Heißer Herbst in Euroland

Herrscht im August die Ruhe vor dem Sturm? In der Staatsschuldenkrise deuten immer mehr Signale auf einen „Schwarzen September“ für den Euro: Das Misstrauen der „tugendhaften“ Staaten gegenüber den höher verschuldeten Ländern sitzt so tief, dass der EU bald der Bruch droht.

Veröffentlicht am 20 August 2012 um 15:52

Dank der Erklärungen der beiden Parzen, die dem Schicksal der Einheitswährung vorstehen, beruhigten sich die Märkte für Staatsanleihen im August. Zuerst erklärte Mario Draghi Ende Juli, die Europäische Zentralbank (EZB) sei bereit, „alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten“, und weckte damit Hoffnungen auf eine massive Intervention der EZB am Anleihenmarkt , um die Zinsen der italienischen und spanischen Staatstitel wieder auf ein erträgliches Niveau zu drücken.

Am Donnerstag letzter Woche gab die deutsche Bundeskanzlerin Mario Draghi Rückendeckung, als sie erklärte, seine Garantien würden mit ihrer eigenen Vision übereinstimmen.

Warum sollte es also in der Eurokrise zu einem „Schwarzen September“ kommen? Wie kann Europa seit zwei Jahren immer wieder von „Sieg“ zu „Sieg“ schreiten und dann doch scheitern? Warum zweifeln die Märkte trotz der Sommerruhe weiterhin an der Überlebensfähigkeit des Euro? Die Anzeichen mehren sich, dass Europa allmählich die politische Schlacht verliert, die sein Schicksal besiegeln wird. Der August war in dieser Hinsicht besonders ergiebig.

Anfang August fasste Mario Monti in dem nun schon berühmten Interview im Spiegel zusammen, worum es geht. „Die Spannungen, die in den letzten Jahren die Euro-Zone begleiten, tragen bereits die Züge einer psychologischen Auflösung Europas. [...] Wenn der Euro zu einem Faktor des europäischen Auseinanderdriftens wird, sind die Grundlagen des Projekts Europa zerstört.“ Die darauffolgenden Fakten bestätigten seine Worte und zeigten beinahe unwiderlegbar, dass nicht nur die Märkte nicht an das Überleben des Euro glauben.

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Hoffen auf die Rückkehr der „eisernen Kanzlerin“

In der bislang letzten Folge der Euroserie spielte der finnische Außenminister die Hauptrolle. Er sprach offen über den Notfallplan Helsinkis im Fall eines möglichen Zusammenbruchs der Währungsunion. Die finnische Regierung beeilte sich zwar zu beteuern, dass dies nicht ihre offizielle Politik sei, aber in Finnland wird heute unverhohlen darüber diskutiert, ob das Land in der Währungsunion bleiben soll oder nicht.

Der einzige Unterschied zu der Debatte in Deutschland besteht darin, dass in Helsinki Klartext gesprochen werden kann, da die Äußerungen der finnischen Politiker bei Weitem nicht dieselbe Tragweite haben wie in Deutschland, wo der Wirtschaftsminister erklärte, der mögliche Austritt Griechenlands aus dem Euroraum habe längst seinen Schrecken verloren.

Mehrere hochstehenden CDU/CSU-Politiker waren entsetzt über die „Unverschämtheit“ des Präsidenten der Eurogruppe Jean-Claude Juncker, der meinte, auch Deutschland würde Schuld an der Verschärfung der Eurokrise tragen. Zudem fragte er sich, warum Deutschland den Euroraum wie eine Filiale behandele.

Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen der deutschen Zeitungen lässt keine Zweifel daran, wie tief die Vorurteile sind, auf die Mario Monti anspielt, und wie weit fortgeschritten die psychologische Auflösung Europas ist, vor der er warnt. Alle scheinen auf die Rückkehr der „eisernen Kanzlerin“ zu hoffen. Gegen Griechenland, das mehr Zeit verlangt; gegen die EZB, die bereit ist, den „unzuverlässigen“ Ländern Geldspritzen zu verpassen; gegen Frankreich, das seinen Rentnern auf Kosten der deutschen Steuerzahler ein schönes Leben garantieren will.

Rettungsanker Merkel...

In den übrigen nordeuropäischen Ländern herrscht ein ähnliches Klima. Im Süden stellt sich die Frage, bis wohin die Sparmaßnahmen weitergeführt werden können, ohne die Idee Europa abzuwürgen, und wie weit sich die Wähler durch eine Rettung politisch erniedrigen lassen.

Selbstverständlich gibt es zwei Rettungsanker gegen das Risiko einer beschleunigten politischen Auflösung Europas, an die sich die politische Spitze in Brüssel klammert. Der erste heißt Angela Merkel. Alle sind vom Vorsatz der Bundeskanzlerin überzeugt, den Euro zu retten, weil der Erhalt des Euro den deutschen Interessen dient.

Dennoch stellt sich die Frage, wie die Kanzlerin die beiden Absichten, die sie bisher angetrieben haben, vereinen kann. Einerseits will sie den Euro retten und andererseits verhindern, dass in Deutschland eine rechtsextreme nationalistische Partei entsteht wie in Finnland oder Holland. Einige Analysten meinen, sie würde diese Gratwanderung vorzüglich meistern.

Andere sind der Ansicht, das allgemeine Klima würde ihren Spielraum schmälern und man könne nur hoffen, dass im Anschluss an die Bundestagswahlen im September nächsten Jahres eine große Koalition mit der SPD ihr wieder die Fähigkeit verleiht, das Erforderliche in Deutschland durchzusetzen.

...oder die Suche nach Alternativen

Der zweite Rettungsanker besteht in der wesentlichen politischen Frage, mit der sich keine Regierung im Euroraum gern auseinandersetzt: Wie sieht die Alternative zur Währungsunion aus?

Der September droht ein dramatischer Monat zu werden, weil es beinahe unmöglich ist zu bestimmen, ab wann der europäische Auflösungsprozess nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Oder, anders ausgedrückt, welches Ereignis die Eurokrise endgültig in neue Bahnen leiten wird. Ein klares Nein des deutschen Bundesverfassungsgerichts am 12. September zum Europäischen Stabilitätsmechanismus oder der Ausgang der niederländischen Wahlen, die am selben Tag stattfinden? Oder etwas anderes? Niemand weiß es.

Das Risiko, mit dem Europa konfrontiert ist, zeigt sich in seiner ganzen Größe, wenn man das Wort Vorurteile durch Nationalismus ersetzt.

Termine

Wird es ein „Schwarzer September“?

„September wird ein gefährlicher Monat“, warnt Público. „Nach der Sommerruhe kommt der Herbst und mit ihm die Zerreißprobe für die Eurozone“. In der kommenden Woche stehen deshalb viele politische Treffen auf dem Programm:

Der griechische Ministerpräsident Antonis Samaras fliegt nach Berlin und Paris, um Angela Merkel [am 24. August] und François Hollande [am 25. August] zu treffen. Zuvor wird er sich mit dem Präsidenten der Eurogruppe Jean-Claude Juncker [am 22. August in Athen] unterhalten. Er ist bestrebt, von den europäischen Regierungs- bzw. Staatschefs eine zweijährige Verlängerung des griechischen Sparprogramms zu erhalten. Merkel und Hollande werden sich [am 23. August in Berlin] ebenfalls treffen. Der italienische Regierungschef Mario Monti soll noch vor Ende August nach Deutschland reisen, wo er die Bundeskanzlerin trifft. Danach [am 6. September] stattet er dem spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy einen Besuch in Madrid ab.

Der September sei ein entscheidender Monat, meint Público:

An diesem Tag [am 12. September] wird das Bundesverfassungsgericht darüber entscheiden, ob der permanente Euro-Rettungsfonds ESM überlebensfähig ist. Und Griechenland könnte wieder mittellos dastehen und mit einem immer skeptischeren Nordeuropa, das seine Bedenken auch bei den Wahlen ausdrücken könnte, wie es in den Niederlanden der Fall ist [die Parlamentswahlen finden am 12. September statt], über mehr Geld und mehr Zeit verhandeln müssen. Schließlich muss der Euroraum sicherstellen, dass die beiden anderen Dominosteine – Spanien und Italien – nicht umfallen und die gesamte Währungsunion mitreißen.

Am 6. September muss der Präsident der Europäischen Zentralbank Mario Draghi

angeben, wie er an den Märkten intervenieren wird, um die Zinsdifferenz zwischen den am höchsten verschuldeten Ländern und den übrigen Staaten der Eurozone zu senken.

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