Wie Island seine Bankster jagt

In London fälscht Barclays die Zinssätze für Kredite zwischen Banken. In Madrid soll Bankia seine Konten vor dem Börsengang frisiert haben. Wie die betrügerischen Banken zur Rechenschaft ziehen? In Island spüren Sonderermittler die Verantwortlichen auf, um sie der Justiz zu überstellen.

Veröffentlicht am 12 Juli 2012 um 14:56

Vor der Wirtschaftskrise war Olafur Hauksson Polizeikommissar in Akranes, einer kleinen Hafenstadt mit 6500 Einwohnern an der Spitze einer Halbinsel, rund fünfzig Kilometer von Reykjavik entfernt. Seit 2009 fahndet er nach den Verantwortlichen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs von 2008 und bringt sie vor Gericht.

Am Ende des Sommers 2008 platzt die Island-Blase als Folge der amerikanischen Subprime-Krise. Zwei Wochen nach der spektakulären Pleite von Lehman Brothers, stürzen die drei größten Banken des Landes, deren Wert 923 Prozent des BIP entspricht, ab. Die kleine Insel wird von der Krise überrollt, die isländische Krone versinkt ins Bodenlose, ohne dass irgendeine Intervention den Absturz aufhalten könnte. Am 6. Oktober 2008 beendet der isländische Ministerpräsident live im Fernsehen eine Rede mit den Worten „Gott möge Island retten“.

Seit diesem schicksalhaften Tag hat Island harte Zeiten durchgemacht. Im Jahr 2009 machen die Isländer, die sonst kaum soziale Konflikte gewöhnt sind, ihrer Wut gegenüber den Politikern und den „Neo-Wikingern“ der Finanz Luft, von denen sie hintergangen wurden. Die „Kochtopfrevolution“ führt zur Auflösung des Parlaments und zum Rücktritt der Regierung. Zu den Forderungen der Bewegung gehört, dass jene, die von der wirtschaftlichen Lage profitiert und das Land in den Ruin getrieben haben, vor Gericht sollen. Die vorgezogenen Neuwahlen bringen die Sozialdemokraten an die Macht. Die neue Ministerpräsidentin Johanna Sigurdottir will rasch einen Sonderstaatsanwalt ernennen, der über die Hintergründe der Krise ermitteln soll. Aber die Kandidaten für diesen Posten sind nicht gerade Legion.

Olafur Hauksson in seinem kleinen Provinzkommissariat hat den Vorteil, dass er keinerlei Verbindungen zur Elite hat, welche beschuldigt wird, die Insel in die Pleite getrieben zu haben. Obwohl er überhaupt keine Erfahrung mit Wirtschaftskriminalität hat, ist er der einzige, dem dieses Amt angeboten wird. ... Mehr als drei Jahre nach seiner Ernennung gesteht er ein, dass er sich „seit kurzem erst sich in seiner Funktion wohlfühlt“. Leitete er anfangs ein Team von fünf Leuten, so verfügt er heute über mehr als hundert Mitarbeiter.

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Verantwortliche meist ins Ausland gegangen

Sie haben zwei Aufgaben: „Einerseits jedem Verdacht eines Betrugs vor 2009 nachgehen, andererseits leiten wir selbst die Verfahren gegen mutmaßliche Täter ein.“ Eine „völlig neue“ Methode, die es den Ermittlern erlaubt, „Fällen langfristig nachzugehen“. Die Justiz kenne somit „die Fälle in- und auswendig“, was eine der Voraussetzungen sei, um mit den „extrem vorbereiteten Anwälten der Verteidigung mithalten zu können.“

Um die Arbeit des Staatsanwalts zu erleichtern, hat die Regierung die gesetzlichen Regelungen zum Bankengeheimnis geändert. „Heute kommen wir problemlos an alle Informationen heran“, sagt Olafur Hauksson. Verdacht auf Bankenbetrug, Insiderhandel, Fälschungen, Identitätsdiebstahl, Veruntreuung: Die Ermittlungen sind vielfältig und die drei — bald vier — Verhörzimmer stets besetzt. Der Staatsanwalt gibt an, dass er heute an „rund einhundert prioritären Fällen“ arbeite.

Die meisten von den Ermittlungen Betroffenen sind ehemalige Verantwortliche des Bankensektors, Aufsichtsratsmitglieder der Banken vor der Krise. Isländer, die seither häufig ins ins Ausland gegangen sind — unter anderem nach Luxemburg — um dort ihre Karriere fortzusetzen, eine Streuung, welche die Arbeit des Teams um Staatsanwalt Hauksson dementsprechend erschwert. Dennoch steigt die Zahl der Durchsuchungen, und nichts hält sie davon ab, ihre Ermittlungen auch in den Auslandsfilialen isländischer Banken weiterzuverfolgen, ausländische Mitarbeiter mit eingeschlossen. „Die internationale Zusammenarbeit funktioniert reibungslos“, betont Olafur Hauksson.

Bis zum heutigen Zeitpunkt sind schon ein paar Urteile gesprochen worden. Zwei ehemalige Spitzenmanager der Nak Byr, die zu den ersten Verurteilten gehören, sitzen eine viereinhalbjährige Haftstrafe ab. Der ehemalige Staatssekretär im Finanzministerium Baldur Gudlaugsson würde wegen Insiderhandel zu zwei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Erst kürzlich wurde der ehemalige Aufsichtsrats-Chef der Kaupthing Bank zur Rückzahlung von 500 Millionen Kronen an die Bank — 3,2 Millionen Euro — verurteilt und sein Vermögen eingefroren.

„Säuberung“ nicht von heute auf morgen erledigt

Andere warten noch auf ihr Urteil. Dem ehemaligen Finanzchef von Landbanski, Jon Thorsteinn Oddleifsson, steht es kurz bevor, ebenso wie Làrus Welding, dem ehemaligen Geschäftsführer der Glitnir Bank.

Die Arbeit von Olafur Hauksson stößt in der Bevölkerung auf heftige Kritik. „Wir wissen, dass alle Blicke auf uns gerichtet sind. Wir dürfen nicht scheitern“, betont er, doch „die Dinge beschleunigen würde unweigerlich zu Fehlern führen und im heutigen Kontext, bei so viel Misstrauen der Isländer gegenüber den Behörden, müssen wir mehr denn je darauf achten, tadellos zu sein.“

Schon schwierig, „tadellos“ in einer Gesellschaft zu sein, in der lange Zeit fragwürdige Praktiken lange Zeit die Regel waren. Im vergangenen Mai verkauften zwei Männer aus dem Team des Staatsanwalts für 30 Millionen Kronen (191.000 Euro) Informationen an einen unbekannten Auftraggeber. Die beiden ehemaligen Polizisten ermittelten im Fall Sjovar/Milestone, einer Versicherungsgesellschaft, in die die isländische Zentralbank iverstiert hätte, bevor sie die Aktien mit Verlust wieder verkaufte. Wegen der Verletzung der Vertraulichkeitspflicht wurden die beiden Beamten vom Dienst suspendiert und zwangspensioniert.

Die „Säuberung“ des isländischen Bankensektors, wie Olafur Hauksson es gerne nennt, wird sich nicht von heute auf morgen erledigen. Zwar erwartet er das Endes seiner Mission gegen 2015, doch hofft der Staatsanwalt vor allem, dass Island, dessen Wirtschaft sich langsam wieder erholt, eines Tages „in den Rückspiegel gucken und mit Stolz sagen kann, dass man die Lehren aus der Vergangenheit gezogen hat.“

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