Der Terminal 2E des Flughafens Roissy-Charles de Gaulle (Paris).

Flughäfen, die Welt als Wartezimmer

Millionen Urlaubsreisende wurden von der Wolke, die der Vulkan Eyjafjallajökull ausspuckt, überrumpelt. Wie auch eine andere Community: die zahlreichen "Vielflieger". Blick in eine künstliche Parallelgesellschaft durch die spanische Kolumnistin Joana Bonet.

Veröffentlicht am 21 April 2010 um 15:17
Slightlynorth  | Der Terminal 2E des Flughafens Roissy-Charles de Gaulle (Paris).

Flughäfen sind die Satelliten unserer Großstädte. Nach und nach kolonisierten sie immer neue Territorien und wurden zum Symbol des hektischen Nomadendaseins. Unsere Gesellschaft ist ständig in Bewegung, wird in Dateien eingeordnet, wird gescannt. Distanzen nehmen ab. Doch der Wille, die ganze Welt in einen Monitor hineinzupressen, schafft noch mehr Frust. Die Bilder von geschlossenen, leeren und todstillen Flughäfen sind, sollte das überhaupt möglich sein, noch beängstigender als Flughäfen mit dichtgedrängten Menschenmengen von Frequent Flyers (Vielfliegern), Leuten, die, wie die von George Clooney und Vera Farmiga gespielten Figuren des Films Up in the Air, eine ganze Sammlung von Kundenkarten haben, die ihnen besondere Privilegien einräumen.

Flughäfen als sterile Nicht-Orte

Routiniert kennen sie die Flughäfen wie ihre Westentasche, wissen wie man das ständige Schlangestehen, das Warten aufs Gepäck und die Ungeduld am besten bewältigt. Flughäfen sind, so der französische Ethnologe Marc Augé, beliebige, sterile Nicht-Orte: Metastädte in die Schnellstrassen des Himmels.

Unpersönliche Orte, die zwar versuchen, ihre Eigentümlichkeit zu wahren, sei es nur durch einen blitzblanken Fußboden im Flughafen von Singapur oder durch einen ausgestopften Bären in Anchorage, Alaska; für den Passagier auf der Durchreise jedoch ist für eine Weile alles Individuelle nebensächlich. Es geht ihm nur um Eines: sein Ziel zu erreichen.

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Rituale des Fliegens sollten humanisiert werden

Doch manchmal spuckt ein Vulkan Asche in den Himmel. Im Flugraum wirbeln Gesteinspartikel, Quartz und Sand umher. Es gibt wenig, das komplizierter und gefährlicher ist als die pyroklastischen Ströme (Gas-Feststoff-Dispersionen) nach der Eruption des unverschämt dreisten isländischen Vulkans. Europas Luftraum ist gesperrt; Millionen Menschen gezwungen innezuhalten. Auch die Machthaber sind machtlos: Angela Merkel musste in Portugal übernachten, die meisten Staatschefs konnten nicht an der Beerdigung Lech Kaczynkis teilnehmen (als wäre er zum zweiten Mal zum Flugopfer geworden); und Königin Margarethe von Dänemark blieb bei ihrer Geburtstagsfeier zum Siebzigsten auf ihren Häppchen sitzen.

2020 wird es schätzungsweise mehr als 200 Millionen Flüge pro Jahr geben. Im vollgestopften Himmel unzählige weiße Streifen — jene Kondensspuren der Flugzeuge, die man Kindern zeigt, als wären Engel im Himmel. Spuren der Luftverschmutzung, die eigentlich dringend begrenzt werden müsste. Die Menschheit lebt heute zwischen Himmel und Erde; die Rituale des Fliegens — trotz aller sterilen Effizienz und aller Kontrolltürme, die gen Himmel weisen — sollten deshalb humanisiert werden. Eine Menschheit, die heute von einer dichten Wolke mit quasi organischer Form gelähmt wird. Eine Aschewolke als Metapher unser sich verflüchtigenden Zeit. (js)

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