Die EU ist ein Reich, und Reiche verheißen Krieg

Die EU hat den Frieden in Europa gesichtert, heißt es. Der Historiker Thierry Baudet sieht das anders. Seine provokante These lautet, dass ein Prozess, in dem Staaten ihre Souveränität abgegeben, unausweichlich zu Konflikten führt. Daher empfielt er: Raus aus dem Euro und die nationalen Grenzen wiederherstellen.

Veröffentlicht am 9 Juli 2012 um 10:12

Die Trumpfkarte der Fürsprecher des europäischen Projekts ist, dass der Nationalismus zu Krieg und die europäische Einigung zu Frieden führt. Aller Verlust an Demokratie, Souveränität, Transparenz, verursacht durch die Stärkung von Brüssel, werde schließlich durch ein hohes Ziel wettgemacht: Frieden. Genau diese Annahme beruht auf einem Missverständnis. Der Ehrgeiz, ein Europäisches Reich zu schaffen, führt zum Krieg. Der Ehrgeiz, verschiedene Völker in eine Zwangsjacke zu pressen, führt zu Krieg. Es ist, kurzum, die Europäische Einigung, die zum Krieg führt.

Sowohl Faschismus als auch Nazismus waren auf eine europäische Einigung ausgerichtet. Schon 1933 hat Mussolini erklärt, er glaube, dass Europa die Spitze der Weltherrschaft übernehmen könne, wenn es ein gewisses Maß an politischer Einheit entwickele.

Der norwegische Kollaborateur Vidkun Quisling meinte, dass wir ein Europa schaffen müssen, welches sein Blut nicht in mörderischen Konflikten verschwende, sondern eine kompakte Einheit forme. Und am 11. September 1940 sagte Joseph Goebbels: Ich bin überzeugt, dass wir in fünfzig Jahren nicht mehr in Ländern denken werden.

Mussolinis Römisches Reich

In einem Gespräch, dass Adolf Hitler am 28. November 1940 mit dem finnischen Außenminister führte, sagte er, es werde immer deutlicher, das Europas Länder zusammengehörten wie eine große Familie. In seiner bedeutenden Studie „Staaten und Nationen“ (1977) schlussfolgert der Oxforder Historiker, dass die Ziele Hitlers nicht auf etwas, was als deutscher Nationalismus umschrieben wird, begrenzt werden könnten.

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Sein Ziel war, Europa und ein großes Stück darüber hinaus zu erobern. Mussolini verfolgte das Ziel, ein Römisches Reich rund um das Mittelmeer zu etablieren und die Japaner wollten eine große ostasiatische Wohlstandssphäre schaffen.

Auch der deutsche Rassismus war kein Ausdruck von Nationalismus. Im Gegenteil. Er überschreitet die Grenzen von Staat und Nation und die Rassentheorie ist per Definition eine internationale — nicht nationale — Doktrin.

Die europäischen Gründerväter

Auffallend ist auch, dass Robert Schuman, einer der Gründerväter des europäischen Projekts, am 17. Juli 1940 Staatssekretär des Vichy-Regimes war, welches mit den Deutschen kollaborierte. Als Abgeordneter von Lothringen hatte er den Verrat von München aktiv unterstützt und die Annektierung der Tschechoslowakei durch Hitler-Deutschland mit möglich gemacht. Damals forderte er auch, dass Hitler und Mussolini enge Bande knüpfen sollten.

Am 10. Juli 1940 war Robert Schuman einer der Abgeordneten, die Pétain bei dessen Machtergreifung unterstützten. Jean Monnet, ein anderer Gründervater, war derweil in London und versuchte, De Gaulles tägliche Radio-Botschaften zu verhindern (was am 20. und 21. Juli auch gelang.)

Neben dem Zweiten Weltkrieg wäre auch der Erste Weltkrieg von „Nationalismus“ geprägt gewesen. Doch im Ersten Weltkrieg war es das Ziel der Deutschen gewesen, die Nicht-Deutschen einem Imperium zu unterwerfen. Der Krieg wurde im pan-nationalen Pulverfass Österreich-Ungarn ausgelöst. Diese Europäische Union „avant la lettre“ weigerte sich, den bosnischen Serben ihre Unabhängigkeit zu gewähren, was eine Gruppe „junger Bosnier“ dazu motivierte, die Ermordung des Erzherzogs Franz-Ferdinand im Juni 1914 zu planen.

Zentralismus führt zu Spannungen

Die Unterdrückung durch eine zentralistische Struktur führte zu Spannungen. Eine der wichtigsten Lehren aus dem Ersten Weltkrieg war der „Beginn des Prinzips der Selbstbestimmung“ — wie beispielsweise vom amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson zum Ausdruck gebracht —, welches für den Respekt der verschiedenen Nationalitäten plädiert, anstatt die Nationen auflösen oder in ein größeres Ganzes fusionieren zu wollen.

Gehen wir noch weiter in die Geschichte zurück, sehen wir wiederum, dass nicht der „Nationalismus“, sondern das Streben nach europäischer Einigung zum Krieg führte. Nehmen Sie die Napoleonischen Kriege. Napoleon wollte für das Wohl Europas dieselben Prinzipien: ein Europäisches Gesetzbuch, einen Europäischen Gerichtshof, eine Gemeinschaftswährung, dieselben Maßeinheiten, dieselben Gesetze und so fort. Napoleon erwartete, dass Europa wahrlich eine Nation werden würde.

Die Idee, der Nationalismus würde zu Krieg und die Europäische Einigung zu Frieden führen, stimmt nicht. Immerhin hat Europa im Laufe des vergangenen halben Jahrhunderts „Frieden“ gekannt, doch den größten Teil dieser Zeit waren die Länder Europas in einem Kampf auf Leben und Tod mit der Sowjetunion verwickelt — Ausdrucksform einer anderen anti-nationalen Philosophie: dem Kommunismus. Der Arbeiter, so steht es im Kommunistischen Manifest, hat keine Nationalität.

Nationalismus ermögliche Demokratie

Wie zu erwarten, führen auch heute die Bemühungen, Europa politisch zu vereinen, zu großen Spannungen. In allen europäischen Ländern beobachten wir den Aufstieg von Anti-Establishment-Parteien. In Nordeuropa steigt das Misstrauen gegenüber dem Süden und umgekehrt. Noch einmal: Nicht Nationalismus, sondern das europäische Projekt ist Quelle von Konflikten. Wir müssen uns darum ein ganz anderes Europa erlauben als die heutige EU.

Nicht ein Europa der zentralistischen Verwaltung — sondern eine Europa von zusammen arbeitenden Nationalstaaten, welche nationale Unterschiede nicht fürchten. Gibt man den Ländern die Kontrolle ihrer Grenzen wieder zurück, können sie selbst entscheiden, wen sie ins Land lassen wollen. Aus wirtschaftlichem Interesse werden sie einer liberalen Visa-Regelung den Vorzug geben, während sie dennoch Kriminalität und Einwanderung kontrollieren können. Raus aus dem Euro, so dass die Länder wieder atmen können und ihre monetären Interessen mit effizienten Wechselkursen auf der Grundlage ihrer lokalen Konjunktur wahren können. Man sollte einen großen Teil der Harmonisierung zugunsten von mehr Vielfalt entmanteln.

Weit entfernt davon, eine Quelle von Krieg zu sein, ist der Nationalismus die Kraft, welche Demokratie erst möglich macht. Ohne diese bindende Kraft kann das Parlament keine legitimen Entscheidungen fällen. Das Beispiel Belgien illustriert, dass ein Mangel nationaler Einheit in einem Land das Regieren äußerst mühsam machen kann. Die Phantomangst vor dem Nationalismus wird wahrscheinlich zu einem bedrückenden Brüsseler Reich führen. Es ist Zeit, den Angriff auf den Nationalstaat zu stoppen.

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