den Devisenüberweisungen ihrer 650.000 ins Nachbarland emigrierten Landsleute", sorgt sich die Zeitung.

"Wird die griechische Krise neue Hindernisse schaffen und einige Länder am Beitritt zur Eurozone hindern? Wird man die zentraleuropäischen Staaten, die sich verantwortlich gezeigt haben und die Kriterien für den Beitritt zur Eurozone erfüllen, aufgrund der griechischen Krise abweisen? Wird man die Esten und Bulgaren bestrafen, obwohl sie sich verantwortungsvoll verhalten haben, und die Griechen retten und sie so für ihre Unverantwortlichkeit auch noch belohnen?", fragt sich das rumänische Wochenblatt Dilema Veche. Die Zeitung ist davon überzeugt, dass zu den Kollateralschäden der griechischen Krise vermutlich auch die Verzögerung des Beitritts Estlands und Bulgariens zur Eurozone gehört. Und vielleicht auch Rumäniens. Und das obwohl sich diese Länder durch ein verhältnismäßig beispielhaftes Verhalten ausgezeichnet haben.

Aber gerade an der mutmaßlichen Tugendhaftigkeit Bulgariens rütteln die jüngsten Enthüllungen zum bulgarischen Defizit. Laut euobserver.comhat die bulgarische Regierung bekanntgegeben, dass sie "Anlagen und versteckte Verträge" entdeckt habe, die von der vorherigen Exekutive stammen. Diese haben die Staatsschuld für 2009 von den geschätzten 1,9 Prozent auf 3,7 Prozent des BIP erhöht. Damit liegt sie höher als die drei Prozent, die man von den Mitgliedern der Eurozone und den Bewerberländern erwartet. Das einst als "Musterschüler" geltende Bulgarien, das man sogar zu einem der ersten Beitrittskandidaten zur Eurozone zählte, steckt nun wieder in den Kinderschuhen. "Am 11. April", berichtet die in Brüssel sitzende paneuropäische Internetseite weiter, "hat der Finanzminister erklärt, dass das Land seine Ambitionen in Sachen Euro aufgrund der Enthüllungen nun erst einmal zurückstellen muss. Auch wenn es nicht endgültig vorbei ist." (jh)

Aus griechischer Sicht

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Das Ende der Krise naht

Das zumindest hofft der Großteil der griechischen Presse. Mehrere Monate lang mussten die griechischen Schulden die Menschen bangen und die Märkte kopflos machen, bevor "man Europa so weit hatte, dass es sich bewaffnet". Wie es die linksliberale Tageszeitung Ta Nea ausdrückt, "liegt die Waffe von nun an auf dem Tisch und ist bis zum Anschlag geladen. Wir können sie jeden Moment benutzen", erklärt das Blatt und spielt auf die Hilfsmechanismen an, die Griechenland gewährt wurden. Am 11. April hat sich die Eurogruppe auf den Betrag geeinigt, den sie Griechenland leiht. Für Ta Nea ist das die Gelegenheit, mit "Das 45er Urteil" zu titeln und zu erklären, dass die "Hilfsmechanismen das Ergebnis einer Zusammenarbeit von EU und IWF sind. Für das Jahr 2010 gewähren die Mitglieder der Eurogruppe ein Darlehen von 30 Milliarden Euro, der IWF 15 Milliarden Euro. Der Zinssatz beträgt fünf Prozent". "Es war an der Zeit, dass Europa sich wieder fasst", betont To Ethnos und glaubt zu wissen, dass die Beteiligung des IWF wachsen und "bis zu 50 Milliarden Euro" betragen könnte. Diese Information hat Eleftherotypia zur Schlagzeile gemacht. Das linksorientierte Blatt spricht von einer "Verschnaufpause" für Griechenland, erinnert aber daran, dass "es sich neben einem Test für die Märkte vor allem um einen Test für das Land handelt. Auf den Sparplan der Regierung hat die Gesellschaft mit viel Unmut reagiert. Für den kommenden 22. April hat die Beamtengewerkschaft einen Streik angekündigt und hofft auf eine baldige Entscheidung der privaten Gewerkschaften", schreibt Eleftherotypia.

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