Das Haus des Fauns in Pompeji. Die Ausgrabungsstätte ist ein trauriges Beispiel dafür, wie sehr die Mittel für die Restaurierung fehlen.

Auch für Steine gibt es kein Geld

Auch die Kulturgüter leiden unter den Sparmaßnahmen, unter denen die europäischen Länder ächzen, insbesondere in Südeuropa. Hier befindet sich ein Großteil des Kulturerbes Europas, hier wurden auch die Haushalte am drastischsten gekürzt, mit verheerenden Folgen.

Veröffentlicht am 10 August 2012 um 15:41
Das Haus des Fauns in Pompeji. Die Ausgrabungsstätte ist ein trauriges Beispiel dafür, wie sehr die Mittel für die Restaurierung fehlen.

Die Eurokrise ist nicht der Peloponnesische Krieg, bedroht aber mit ihren zivilisierten Heeren (Männer in Schwarz oder Visionäre in Weiß) die Welt genauso wie damals. Vielleicht wird Europa gerettet, aber es wird nie wieder dasselbe Europa sein. Weder seine Bürger, noch sein kulturelles Erbe.

Wenn es kein Geld mehr für Rentner gibt, dann mutet es frivol an, Mittel für Steine zu fordern. Aber die Steine Griechenlands verdienen auch Respekt: Auf ihnen wurzelt ein universell angestrebtes politisches System namens Demokratie, auf ihnen entstand die Idee eines Europas.

Auch die Steine sind bedroht. Die Wiege der Geschichte und der Künste des Abendlandes wurde durch Krisen, Haushaltskürzungen und erneute Krisen übel zugerichtet. Allein in Griechenland, Italien, Spanien und Portugal liegen 122 (13 Prozent) der von der UNESCO als Weltkulturerbe eingestuften Stätten. Sind sie nun mehr Zeugen einer ruhmreichen Vergangenheit oder gar einer schiefen Zukunft wie das römische Kolosseum?

Bulgari sponsort Venedigs Renovierung

Das stolze Amphitheater Vespasians bricht langsam auseinander. Die Südseite hat sich zum Schrecken der Italiener unter anderem wegen der steinzerfressenden Abgase des starken Verkehrs um 40 cm geneigt. Die öffentlichen Kassen sind so gähnend leer, dass Diego Della Valle, seines Zeichens Schuhfabrikant, die einst von Kaiser Titus im Rahmen von hunderttägigen Spielen eröffnete Arena mit 25 Millionen Euro restaurieren wird. Am Krankenbett des schönen Venedigs steht ebenfalls ein privater Arzt: Bulgari verhüllte als Sponsor der Sanierung die Seufzerbrücke mit seinen Anzeigentafeln.

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Italien zählt die meisten als Weltkulturerbe eingetragenen Stätten (47). Und dennoch ist der Kulturetat von 2,3 Milliarden Euro (2001) dieses Jahr auf magere 1,4 Milliarden Euro geschrumpft. Aus diesem Grund zerfallen Sehenswürdigkeiten wie Pompei und weniger berühmte Gedenkstätten.

Gian Antonio Stella und Sergio Rizzo, Journalisten bei Corriere della Sera, nennen in ihrem Buch Vandali. L’Assalto alle bellezze d’Italia zahlreiche Beispiele für den Untergang der Kunst und die Angriffe auf die Kleinode Italiens, die den „Vandalen“ zum Opfer fallen. „Die einzigen Reichtümer, die uns bleiben – die Landschaft, die Museen, die Städte aus dem Mittelalter – werden angegriffen, dabei könnten gerade sie in diesen Zeiten der Krise unser Hort sein“, meint Gian Antonio Stella verbittert.

Griechenland als brandiger Fuß

Europa zerreißt an den klassischen Nähten, die einst seinen Zusammenhalt gewährleisteten. Deutschland, das sich im 19. Jahrhundert so für die Griechen und Römer der Antike begeisterte, betrachtet Griechenland heute als brandigen Fuß, den es möglichst schnell zu amputieren gilt. Unter dem Druck der Haushaltskürzungen sind die öffentliche und die privaten Geldquellen versiegt. Im Juni wurde das Budget des griechischen Kulturministeriums um 35 Prozent gekürzt, 2013 und 2014 soll abermals der Rotstift angesetzt werden. Fazit: weniger Mittel für den Schutz und den Erhalt des Kulturerbes.

Vielleicht wäre es einfacher, wenn sich die Ereignisse des Februar 2012 wiederholten. An diesem Tag brachten bewaffnete Kunstdiebe im Museum des antiken Olympia das Offensichtliche ans Licht: Personalabbau und Sparmaßnahmen fordern ihren Zoll. Dabei waren im Januar bereits ein Picasso und ein Mondrian aus der Nationalgalerie in Athen, die von einem einzigen Wächter beaufsichtigt wird, entwendet worden.

„Denkmäler haben keine Stimme, wir müssen für sie sprechen“, warnen griechische Archäologen, die die Vernachlässigung des gigantischen Kulturerbes anprangern: 17 Stätten auf der UNESCO-Liste, 210 Museen und Sammlungen antiker Kunst, 250 archäologische Ausgrabungsstätten und mehr als 19.000 unter Schutz stehende historische Denkmäler.

Spaniens Paradox

Und wie steht es mit Spanien, dem Land mit der ruhmreichen Vergangenheit und der ungewissen Zukunft, das mit 44 Kulturgütern Platz 2 auf der UNESCO-Liste einnimmt? Hier passiert etwas Paradoxales: Obwohl es weniger Geld für die Denkmalpflege gibt, ist das Kulturerbe weniger gefährdet als früher.

Víctor Fernández Salinas, Professor für Humangeografie an der Universität Sevilla und Sekretär des spanischen Nationalkomitees des Internationalen Rats für Denkmalpflege (ICOMOS), einer Nichtregierungsorganisation, die der UNESCO als Berater zur Seite steht, freut sich über die positiven Folgen der Krise. Sie hat der Immobilienspekulation ein Ende gesetzt und damit auch der Bedrohung des spanischen Kulturerbes. „Die größte Gefahr drohte von Bauprojekten wie Golfplätzen oder Wolkenkratzern“, erklärt er.

Die abgedrehten Finanzhähne trocknen den Süden aus, aber es gibt auch andere Modelle. Frankreich, dem es auch nicht blendend geht, hat den Posten Denkmalpflege nur leicht beschnitten. 2012 werden dafür 380,7 Millionen Euro aufgewandt, das heißt 0,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Aber Frankreich ist schon immer einen eigenen Weg gegangen.

Deutschland unbeschadet

English Heritage, das in Großbritannien mit der Denkmalpflege beauftragte Staatsunternehmen, listet neben dem um 43 cm geneigten Big Ben in London 3.168 Denkmäler, die dringend saniert werden sollten. Einige erfordern signifikante Investitionen.

In diesem Europe der unterschiedlichen Geschwindigkeiten hat natürlich auch Deutschland ein eigenes Tempo eingeschlagen. Die Krise ist an der Kultur spurlos vorbeigegangen. Der Haushalt des Kulturministeriums hat dem statistischen Bundesamt (Destatis) zufolge seit 2008 nicht aufgehört zu steigen.

Es gibt mehr als 6.000 subventionierte Museen, 150 Theater und 130 Orchester sowie 84 Opern (in 81 Kommunen). Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sagte im Mai etwas für viele andere Länder Unerhörtes: „In dieser Zeit der Desorientierung wäre es unverschämt, den Kulturetat zu kürzen“. In Deutschland „verzeichnen die Museen mehr Besucher als die Bundesligaspiele“.

KULTUR

Karte der Budgetkürzungen

„Die Kultur ist eine leichte Beute für Budgetkürzungen — aber wie weit reicht die Wirkung der Sparhaushalte im Kunstbereich?“, fragt der Guardian. Gemeinsam mit den Partnern von La Stampa (Italien), El País (Spanien), Süddeutsche Zeitung (Deutschland), Gazeta Wyborcza (Polen) und Le Monde (Frankreich) startet die Tageszeitung ein paneuropäisches Projekt. Auf einer interaktiven Karte sollen alle kulturellen Einrichtungen, Programme und Initiativen verzeichnet werden, die Opfer der Sparpolitik geworden sind. Leser sind aufgerufen, die Karte mit Informationen zu füllen.

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